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Türkei: Weiter sinkender Leitzins bei 8,8% Inflation – das hat nichts mit Erdogan zu tun?

Die türkische Notenbank hat gestern den Leitzins für Übernachtkredite weiter gesenkt von 8,75% auf 8,50%. Gut, das ist ein hohes Niveau, aber gleichzeitig kämpft die Türkei mit einer Inflation von...

FMW-Redaktion

Die türkische Notenbank hat gestern den Leitzins für Übernachtkredite weiter gesenkt von 8,75% auf 8,50%. Gut, das ist ein hohes Niveau, aber gleichzeitig kämpft die Türkei mit einer Inflation von offiziell 8,8%, wobei die Notenbank selbst 7,5% anstrebt (immer noch verdammt hoch). Da müsste es doch eigentlich nötig sein die Zinsen oben zu behalten, oder sogar noch ein kleines Stück anzuheben. Aber vor allem der einbrechende Tourismus macht der Notenbank Sorgen, wie sie selbst schreibt. Von Präsident Erdogan oder dem Putschversuch sagt die Notenbank kein Wort.

Sie betont ihre „strenge Betrachtung“ der Inflationsentwicklung. Bei veränderten Daten könne man jederzeit die Zinsen erneut anpassen, so die Notenbank. Also hat die aktuelle Zinssenkung offiziell nichts mit Präsident Erdogan zu tun. Merkwürdig, denn der hatte schon vor mehreren Tagen nachdrücklich billigeres Geld verlangt! Die türkische Volkswirtschaft soll mehr Konsum erzeugen, wozu natürlich die Banken billige Kredite vergeben müssen. So sprach Erdogan die türkischen Geschäftsbanken auch direkt an, und ermahnte sie gerade nach dem misslungenen Putschversuch bloß keine höheren Zinsen für Kredite zu verlangen.

Man werde die Banken diesbezüglich „bedrängen“, hatte er wortwörtlich gesagt. Banken, die derzeit mit Vorwänden Kredite sogar zurückrufen würden, hätten sich auf eine Seite gestellt, die nicht die Seite der Türkei sei. Er werde sich nicht davor scheuen Banken „zu notieren“ und zur Rechenschaft zu ziehen, bei deren Kreditpolitik ein negativer Bruch zu erkennen sei. Würden Banken in so einer kritischen Phase der Türkei das Land nicht unterstützen, sondern bei jeder Gelegenheit Rückzahlungen von Krediten fordern, würde er dies als Verrat betrachten, so Erdogan. Wow, das ist mal eine klare Ansage! Wir meinen: Wenn Erdogan schon in diesem Ton mit den Geschäftsbanken umspringt, was hätten dann erst die Notenbanker zu befürchten, die den Leitzins nicht absenken?

Also muss jetzt sogar die Bankenindustrie Erdogans Wünschen entsprechen? Dass ein Regierungschef seinen Banken unter Drohung sagt wie sie ihre Zinsen festsetzen und mit Kreditkunden umgehen sollen, ist schon ein hartes Stück für ein Land, das nach erst kürzlich getroffener Aussage schon in sieben Jahren in die EU eintreten will. Das ist natürlich mehr als unrealistisch. Denn abgesehen von sämtlichen aktuellen Problemen sind fast alle Verhandlungskapital zwischen der EU und der Türkei noch nicht geklärt.

Wohl vor allem wegen der dramatisch rückläufigen Touristenzahlen sagte der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Simsek jüngst das Ziel von 4,5% Wirtschaftswachstum könne man nicht mehr erreichen. Auch Faktoren wie zunehmende Unternehmenspleiten und steigende Zahlen fauler Kredite werden problematischer für die türkische Volkswirtschaft. Auch die nach dem Putschversuch entlassenen 80.000 Staatsbediensteten, die als Konsumenten jetzt de facto ausfallen, dürften gesamtwirtschaftlich einen kleinen, aber spürbaren Effekt haben! Die Tourismusindustrie ist entscheidend. Alleine in der Region Antalya haben in kurzer Zeit durch ausbleibende Touristen 100.000 Menschen ihre Arbeitsplätze verloren.

Wie sollen niedrigere Kreditzinsen die Urlauber zurück ins Land bringen? Wohl gar nicht – die niedrigen Zinsen dürften nur die Inflation tendenziell wieder anheizen. Helfen tut dem Tourismus nur eine stabile und verlässliche politische Lage. Es ist genau die falsche Richtung bei hoher Inflation die Zinsen zu senken. Dass bei sinkenden Zinsen die Inflation tendenziell eher weiter steigen könnte, scheint egal zu sein. Damit sich jeder auch ein Originalbild von der aktuellsten Notenbankentscheidung machen kann, drucken wir sie hier im Wortlaut:


Annual loan growth continues at reasonable rates in response to the tight monetary policy stance and macroprudential measures. Although developments in tourism revenues will have a negative impact in the short run, the lagged effects of the developments in the terms of trade and the moderate course of consumer loans will continue to contribute to the improvement in the current account balance. While domestic demand is having a positive impact on growth, albeit at a lesser extent, demand from the European Union economies continues to support exports. Accordingly, economic activity displays a moderate and stable course of growth. The Committee assesses that the implementation of the structural reforms would contribute to the potential growth significantly.

The adverse impact of domestic developments in mid-July on market indicators has been largely reversed due to improved global risk appetite and the recent measures. Moreover, the tight monetary policy stance, the cautious macroprudential policies and the effective use of the policy instruments laid out in the road map published in August 2015 have increased the resilience of the economy against shocks. Also considering its contribution to the effectiveness of monetary policy, the Committee decided to take a measured and cautious step towards simplification.

Unprocessed food prices, which have recently shown marked increases, are projected to display a downward correction in the short term. Meanwhile, the core inflation trend is expected to improve gradually. Yet, the developments in the inflation outlook necessitate the maintenance of a tight liquidity stance.
Future monetary policy decisions will be conditional on the inflation outlook. Taking into account inflation expectations, pricing behavior and the course of other factors affecting inflation, the tight monetary policy stance will be maintained.

It should be emphasized that any new data or information may lead the Committee to revise its stance.
The summary of the Monetary Policy Committee Meeting will be released within five working days.



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1 Kommentar

  1. Der IWF und die Ratingagenturen arbeiten doch auch für die amerikanische Politik. Darum hat China eine eigene kreiiert. Und der Dollar ist Weltwährung –> Petrodollar, wenn das nicht Wirtschaft im Dienste der Politik ist! Und die Drohungen der EU, England wegen des Brexit wirtschaftlich kalt zu stellen, ist das nicht auch Wirtschafts-Politik?

    Nur ist Erdogan etwas plumper, er haut einfach auf den Tisch. Während die Usa da wesentlich subtiler vorgeht. Wie wir alle wissen.

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