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Norwegen muss anfangen von den Reserven zu leben oder sich neu erfinden

Von Claudio Kummerfeld

Norwegen muss in der Tat bald anfangen von den Reserven zu leben, oder sich neu erfinden. Warum? Oeystein Olsen, Präsident der norwegischen Zentralbank, sagte schon Ende 2014, dass alles unterhalb des Brent Crude-Preises (Nordseeöl) von 70 Dollar nicht gut sei, da dort der Break Even der norwegischen Ölindustrie liege. Und das ist ja schon etwas her. Inzwischen ist neben dem US-Öl WTI bei 43 Dollar auch das Nordseeöl Brent bei aktuell unter 49 Dollar angekommen.

Norwegen braucht 70 Dollar Brent-Preis
Über die 70 Dollar-Marke (rot markiert) müsste Brent nachhaltig steigen, damit Norwegen wieder strukturell vom Öl leben könnte.

Das Öl bringt Norwegen kein Geld mehr in die Kasse

Daten der norwegischen Statistikbehörde zeigen das Kernproblem Norwegens: solange das Öl über 70 Dollar notierte, war alles eitel Sonnenschein, heile Welt sozusagen. Dass das 5 Millionen Einwohnervolk zu mehr als der Hälfte nur von den Gewinnen der Ölverkäufe lebt, konnte man solange als theoretisches Risiko für die Volkswirtschaft abtun, wie Öl noch bei 80, 90, 100 Dollar oder höher stand. Die Gewinne flossen, allen ging es gut. Damit ist jetzt Schluss.

EURNOK
Die norwegische Krone verliert langsam aber gemächlich immer mehr an Wert gegenüber dem Euro (Chart Euro vs norwegische Krone).

In der Finanzwelt nennt man die Norweger auch gerne die Ölscheichs des Nordens. Denn neben Ländern wie Katar, Abu Dhabi und Kuwait hat sich auch Norwegen in den letzten Jahrzehnten einen gigantischen Staatsfonds angespart, der der langfristige „Spargroschen“ der Nation sein soll. Laut aktuellem Zähler der Webseite liegt der Fonds derzeit bei ziemlich genau 800 Milliarden Euro Gesamtwert. Beachtlich. Bei nur 5 Millionen Einwohnern dürfte der Fonds noch einige Zeit reichen, bis er durch eine hohe Arbeitslosenquote und die folgenden Sozialkosten aufgebraucht sein wird – also lebt man dort immer noch relativ lange in einer Welt der Glückseligkeit. Im Mai (aktuellste Daten) gab es in Norwegen eine Arbeitslosenquote von 4,3 % – paradiesisch, aber trotzdem die höchste seit 11 Jahren. Irgendwann haben alle Probleme „mal klein angefangen“.

Norwegen Arbeitslosigkeit
Diese Vergleichsgrafik zeigt: Langsam, aber mit Schwung nähert sich Norwegen den EU-Niveaus der Arbeitslosenquote an. Deutschland hat man bald eingeholt.

Das strukturelle Problem

Bisher will niemand in Norwegen der erste Funktionär sein, der seinem Volk verkündet, dass man ab sofort strukturell auf „Reserve“, also vom Staatsfonds leben muss. Doch die Verkündung dieser nicht so frohen Kunde ist unvermeidlich. Denn wie Daten der Statistikbehörde ebenfalls zeigen, machen Öl- und Gas ca. 55% der norwegischen Exporte aus. Man stelle sich vor in Deutschland würden alle Auto- und Maschinenbauer in relativ kurzer Zeit in die Verlustzone rutschen, ohne Aussicht da so schnell wieder rauszukommen. Was würde das für die Arbeitsplätze bedeuten? Fabrikschließungen etc, auch bei den Zulieferern. Massenarbeitslosigkeit wäre die Folge. Ähnliches droht in Norwegen.

Bevor man das strukturelle Problem bekämpft, müsste man erst mal eine ehrliche Diagnose stellen. Wer schon mal in Norwegen war, kennt das dortige Preisniveau. Die durchschnittlichen Stundenlöhne Norwegens waren letztes Jahr 47% höher als im EU-Schnitt. Warum sollten also ausländische Investoren dort in produzierendes Gewerbe oder Dienstleistungsjobs investieren? Entweder die Löhne sinken, oder die Produktivität in Norwegen wird dramatisch erhöht , oder… kluge Politiker in Norwegen setzen jetzt mit voller Kraft einen Teil dieser 800 Milliarden Euro ein um in Zukunftsindustrien zu investieren, in breit angelegte Qualifikationsprogramme für Arbeitslose oder zukünftige Arbeitslose, damit diese rechtzeitig auf neue Industrien umsatteln können, in denen gut bezahlte Jobs entstehen können, mit denen man sich das Leben im teuren Norwegen leisten kann.

„Diversifikation“ der Wirtschaft nennt man das neudeutsch. Besser so als vom Staatsfonds zehren, bis er aufgebraucht ist. Denn… der Zähler auf der Webseite des norwegischen Staatsfonds läuft derzeit schon rückwärts!



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1 Kommentar

  1. Herr Kummerfeld!Ich bin eher der bayerische Grantlertyp,will heissen lobe nicht alles gleich über den grünen Klee!Ihre Kommentare erfreuen mich jedoch zu sozialistischen 98%Ich muss getehen,dass ich Norwegenfan durch&durch bin,sie als das glücklichste Volk der Welt empfinde&ihnen unabhängig von Öl%Gasfunden in der Nordsee eine stabile&glückliche Zukunft prognoszitiere.Fliesst kein Nordseeöl mehr,bzw.wird kein Gas mehr gefördert,dann wird Norwegen absoluter Profiteur des unaufhaltbaren Klimawandels.Fraglich ist nur,ob sie in der Lage,bzw.willens sind sich eine Antizuwa nderungspolitik a la einiger grosskotziger EU-Staaten zuzulegen!

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