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Der Mindestlohn: Erst gestern angehoben, wird er bald wohl kräftig aufgeweicht

Seit gestern gilt in Deutschland statt 8,50 Euro der erhöhte Mindestlohn von 8,84 Euro. So weit so gut für die Arbeitnehmer "am unteren Ende", mag man meinen. Ob aus gutem Willen für...

FMW-Redaktion

Seit gestern gilt in Deutschland statt 8,50 Euro der erhöhte Mindestlohn von 8,84 Euro. So weit so gut für die Arbeitnehmer „am unteren Ende“, mag man meinen. Ob aus gutem Willen für arbeitswillige Flüchtlinge, oder ob aus böser Absicht: Genau im selben Augenblick wo dieser Stundenlohn gerade erst angehoben wurde, arbeitet man in mehreren Ministerien in Berlin gerade daran ihn kräftig aufzuweichen. Man könnte auch sagen „Unterwandern“, oder man könnte sagen es wird ein paralleler Arbeitsmarkt geschaffen, der den Mindestlohn auf die „stille Treppe“ verbannt.

Neben CDU-Ministerien ist bei der Planung der Mindestlohnumgehung offenbar auch das von der SPD geführte Arbeitsministerium mit von der Partie. Nochmal: Es mag sein, dass es gute Intentionen gibt Flüchtlinge schneller in Arbeit zu bekommen. Aber letztlich führt die Abschaffung des Mindestlohns für Flüchtlinge zu einer gefährlichen Parallelwelt, die dazu führt, dass man statt der Stammbelegschaft, die 8,84 Euro verdient, nun Flüchtlinge in einfachen Tätigkeiten beschäftigt. Wie das gehen soll? Nun, laut SZ soll der Mindestlohn an sich bestehen bleiben.

Nur hat man einen Weg gefunden eine gut formulierte Ausnahme zu schaffen. Flüchtlinge, die zwar einen Berufsabschluss oder eine sonstige Qualifikation mitbringen, sich aber noch „nachqualifizieren“ müssen für eine vollständige Anerkennung ihrer Ausbildung, sollen unter diese Ausnahmeregelung fallen können. Die Arbeitszeit, in der sie sich nämlich im Betrieb „nachqualifizieren“, soll als „Pflichtpraktikum“ eingestuft werden, auf das ein Mindestlohn nicht angewendet wird. Genau an dieser Regelung wird momentan in Berlin gearbeitet. Was würde das in der Praxis bedeuten? Der Arbeitgeber könnte einfach mit einer Art Mustervertrag für „Pflichtpraktika“ winken statt mit Arbeitsverträgen. Dann wird irgendeine Qualifikation eingetragen, die noch „nachgeschult“ werden muss im laufenden Praktikum. Tja, und so ein Praktikum kann sicherlich einige Zeit dauern.

Bei einfachsten Tätigkeiten und einer gewissen Anzahl von Praktikanten macht es sich für Arbeitgeber sicherlich gut bemerkbar, wenn man vielleicht nur 4 oder 5 Euro die Stunde zahlt statt 8,84 Euro. Der Druck auf „normale Arbeitnehmer“ zum Beispiel Überstunden umsonst zu verrichten, dürfte dadurch massiv steigen. Wer will schon gerne ersetzt werden durch einen „Praktikanten“, der den selben Job für vielleicht nur 5 Euro verrichtet? Erstaunlich, aber bisher war sogar die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gegen solche Ausnahmen. Der DGB läuft Sturm, und sieht es da ziemlich genau so wie wir. Die Folgen wären verheerend.

So sagt der DGB, dass manche Unternehmen Flüchtlingen, die ihre Rechte nicht kennen, schon jetzt als billige Arbeitskräfte ausnutzen. Der Staat dürfe nicht auch noch Lösungen präsentieren, um Flüchtlinge vom Mindestlohn offiziell ausschließen zu können. Die Einfallstore zur Umgehung des Mindestlohns würden dadurch größer, und kaum noch kontrollierbar, so der DGB. Und mal ehrlich, so meinen wir: Wenn das durchkommt, und Zoll oder Arbeitsagentur monieren bei Arbeitgebern die rechtswidrige Verwendung solcher Praktika, wird es auf eine Lawine an Rechtsstreitigkeiten hinauslaufen. Wie will der Staat in tausenden Einzelfällen gerichtsfest nachprüfen, was im Betrieb als Praktikum und was als richtige Arbeit verrichtet wurde?

Laut DGB würden die klassischen Einarbeitungsphasen zukünftig umdeklariert zu Pflichtpraktika. Die damit verbundene Umgehung des Mindestlohns sei Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten, die behaupten würden Ausländer würden Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, weil sie billiger zu haben seien. Im Diskussionspapier der Bundesministerien wird als Beispiel für so eine „Nachqualifizierung über ein Praktikum“ ein syrischer Tischler genannt, der noch ein neun Monate langes Praktikum absolvieren muss, weil für die Anerkennung des Berufsabschlusses noch genau diese neun Monate Ausbildungszeit fehlen. Für diesen „Praktikumszeitraum“ würde der Mindestlohn entfallen. Da haben wir aber noch eine ganz andere Frage, die im Raum stehen sollte.

Ohne irgendwen oder irgendwas abwerten zu wollen: Kann man Berufsausbildungen, Lehrgänge und sonstige Qualifikationen aus Syrien, Afghanistan etc mit der Ausbildung im selben Beruf in Deutschland vergleichen? Ist es nicht albern nur die Dauer der Ausbildung nachholen zu wollen? Woher will man wissen, ob im Herkunftsland die für deutsche Arbeitgeber notwendigen Grundkenntnisse gelehrt wurden? Schließlich ist es kein Geheimnis, dass das deutsche duale Bildungssystem mit staatlichen Berufsschulen selbst in westlichen Industrienationen fast gar nicht existiert.

Was bringt es da nur plump auf die zeitliche Angleichung der Ausbildungsdauer zu gucken? Die inhaltliche Angleichung von Standards beziehungsweise deren Nachprüfung wäre doch viel wichtiger! Aber wir Kleingläubigen sitzen ja weit weg vom Ort des Geschehens – die Lebenswirklichkeit findet statt in den Ministerien in Berlin!



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2 Kommentare

  1. „Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten“
    Wasser oder Fakten?
    Ist es dann noch Popolismus oder das Anprangern miserabler Zustände in Deutschland?

    Werden dann die Rechtspopulisten zu Verbündeten des DGB in diesem Fall?

    Sind die Rechtspopulisten dann ALTERNATIVLOS weil es die etablierten Parteien nicht diese Missstände bekämpfen sondern schaffen?

    Wer ist wohl der größte Schuft wenn es um das Wohl der Bevölkerung geht? Der Rechtspoulist oder der Wirtschaftslobbyist? Oder Haben wir Pest und Colera zur Auswahl?

  2. Aktuelles „Lohnabstandsniveau 2013“ zur Sozialhilfe weniger als 79,85 Euro im Monat (bei 7,86 Euro Brutto je Stunde in Vollzeit)

    Brutto Arbeitsentgelt je Stunde 7,86 Euro (Zeitarbeit 2013)
    Arbeitsstunden je Monat 160

    Bruttolohn 1.257,60 Euro
    Nettolohn 948,22 Euro
    – Regelsatz 2013 382,00 Euro
    – Kosten Unterkunft 383,39 Euro*
    – Beitragsservice 17,98 Euro
    – Ticket ÖPNV 85,00 Euro

    Lohnabstandsniveau 79,85 Euro**

    * 383,39 Euro = angemessene Kaltmiete 232,00 Euro + angemessene Nebenkosten 76,70 Euro + angemessene Heizkosten 74,69 Euro für 2013 im Kreis Soest (ab 01.04.2013)

    ** vorausgesetzt der Winter hält sich auch an die angemessene Heizperiode innerhalb der Richtlinien des Kreises für die Kosten der Unterkunft (Heizung & Warmwasser) und die Stadtwerke kalkulieren ebenfalls angemessen und maßvoll ihre Strom-, Gas- und Wasserpreise

    Aktuelles „Lohnabstandsniveau 2013“ zur Sozialhilfe unter 79,85 Euro im Monat
    https://aufgewachter.wordpress.com/2013/11/05/aktuelles-lohnabstandsniveau-2013-zur-sozialhilfe-unter-7985-euro-im-monat/

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