Interessantes aus der Presse

Das Geschäft mit der Angst oder: der Versicherungsvertreter. Eine Satire

Eine Satire von Jürgen Sprenzinger

Vorbemerkung: Jürgen Sprenzinger zählt zu den wenigen Autoren in Deutschland, die es auf eine Millionen-Auflage gebracht haben (so sein Buch „Sehr geehrter Herr Maggi“). Sein Erfolgsmodell: Sprenzinger nahm die Werbung von Unternehmen bierernst – und schrieb den Unternehmen dann groteske Briefe. So bestellte er z.B. bei einer Rüstungsfirma einen Panzer:

„Jedenfalls hab ich gehört, der Leopard 2 sei ein guter Panzer und den hätte ich gern. Aber wenns geht, nicht in dunkelgrün wie die Bundeswehr, aber vielleicht auch eine unauffällige Farbe, ein schönes tiefes Blau, das täte mir gefallen, außerdem will ich nicht mit einem Bundeswehrpanzer verwechselt werden, weil das vielleicht zu Mißverständnissen führen tät. Die Sonderlackierung zahle ich natürlich extra, da laß ich mich nicht lumpen, das Geld hab ich ja“.

Es ist uns eine große Ehre, nun Jürgen Sprenzinger als Autor bei finanzmarktwelt.de begrüssen zu dürfen!

Das Geschäft mit der Angst oder: der Versicherungsvertreter

Dass Versicherungen von der Angst der Leute leben, ist hinlänglich bekannt. Vielleicht ist nachfolgende Geschichte etwas übertrieben (absichtlich), aber das Prinzip der „Angstmache“ kommt ganz deutlich zum Ausdruck …

Nachmittags läutet es an meiner Haustüre. „Nie hat man seine Ruhe – Menschen sind etwas Lästiges!”, denke ich und öffne widerwillig die Haustüre.
„Guten Tag, Herr Sprenzinger, mein Name ist Stemmer, ich komme von der Schwallianz-Versicherung und wollte mal mit Ihnen sprechen.“
„Das tun Sie doch bereits“, entgegne ich.
„Sehen Sie, Herr Sprenzinger, wir machen gerade eine Aktion und wollten einmal feststellen, ob Sie Versorgungslücken haben.“
Bevor ich richtig begreife, was der Mann überhaupt von mir will, steht er schon in der Diele. Ich marschiere ins Wohnzimmer, er rennt wie ein anhänglicher Hund hinter mir her, zwangsläufig biete ich ihm einen Platz an.
„Nun“, beginnt er, „laut unserer Statistik sind viele Menschen völlig unterversichert. Und Sie wissen selbst – das Leben ist gefährlich und es kann einem ja so allerhand passieren, ein Unfall, ein Todesfall…“
„Ja“, sage ich, „dieses Leben ist eines der gefährlichsten.“
Durch diese Bemerkung aufgemuntert, fährt er fort: „Sehen Sie, Sie wissen es selbst. Darf ich Sie fragen: Haben Sie eine Lebensversicherung?“
„Ja“, sage ich, „eine Risikolebensversicherung, falls ich über den Jordan gehen sollte …“
„Sehr gut, sehr gut – dann sind ja zumindest Ihre Hinterbliebenen abgesichert. Aber sehen Sie, Herr Sprenzinger, Sie werden auch nicht jünger und der Zahn der Zeit …“
„Das weiß ich selbst“, entgegne ich etwas verärgert. „Ich habe drei Spiegel im Haus.“
„Oh, gleich drei Spiegel!“ Er schaut mich durchdringend an.
„Warum?“, frage ich zurück, „Sind drei Spiegel eine Seltenheit?“
„Nein, keinesfalls – doch was ist, wenn ein Spiegel kaputt geht?“
„Dann hab ich nur noch zwei“, entgegne ich.
„Ja, ja, das ist schon klar, aber wer ersetzt Ihnen den kaputten Spiegel in solch einem Fall?“, fragt er.
„Das weiß ich auch nicht“, meine ich daraufhin – „ich kaufe halt einfach einen neuen …“
„Nun stellen Sie sich aber einmal vor, es handelt sich gar nicht um Ihren eigenen Spiegel, sondern um den Spiegel eines Bekannten.“ Er schaut mich streng an.
„Ich interessiere mich grundsätzlich nicht für anderer Leute Spiegel“, entgegne ich.
„Das sollten Sie aber“, entgegnet er, „denn sehen Sie, es kann doch passieren, dass Sie beispielsweise einen Bekannten besuchen, Sie rutschen in dessen Wohnung aus und fallen in seinen Spiegel – der zerbricht in tausend Scherben und ist somit nicht mehr zu gebrauchen …“
„Der Spiegel spiegelt also nicht mehr“, sage ich.
„Ja, genau. Jetzt ist das zufällig kein Spiegel für 50 Mark vom Karstadt – nein, sondern ein teurer Rokoko-Spiegel, der sagen wir, 2000 Euro gekostet hat. Und den sollen Sie nun ersetzen.“
„Ich habe keinen einzigen Bekannten, der so blöd wäre, sich einen Rokoko-Spiegel für 2000 Euro an die Wand zu hängen, zudem falle ich meist nie in den Spiegel – eher mit der Tür ins Haus“, entgegne ich.
„Das war doch nur ein Beispiel“, fährt er fort, „ich wollte Ihnen nur klar machen, dass man heutzutage unbedingt eine Haftpflichtversicherung braucht. Denn es kann doch leicht passieren, dass Sie unbeabsichtigt etwas beschädigen und es anschließend natürlich ersetzen müssen. Haben Sie in solch einem Fall eine Haftpflichtversicherung, dann melden Sie uns den Schaden und wir bezahlen ihn. Haben Sie überhaupt eine Haftpflichtversicherung?“
„Nein, eigentlich nicht, aber ich sag’s Ihnen wie es ist”, raunze ich, „ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Spiegel zerstört!“
„Gut“, meint er weiter, „das war vielleicht ein schlechtes Beispiel.“. Der Mann sieht mich eindringlich an. „Aber nehmen wir ruhig einen anderen Fall: Sie fahren mit dem Fahrrad in eine Straßenkreuzung ein, dabei fliegt Ihnen eine Mücke ins Auge, und dadurch übersehen Sie ein herannahendes Auto. Der Autofahrer ist deshalb gezwungen, eine Vollbremsung zu machen. Hinter diesem Auto fährt ein Lkw, der brennbares Material, zum Beispiel Benzin geladen hat. Der Lkw rechnet natürlich nicht mit der Vollbremsung des vorausfahrenden Pkw und fährt diesem von hinten auf.“
„Ein saudummer Zufall“, entfährt es mir.
„Ja, aber solche Sachen gibt es!“ Er hebt warnend den Zeigefinger. „Das könnte noch viel schlimmer ausgehen!“
Ich schüttle den Kopf. Er fährt fort: „Natürlich könnte das schlimmer ausgehen. Stellen Sie sich weiterhin vor: Der Lkw kippt um, das Benzin läuft auf die Straße …”
„… und plötzlich kommt ein Fußgänger mit einer brennenden Zigarette um die Ecke …”, mutmaße ich.
„Genau – woher wissen Sie das? Also, richtig. Ein Fußgänger kommt mit einer brennenden Zigarette um die Ecke …“
„Es macht Bumm!“, sage ich.
„Richtig – es macht Bumm. Und plötzlich steht die ganze Straße in Flammen …“ Der Mann hat einen roten Kopf bekommen und redet nun mit Händen und Füßen.
„Das wäre ein Inferno. Ich hab da erst vor Kurzem einen Film gesehen, da ist der gesamte Stadtkern von Los Angeles …“, bemerke ich.
„Ein Inferno wäre das, richtig. Stellen Sie sich vor, der Brand weitet sich aus …“, unterbricht er mich.
„Und auch das Feuerwehrhaus brennt bereits …“, werfe ich ein.
„Und auch das Feuerwehrhaus brennt bereits …“, wiederholt er.
„Den Brand könnte man nie mehr löschen, der würde sich auf die ganze Stadt ausbreiten“, sage ich.
„Das wäre eine Katastrophe! Niemand könnte solch einen Brand jemals löschen – alles wäre in Schutt und Asche! Das wäre fast wie ein Kriegszustand. Und wissen Sie, wer an allem schuld wäre?“ Eindringlich sieht er mich an.
Jetzt komme auch ich langsam in Fahrt: „Aber das alles könnte ja noch viel schlimmer kommen“, sage ich und fahre ungerührt fort: „Denn stellen Sie sich nur mal vor, zufällig wäre in der Nähe der Stadt ein Atomwaffenlager. Und da gehen ein paar Atombomben hoch …“
„Nun“, entgegnet er todernst, „wir wollen jetzt nicht übertreiben …“
„Doch“, entgegne ich, „das könnte durchaus sein! Stellen Sie sich vor, da gingen zehn bis zwanzig Atombomben hoch. Für ein so kleines Land wie Deutschland wäre das Ende! Auch die Nachbarländer wie Österreich oder die Schweiz wären davon betroffen. Denn der radioaktive Fallout wäre in so einem Fall beträchtlich …“
„Natürlich könnten Sie da Recht haben“, meint er, „aber soweit würde das nun auch wieder nicht gehen, glaube ich …“
„Was??“, schreie ich ihn an, „Soweit würde das nicht gehen? Natürlich geht radioaktiver Fallout bis in die Schweiz! Und nicht nur das! Sogar Frankreich wäre davon betroffen! Und nun stellen Sie sich vor: Die Franzosen sähen das als Angriff auf ihr Land und würden nun wiederum zum Gegenschlag ausholen! Da sie nicht wissen, woher der radioaktive Fallout kommt, würden Sie natürlich auch Amerika und England angreifen. Die Folge wäre die totale Vernichtung der Erde!“
Der Versicherungsvertreter springt auf: „Nun machen Sie aber einen Punkt! Das ist doch blanker Unsinn!“
„Unsinn sagen Sie? Sie haben ja gar keine Ahnung! Das könnte noch viel, viel schlimmer kommen. Das wäre erst der Anfang vom Ende!“
Der Mann ist bleich geworden.
„Denn überlegen Sie doch mal”, rede ich unbeirrt weiter, „durch die vielen Atomexplosionen wirft es die Erde doch mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der gewohnten Umlaufbahn. Dadurch kommen alle anderen Planeten des Sonnensystems aus dem Gleichgewicht, weil ja das ganze Gravitationsfeld gestört ist. Nichts ist mehr so, wie es einmal war, alles wird instabil – das gesamte Sonnensystem bricht zusammen!“
„Unfassbar, das wäre unvorstellbar“, stöhnt der Mann. Er sitzt wie ein Häufchen Elend auf meiner Couch.
„Nichts mehr in der Galaxis wäre in Ordnung, glauben Sie mir“, erkläre ich, „Und ich bin ziemlich sicher, das könnte noch viel, viel weitreichendere Folgen haben, einen Totalkollaps des gesamten Universums beispielsweise …“
Der Mann wischt sich den Schweiß von der Stirn und flüstert „Oh mein Gott!“
„Und wissen Sie, wer schuld ist an der ganzen Katastrophe?“, frage ich.
„Sie! Nur Sie und Sie ganz allein!“, schreit er mich plötzlich an. „Hätten Sie besser aufgepasst mit Ihrem blöden Fahrrad und wären Sie nicht in die Kreuzung gefahren ohne Ihre Augen aufzumachen, dann wäre jetzt nicht das gesamte Universum vernichtet!“
Nun geht auch mir der Gaul durch, denn der Mensch begreift anscheinend überhaupt nichts.
„Nicht ich bin schuld, nicht ich – die Mücke ist schuld! Wäre Sie mir nicht ins Auge geflogen, dann wäre das alles nicht passiert – dann hätte ich doch niemals das Auto übersehen! Nicht ich hätte die Haftpflichtversicherung gebraucht, sondern eigentlich die Mücke!“

Hastig packt der Typ seine Aktentasche und steht auf. „Sie sind ein Irrer!“, schreit er noch einmal vor der Haustüre, „Ein Wahnsinniger, übergeschnappt, eine Gefährdung für die gesamte Menschheit …!“



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