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Globalisierungs-Beruhigungspille im Dauer-Replay

Es lautet "Offene Märkte bringen Wohlstand für alle" und als Ergänzung stets wichtig "wir werden sicherstellen, dass wirklich alle davon profitieren". Komischerweise wird der Ergänzungsteil erst seit Brexit und Trump...

Von Claudio Kummerfeld

Wissen Sie, was ein Narativ ist? Laut Wikipedia ist es eine „sinnstiftende Erzählung, die Einfluss hat auf die Art, wie die Umwelt wahrgenommen wird.“ Welches Narrativ wird von der großen Politik sowie diversen Ökonomen und Journalisten regelämßig verwendet, vor allem seit den überraschenden Abstimmungen zum Brexit und zur US-Präsidentschaft? Es lautet „Offene Märkte bringen Wohlstand für alle“ und als Ergänzung stets wichtig „wir werden sicherstellen, dass wirklich alle davon profitieren“. Komischerweise wird der Ergänzungsteil erst seit Brexit und Trump hinten dran gesetzt von den entsprechenden Rednern. Gut, der eine formuliert es so, der andere so, aber inhaltlich ist es das selbe. Je öfter man es wiederholt, desto eher soll der Mensch ja glauben, dass es wahr ist. Das ist auch oft der Grund dafür, warum Wahl-Slogans und Parolen möglichst oft und exakt wiederholt werden.

Hat der Mensch die Slogans nur oft genug gehört, soll er irgendwann auch daran glauben, oder den Slogan zumindest akzeptieren. Aber in diesem Fall ist der Zusatz, der aktuell verwendet wird, schon ein Widerspruch in sich. Denn wenn offene Märkte Wohlstand für alle bringen, warum muss die Politik dann überhaupt noch aufpassen, dass auch wirklich alle davon profitieren? Es ist schon komisch. Genau diesen Widerspruch erlebt man ganz aktuell erneut, diesmal vom Chef der OECD Angel Gurria.

Heute treffen sich im Bundeskanzleramt mit Mutti Merkel die Chefs von OECD, Weltbank, IWF, Internationaler Arbeitsorganisation und Welthandelsorganisation. Es soll wohl um das große Ganze gehen, mehr sozialer Zusammenhalt, Steuergerechtigkeit, und vor allem freier Welthandel im Zeichen der „Trumponomics“. Freier Handel oder zumindest relativ freier Handel ist grundsätzlich nicht verkehrt, denn gerade Deutschland profitiert davon. Aber ob das auch für Deutschland auf Dauer gut geht, wenn nicht nur einfache, sondern auch die mittleren und extrem anspruchsvollen Tätigkeiten schon in Billiglohnländer abwandern (Lufthansa Technik usw), daran darf man seine Zweifel haben.

Die deutsche Volkswirtschaft ist gerade Monat für Monat dabei den „neuen Arbeitslosen“, die einst in Industrie und Banken tätig waren, neue Jobs zu verschaffen im Wachschutz, Pflegeheimen, Logistik, Zeitarbeit uvm. Die Löhne sinken für diese Personengruppen drastisch. Aber wir schwelgen ab vom OECD-Chef. Was hat den Angel Gurria im Vorfeld des Treffens mit Mutti Merkel gesagt? Offene Märkte blieben die Garantien für Wachstum und Wohlstand. Man brauche aber parallel dazu auch Rahmenbedingungen, die sicherstellen würden, dass alle profitieren. Da ist es wieder, das Narrativ. Alle gewinnen, und keine Angst, wir stellen sicher, dass auch wirklich alle gewinnen!?! Alles klar?

Gurria sagte ebenfalls es gehe um Reformen, die nicht nur das Wachstum fördern, sondern auch den sozialen Zusammenhalt. Dabei erwähnte er auch die von der OECD vorangetriebenen Maßnahmen gegen Steuerflucht- und Vermeidung. Der Kampf für mehr Steuergerechtigkeit ist durchweg positiv zu bewerten. Aber selbst wenn Steuervermeidung ausgemerzt wird – was hilft das bei strukturellen Verlagerungen von Arbeitsplätzen von Hochlohn- und Niedriglohnländer? Was hilft es denn „neuen Arbeitslosen“, dass der Staat mehr Steuern einnimmt?

Da gäbe es ein anderes Narrativ, dass auch so mancher hin und wieder benutzt. „Ehrlich machen“. Ehrlicher wäre es eigentlich zu sagen, dass beim globalen offenen Handel in den Hochlohn-Ländern eben die unteren Schichten noch weiter abrutschen als ohnehin schon, weil deren Jobs in Niedriglohnländer abwandern. Aber das passt irgendwie nicht so gut, wenn wie bei uns die nächste Wahl vor der Tür steht? Noch kein Politiker, der dieses im ersten Absatz des Artikels erwähnte Narrativ ständig raushaut, hat der Öffentlichkeit verraten, wie denn „wirklich alle“ vom offenen Handel profitieren sollen.

Stets wird nur betont, dass man sicherstellen werde, dass alle profitieren. Aber wie das gehen soll, auf die Antwort warten auch wir noch gespannt. Denn es ist und bleibt eine einfache Rechnung. Für Millionen neuer Arbeitsloser ist kein Angebot vorhanden nach dem Motto „wir schulen Millionen Menschen um zu App-Programmierern, Roboteringenieuren und Wirtschaftsprüfern“. So viel Nachfrage nach neuen Mitarbeitern haben diese Branchen sicher nicht! Es ist und bleibt traurig, dass noch kein Frank Plasberg und keine Anne Will an genau der Stelle bei den Talkshowgästen zum Thema „Globalisieurung – wir gewinnen alle“ nachgefragt hat: Wie genau stellen wir denn nun sicher, dass alle profitieren?



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4 Kommentare

  1. Hat jemand schon mal Monopoly gespielt?
    Ein wenig vereinfacht stellt das Spiel der wirklichen Welt meiner Meinung nach ziemlich gut dar: es gewinnen eben doch nicht alle. Der Gewinn von einer kostet die Pleitte der Andere. So ist es in der Welt auch. Solange die Resourcen limitiert sind, kann es nicht alle dauerhaft besser gehen. Schöner als bei Monopoly kann man das nicht lernen.
    Oder in der echte Welt natürlich. Aber da dauert es vielleicht ein Weilchen bis man bemerkt, dass das so ist.

    1. Jeder Börsianer könnte in Monopoly gegen ein Kind verlieren. Weil Monopoly neben Glücksspiel auf eindeutigen Regeln basiert, die man einhalten muss. Kein Betrügen, keine Ausreden.
      Wir haben auch schon vor 40 Jahren Monopoly gespielt. Und was daraus gelernt? Glück und Zufall kann vieles beeinflussen, aber seriöse Planung mit fundierten Käufen führt sehr oft am Ende zum Erfolg.
      Die Zufallskarten würden beispielsweise schlechte Arbeitsmarktdaten in USA signalisieren: Gehe 10 Felder zurück.
      Was signalisieren sie in der realen Börsen-Welt?

  2. Wer nimmt das Politiker-bla-bla eigentlich noch ernst?

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