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Hans-Werner Sinn und das TTIP-Theater: Interessante Aspekte und ein Problem

FMW-Redaktion

Hans-Werner Sinn kritisiert ein großes Theater bei TTIP ausgetragen zwischen den USA, Frankreich und Deutschland. Seine kürzlich veröffentlichte Kolumne trägt den Titel „Wer den Freihandel blockiert, kämpft in Wahrheit gegen eine Steigerung des eigenen Lebensstandards. Denn dem Verbraucher werden hochwertige Importgüter vorenthalten.“

In seiner Kolumne für die Wirtschaftswoche geht Sinn darauf ein, dass die USA gerne ihre Agrarprodukte in Europa frei vertreiben möchten, dass Deutschland seine Autos zollfrei in die USA verschiffen möchte, und dass Frankreich seinen Agrarmarkt vor den wohl billigeren US-Agrarprodukten abschotten möchte. Sinn schreibt jede Seite würde um das Recht kämpfen den Verbrauchern des eigenen Landes die Steigerung des Lebensstandards untersagen zu dürfen, die mit dem Erwerb attraktiver Importwaren einherginge.

Sinn plädiert als frei denkender Ökonom der alten Schule für den freien Markt, was auch alles nachvollziehbar und grundsätzlich vollkommen in Ordnung ist. Wenn jeder mit jedem unbeschränkt durch Zölle und Verbote Handel betreiben darf, kommt es nach Sinn´s Ausführungen zu besseren und preiswerteren Produkten für alle Verbraucher, da sich alle Produzenten, im In- wie im Ausland, dem Wettbewerb stellen müssen. Schottet z.B. Frankreich seinen Markt gegen US-Agrarprodukte ab, zahlen die Franzosen vielleicht zu viel für Geflügel im Supermarkt – so könnte man es exemplarisch ausdrücken.

Wir sehen in Sinn´s Denkweise auf globaler Ebene gesehen aber ein Problem. Weltweit alle Handelsschranken zu beseitigen und so einen globalen Effizienzwettbewerb in Gang zu setzen, der den Verbrauchern billigere und innovativere Waren bringt, klingt gut, und ist auch gut. Nur gibt es global gesehen in vielen Regionen enorme Einkommens- und Wohlstandsunterschiede. Die Wirtschaft würde ohne jegliche Zollbeschränkungen in noch viel größeren Umfang als schon jetzt den billigsten und dann den noch billigeren Produktionsstandort suchen – eine Spirale nach unten, die in den derzeitigen Hochlohnländern zu schrumpfenden Einkommen und Arbeitsplatzverlusten führen wird, zwangsläufig. Wenn man das akzeptiert, ist das in Ordnung. Wenn man das aber nicht akzeptieren will, muss man eine globale Angleichung von Löhnen und Wohlstand schrittweise und behutsam vornehmen – diese Tatsache hat Sinn in seinen Ausführungen wohl nicht so ganz berücksichtigt. Sinn schreibt aus seiner Sicht (nachvollziehbar) folgendes:


„Die Einwohner eines jeden Landes haben bei jeder Produktkategorie die Wahl, heimische Produkte zu kaufen oder Importgüter zu erwerben, wenn sie diese als preiswerter empfinden. Wenn sie von dieser Wahlmöglichkeit Gebrauch machen, stellen sie sich in allen Ländern besser, als wenn es keinen Freihandel gäbe. Eigentlich müsste man deshalb erwarten, dass alle Staaten aus freien Stücken ihre Grenzen für Importwaren öffnen und dass es keiner Abkommen zur Handelserleichterung bedarf. Dass es in der Praxis anders läuft, ist eine Paradoxie, die beweist, wie wenig Wirtschaftspolitik mit Nutzenmaximierung für die Bevölkerung zu tun hat. Die Paradoxie wird, wie Hannelore Weck-Hannemann von der Universität Innsbruck schon vor vielen Jahren gezeigt hat, auch dadurch erklärt, dass sich Regierungen dem Druck heimischer Produzenten beugen.“


Sinn schmeißt einen interessanten Aspekt in den Ring. Wenn Deutschland seine Autos unbedingt zollfrei in die USA exportieren will, und dabei aber von den Franzosen bei TTIP ausgebremst wird, weil die ihre Bauern schützen wollen, müsse laut Sinn Deutschland an Frankreich eine Art TTIP-Preis zahlen. Der könne laut Sinn so aussehen:


„Noch weiß niemand, was Deutschland Frankreich zahlen wird. Doch wenn man bedenkt, dass Frankreich eine europäische Wirtschaftsregierung mit einem gemeinsamen Budget fordert, das sich über Euro-Bonds finanzieren soll, ahnt man, wohin die Reise geht. Auch die französische Forderung nach einer gemeinsamen Einlagenversicherung für Banken kommt in Erinnerung.“


Wir meinen: Das könnte beides in der Tat passieren. Mutti Angela könnte Frankreichs Drängen nach einer EU-Integration wie im vorigen Absatz beschrieben nachgeben, damit Daimler, Porsche und Co zollfrei in die USA verschiffen können. Wir finden das wäre langfristig gesehen ein ziemlich hoher Preis – z.B. für die deutschen Banken und Bankkunden, deren mühsam angesparten Notreserven für Bankenpleiten irgendwann und irgendwo in Spanien oder Italien verbrannt werden.



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3 Kommentare

  1. Eins stimmt nicht: Die Menschen hätten ja die Wahl.
    a) TTIP bringt auch anderes Recht in alle Welt und zwar das des Stärkeren. So haben viele Angst vor Wucherpreisen wegen Monopolstellungen! Das ist nicht egal!
    b) Viele Inhalte werden nicht mehr gekennzeichnet, ob gewollt oder Betrug. Das ist in einem „globalen“ Markt nur noch schlimmer, und absolut unüberschaubar. Sogar für die Bürokratenwut aus Rüssel.
    c) Viele Usa-Standards wie genmanipuliert wollen wir nicht. Dafür gibt es nicht einfach nur Zölle, sondern Einfuhrverbote. Und die werden bei TTIP unmöglich. Und deswegen wehren sich die Deutschen gegen den Fraß aus usa.

  2. Ökonomisch gesehen mag TTIP eine gute Sache für die beteiligten Länder sein. Aber ich befürchte, dass dafür die sozialen und ethischen Notwendigkeiten noch nicht vorhanden sind. Kurz: Die Menschheit ist noch nicht reif für die erstrebten Freiheiten. Zunächst müsste das Marktgesetz „wachse oder weiche“, das die Konzentration von Unternehmen – und damit die Monopolbildung – befördert z.B. unter dem Aspekt „Lebensraum fördernd für alle“ und „kein Wachstum zu Lasten Betroffener“ gezähmt werden. Statt klingende Münzen angesichts des Elends anzuhäufen – die Blasen der Finanzmärkte zu füttern – muss Wirtschaft so teilfreudig werden, dass das Ziel „friedliche globale Koexistenz bei steigender Humanität“ mit jeder ihrer Maßnahmen vorankommt. Wirtschaft muss neu ihre das Leben fördernde Funktion entdecken, statt Lebensmöglichkeiten zu vermindern. Die dafür notwendigen Regeln müssen erst noch gesetzt werden – dann kann größere Freiheit gewährt werden.

  3. Der Artikel hat beim Lohndumping-Argument einen Fehler: Selbst das billigste Land auf der Welt hat nicht unbegrenzt Kapazitäten um alle Produkte für die Welt herzustellen, folglich müssen die Länder sich in ihrem komparativen Vorteil spezialisieren. Das Ricardo-Modell (siehe Wikipedia) besagt, dass es der Welt sogar auch besser geht, wenn ein Land im Handel dominiert. Rechnen Sie es selber aus, auf Wikipedia gibt es Rechenbeispiele.

    Martin Stopford, im Buch Maritime Economics 2nd Edition, schreibt:
    „Suppose one country is better at producing all goods? Surely free trade would be a threat to the less efficient country whose food and textile businesses would be driven out of business, leaving them in poverty? If this is true, inefficient countries must avoid trade at all costs. The Theory of Comparative Advantage, published by David Ricardo in 1817, demonstrated that this was not the case. He proved that trade is beneficial, even if one country is more efficient than its tradingpartners at producing all goods. If we rerun the example, but make the US better at producing both food and cloth, the countries are still richer with trade than without. The US now requires less labour than the UK to produce both food and cloth. If there is no trade it can produce the 12 tons of food it needs and 24 bales of cloth (12, 24). Britain would produce 12 tons of food, but only six bales of cloth (12, 6). However if the countries specialize in the product in which they are relatively more efficient, their production increases. The UK is now relatively more efficient at food production, because British food requires only twice as much labour as cloth, whereas in the US food requires three times as much labour. So the UK specializes in food, producing 15 tons, consuming 12 and leaving a surplus of 3 to export. With imports of 3 tons of food, the US would now only have to produce 9 tons of food, requiring 27 units of labour. With the remaining 33 units of labour it could produce 33 bales of cloth. This compares with the total world cloth production before trade of 30 units (i.e. 24 plus 6). Trade has increased output by 3 bales of cloth. Not much, but better than nothing. The heart of the theory is that provided each country is more efficient at producing some goods than others, trade will be beneficial if each country specializes in the products at which it is relatively most efficient.

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