Hintergrund

Jetzt reichts!

Der Westen blamiert sich auf ganzer Linie – und verrät dabei seine wichtigsten Prinzipien..

Irgendwie habe ich momentan das Gefühl, in der falschen Welt zu leben. Den Kalten Krieg kenne ich noch aus meiner Jugend, als wir den Atomkrieg zwischen den USA und der damaligen UdSSR ebenso so fürchteten wie einst die Gallier, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Beides ist zum Glück nicht passiert, aber dennoch hat die aktuelle Entwicklung in der Ukraine-Krise erhebliches Eskalationspotential. Es geht jetzt nicht mehr nur um einen Konflikt mit Russland, sondern mit den Schwellenländern insgesamt – wie die Solidaritätsbezeugungen Chinas und Indiens für Russland verdeutlichen!

Und das ist, das muss man einfach mal klar sagen, vorwiegend die Schuld des Westens! Und das vorwiegend aus zwei Gründen: erstens fehlt jede Empathie für die geostrategischen Interessen Russlands, das sich vom Westen vor allem seit dem NATO-Beitritt Polens und der baltischen Staaten eingekreist fühlt. Wären die Amerikaner in einer ähnlichen Lage wie Russland derzeit, dürfte ihre Reaktion nicht abweichen von dem, was Russland derzeit tut – zumal das russische Argument, die vorwiegend russische Bevölkerung auf der Krim und der Ostukraine schützen zu wollen, nicht wirklich sehr weit hergeholt ist.

Der zweite Grund aber ist noch entscheidender: der Westen verrät seine eigenen Prinzipien. Auch wenn es unangenehm ist: Janukowitsch war demokratisch gewählt, vorwiegend von der russischen Bevölkerung in der Ukraine. Dass der Westen den Umsturz in Kiew vorbehaltlos bejubelt, während auf der Krim der Wille der Bevölkerungsmehrheit irrelevant ist, ist schwer zu begründen. Nimmt man Demokratie wirklich ernst, muss man eben auch die Mehrheitsmeinung akzeptieren – und zwar nicht nur, wenn es gerade mal ins eigene Konzept passt!

Der Westen hat nur ein einziges, dünnes Argument, um seine Position zu begründen: die territoriale Integrität der Ukraine. Aber die Ukraine in ihrer heutigen Form ist ein Kunst-Produkt der Nachkriegszeit, die Verbindungen zu Russland dagegen reichen weit ins Mittelalter. Nicht zufällig hieß die erste Staatsbildung auf dem Terrain der heutigen Ukraine „Kiewer-Rus“.

Die Ukraine in ihrer heutigen Staatsform ist – angesichts des Konflikts – ohnehin schon Geschichte. Es ist eine Illusion des Westens zu glauben, dass nach allem was passiert ist, die Ukraine einfach so weiterbestehen könnte. Wenn der Westen seine ureigensten Prinzipien ernst nehmen will, muss er letztlich auch den Willen der Krim-Bevölkerung und der Ostukraine ernst nehmen – und zulassen, dass beide Gebiete sich mehr oder minder direkt an Russland anschließen. Wenn die Leute zu Russland wollen, muss man sie lassen. Was hat der Westen auf der Krim oder der Ostukraine zu verlieren? Nichts!

Deshalb kann eine Lösung nur so aussehen: der Westen akzeptiert, dass die Krim und die Ostukraine sich in irgendeiner Form an Russland anschließen. Bedingung: keine russischen Truppen auf diesem Terrain einerseits, der Schutz der Minderheitsbevölkerung auf der Krim (Tartaren und Ukrainer) und in der Ostukraine (Ukrainer) andererseits. Damit bekommt Russland seine Pufferzone gegen den Westen und die NATO – das ist auch die berechtigte Forderung Moskaus.

Andererseits akzeptiert Russland, dass in der Westukraine freie Wahlen staatfinden, die vermutlich zu einer prowestlichen Regierung und einem Staat Westukraine führen. Auch hier: Minderheitenschutz der russischen Bevölkerung einerseits, keine NATO-Mitgliedschaft der Westukraine andererseits.

Der Westen muss jetzt ganz schnell von seinem hohen Ross absteigen und sich an seine Grundwerte erinnern: Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und endlich Schluß machen mit dem unerträglichen Messen mit zweierlei Maß: Kiew ist gut, Moskau ist böse, hier ist Demokratie gut, dort schlecht.

Ich jedenfalls fühle mich von unseren westlichen Politikern in der Ukraine-Krise extrem schlecht vertreten – geht es Ihnen auch so?



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5 Kommentare

  1. etwas polemisch teilweise aber passend dazu das folgende Video:
    https://www.youtube.com/watch?v=sdrBMRSFqOg

  2. “In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.”
    //Egon Bahr SPD

  3. Ganz genau so wie sie sehe ich das auch.

  4. Mir geht es genauso, und ich werde auch gerne auf meiner Webseite zu diesem Kommentar verlinken. Ich kann nicht mehr hören, wie „der Westen“ behauptet, es gäbe in der Ukraine eine Regierung – was als diese bezeichnet wird, sind Putschisten, darunter auch Neonazis. Die EU erkennt also einen Putsch an und will Sanktionen gegen Russland, ein Land, das sich zum Völkerrecht und zur Europäischen Menschenrechtskonvention bekennt, ein Land, das damit auch die Werte der EU und deren Verträge ernst nimmt, während Obamas Pudel Angie und alle anderen sie verraten. Die EU ist daher Geschichte, und das vor Wahlen zum EU-Parlament.

  5. Sehr richtig Herr Fugmann!
    So geht es mir auch.

    Aber noch etwas anderes wird offenbart: Der deutsche Journalismus ist in der Krise! Einer Glaubwürdigkeitskrise, aus der er von selbst nicht mehr heraus kommt.
    Es kann nicht angehen, dass sämtliche Leitmedien Deutschlands unisono das Gleiche, von den USA Vorgegebene berichten.

    Dem N-TV ist heute sogar der Kragen geplatzt, als Bürger die „Unverschämtheit“ hatten, sich in der Redaktion darüber zu beschweren, dass gewisse Europa-kritische Vorgänge nicht berichtet werden.
    ( http://www.n-tv.de/politik/Die-Maer-vom-Referendum-in-Venedig-article12478666.html )

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