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Bundesagentur für Arbeit – die merkwürdigen Aussagen des Heinrich Alt

Von Claudio Kummerfeld

finanzmarktwelt.de hat sich in jüngster Zeit mehrfach mit dem Thema Arbeitslosenstatistik und deren Manipulation beschäftigt. Im Zuge unserer Recherchen rund um die Bundesagentur für Arbeit sind uns immer wieder die merkwürdigen Aussagen des Heinrich Alt aufgefallen.

Heinrich Alt Bundesagentur für Arbeit
Heinrich Alt sitzt im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg
Foto: Bundesagentur für Arbeit

Fälle pro Vermittler

Wie die am 16.03.2015 bei „RTL“ ausgestrahlte Reportage von Günter Wallraff aufzeigte, betreut ein Sachbearbeiter im Jobcenter gut und gerne um die 300 „Kunden“ (Arbeitslose) oder mehr. Gut recherchiert, gut belegt, wie dort getrickst wurde. Um die Anzahl betreuter Kunden runterzudrücken, werden z.B. alle Mitarbeiter des Jobcenters, also auch Pförtner und Poststellenmitarbeiter, rein rechnerisch mit einbezogen und somit die Anzahl der Menschen, die auf dem Papier „Kunden“ betreuen, erhöht – im Umkehrschluss sinkt die Anzahl der betreuten „Kunden“ pro Mitarbeiter auf dem Papier. Jetzt finden wir ein recht aktuelles Interview aus letzter Woche, das Heinrich Alt, neben Behördenleiter Weise das zweite Gesicht der Bundesagentur für Arbeit, selbst via Twitter verbreitet. Somit könnte er später nicht sagen er hätte es nicht autorisiert.

Darin heißt es:

„Zwiespältig sieht Alt die Kritik der Jobcenter-Personalräte, viele Jobcenter seien unterbesetzt. Tatsächlich habe sich die Relation zwischen Vermittlern und Betreuten in den vergangenen Jahren verbessert. Habe 2008 jeder Vermittler im Schnitt noch 173 Arbeitslose über 25 Jahre zu betreuen gehabt, so seien es 2014 nur noch 147 gewesen.“

Maximal soll laut Vorgabe der Bundesagentur für Arbeit jeder Sachbearbeiter maximal 150 „Kunden“ betreuen. Die von Wallraff aufgezeigte Runterrechnung auf bundesweit durchschnittlich 147 ist die Zahl, auf die sich Herr Alt also auch heute immer noch beruft. Traurig.

Die Bundesagentur für Arbeit und die Langzeitarbeitslosen

In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ sagte Alt noch im Mai 2014:

„Die Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern haben ja in der Vergangenheit bereits viel erreicht. Ich würde uns aber zutrauen, die derzeit eine Million Langzeitarbeitslosen in dieser Legislaturperiode um ein Drittel zu reduzieren.“

Im aktuellen Interview klingt das so:

Seit mehreren Jahren stagniere die Zahl der Langzeitarbeitslosen bei rund einer Million. „Ich habe nicht die Illusion, wir könnten eine Millionen Langzeitarbeitslose – zumal zu Mindestlohnbedingungen – erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren“

Eine bemerkenswerte Besinnung auf die Realität. Ein Jahr später ist von diesem noblen Ziel keine Rede mehr. Woher der Sinneswandel? Dazu ist kein Hinweis zu finden. Jetzt geht es darum, so scheint es, eine Begründung zu konstruieren, woran es liegt, dass trotz der sensationellen Vermittlungstätigkeit und der grandiosen Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit die Langzeitarbeitslosigkeit nicht sinken will. Die Lösung: Es liegt grundsätzlich an den Langzeitarbeitslosen selbst – so ist eindeutig der Unterton.

An die Hand nehmen wie kleine Kinder?

Wenn man sich die Worte von Heinrich Alt genauer durchliest, könnte man meinen Langzeitarbeitslose sind unmündig, und müssten wie kleine Kinder an die Hand genommen werden. Zitat:

„So müssen wir fragen, ob wir nicht erst einmal die soziale Teilhabe eines Langzeitarbeitslosen organisieren müssen, bevor wir versuchen ihm eine Arbeit zu vermitteln. Nach Alts Ansicht sollten Jobcenter Arbeitslosen zum Beispiel helfen, sich in Vereinen, Kirchengemeinden oder Wohltätigkeitsorganisationen zu engagieren. Die dabei erfahrene Anerkennung und das dort gewonnene Selbstbewusstsein könnte Menschen später auch bei der Jobsuche helfen, ist Alt überzeugt. Auch könnten dabei Kontakte und Netzwerke entstehen, die die Stellensuche der Arbeitslosen erleichtern. Alt sieht ein solches Vorgehen als Teil des gesetzlich verankerten „sozial-integrativen Auftrags“ der Jobcenter. Viele Menschen, die längere Zeit nicht mehr im Berufsleben gestanden hätten, seien mit einem Acht-Stunden-Tag überfordert. „Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, erst mal mit zwei Stunden am Tag einzusteigen.“

Das wirkt eher entwürdigend, gerade bei älteren Menschen, die langzeitarbeitslos sind. Was ihnen hilft, wäre „Arbeit“, und nicht eine pseudo-integrative Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in einem Wohltätigkeitsverein. Jemand, der 25 Jahre gearbeitet hat und jetzt 5 Jahre arbeitslos ist, soll dann erstmal umsonst in einem Wohltätigkeitsverein arbeiten, obwohl er ganz genau weiß, wie „Arbeiten“ geht? Man kann es drehen und wenden wie man will. Die von Günter Wallraff und vielen vor ihm angeprangerten „Maßnahmen“ zur Integration in den Arbeitsmarkt, wodurch die Arbeitslosen aus der Statistik verschwinden, sollen, so hat es zumindest den Anschein, ersetzt werden durch ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen, um die Menschen wieder „näher ranzubringen ans richtige Leben“, so kann man es wohl übersetzen. Was für eine Demütigung, gerade für Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben und jetzt aufgrund ihres Alters nichts mehr finden.

Stellenaufbau oder Stellenabbau?

Wie Heinrich Alt am 06.04.2015 dem „Handelsblatt“ sagte, wolle die Bundesagentur für Arbeit bis 2019 insg. 17.000 Stellen abbauen. In einer Pressekonferenz, ausgestrahlt bei RTL am 16.03.2015, klang das auf Nachfrage von Günter Wallraff noch anders. Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, sagte auf Nachfrage wg. dem Personalmangel in den Jobcentern:

„Ich wünsche mir mehr Mitarbeiter“

Es wäre sicher relativ einfach die 17.000 Mitarbeiter, die bisher für Kurzzeitarbeitslose „ALG1“-Empfänger zuständig waren, jetzt bei den langzeitarbeitslosen „Hartz4„-Empfängern einzusetzen. Es sieht so aus, als wolle man das Personal absichtlich knapp halten. Denn das Geld ist ja vorhanden für die Gehälter der 17.000 Mitarbeiter. Sie sollen ja nicht abgebaut werden wg. Geldmangel im Personalbudget der Arbeitsagentur, sondern weil es so wenige „ALG1“-Empfänger gibt aufgrund der guten Konjunktur. D.h. man hat das Budget für ihre Gehälter und könnte sie einfach versetzen zu den Jobcentern. Aber die Realität ist: man möchte es anscheinend nicht. Die aufgedeckten Mängel werden wie bisher ignoriert.



Falls Sie unser Artikel „Die tatsächliche Arbeitslosenquote in Deutschland“ interessiert: Hier kommen Sie zum Artikel.



Quelle:
Bundesagentur für Arbeit
Rheinische Post
Focus.de



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3 Kommentare

  1. Einer der es geschafft hat, nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit wieder auf die Beine zu kommen: Und das gegen den erbitterten Widerstand der inkompetenten Jobcenter-Mitarbeiter (Nagold & Calw) und der unvorstellbaren Rechtsbeugungen der Bundesagentur für „Arbeitsverhinderung“, so einer kann auf die menschenunwürdigen Hartz4-Gesetze und die ganzen „Hartz4-Politiker“ nur noch pfeifen. Welch ein Glück.

  2. Die Bundesagentur für Arbeit und die „Jobcenter“ haben doch vor allem die folgenden Ziele:

    Fälschung der Arbeitslosenstatistik (Teilnehmer an „Maßnahmen“, Kranke und viele andere arbeitslose Menschen verschwinden gemäß der gesetzlichen Bestimmung aus der Statistik)

    Zweitens Kosteneinsparung (Deswegen sog. „Sanktionen“ und deswegen auch die Weigerung, mehr Personal einzustellen)

    Drittes Ziel ist es, der Arbeitslosen-pseudo-beschäftigungsindustrie, den Kommunen und gemeinnützigen Einrichtungen Teilnehmer/billige Arbeitskräfte zuzuschanzen. Die Arbeitslosenindustrie verdient daran (jedenfalls deren Köpfe), die anderen sparen Personalkosten ein.

    Und das ganze System, welches mit den Hartz-Gesetzen errichtet wurde, zielt darauf ab, den höchstmöglichen Druck auf ALLE Beschäftigten auszuüben: Wer kündigt, bekommt eine Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, wird quasi dafür bestraft, indem er Hartz4 bekommt. Zusätzlich wird er/sie dadurch bestraft, daß ihr/ihm die eigene berufliche Qualifikation aberkannt wird (jede Arbeit gilt als zumutbar).

    Um aber dieses ganze unsägliche Machwerk zu verbrämen, zu verstecken, damit nicht für jeden sichtbar wird, um was es wirklich geht, ist eine Propaganda-Fassade errichtet worden, an der ein Mao, Lenin oder Goebbels ihre Freude gehabt hätten. – Und die geht in etwa so: Figuren wie von der Layen, Alt oder Weise sondern immer und immer wieder dieselben Phrasen ab: „Integrieren“, „Arbeitslosen helfen“, „Zu einer Zusammenarbeit mit dem Jobcenter…“, „Chancen eröffnen, „Wege aufzeigen“, etc, etc. – Jeder, der nicht blind und taub ist, kennt dieses Geseiere inzwischen zu genüge. Das soll alles den (falschen) Eindruck erregen, einem arbeitslosen Menschen würde durch das „Jobcenter“ tatsächlich geholfen.

    Mich hat beim „Jobcenter“ noch nie jemand nach meinen Wünschen und Bedarfen gefragt und ich habe von so etwas auch noch nie gehört. Außer in (angeblichen) Beispielen aus der Nürnberger Propagandashow. In Wirklichkeit dient man für die „Jobcenter“ lediglich als Manövriermasse. Man wird _irgendwohin_ geschickt, es wird einem _irgendetwas_ übergestülpt. Eigene Vorschläge, Eigeninitiative sind zwecklos und nicht gefragt.

    Das alles ist – leider – genauso wahr wie folgerichtig. Auch ist das Hartz4-System auf eine perverse Weise „effektiv“, denn es vermindert tatsächlich die Anzahl der arbeitslosen Menschen- Auf die eine, die andere, oder auch auf eine dritte Art…

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