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Vattenfall gegen Deutschland: Ab heute Verhandlung vor Privatgericht (VIDEO)

Es wird vielleicht einer der entscheidenden Faktoren sein, die in den nächsten Monaten die deutsche Öffentlichkeit in Sachen TTIP beeinflussen könnten. Ab heute beginnt vor dem privaten Schiedsgericht...

FMW-Redaktion

Es wird vielleicht einer der entscheidenden Faktoren sein, die in den nächsten Monaten die deutsche Öffentlichkeit in Sachen TTIP beeinflussen könnten. Ab heute beginnt vor dem privaten Schiedsgericht „International Centre for Settlement of Investment Disputes“ (ICSID) in Washington D.C. die mündliche Anhörung einer Klage des Energieversorgers Vattenfall gegen Deutschland. Vor diesem Schiedsgericht, wo ganz normale Anwälte auch als Schiedsrichter auftreten können, nimmt Vattenfall das Recht wahr als „ausländischer Investor“, der mit seinen Kraftwerken bisher in Deutschland präsent war, seine Investitionen schützen zu können. Denn aufgrund zwischenstaatlicher Abkommen kann ein schwedisches Unternehmen, dass sich von Deutschland diskriminiert und sonst wie unfair behandelt fühlt, die Chance wahrnehmen vor dieser „neutralen“ Institution seine Rechte einzufordern.

Bis jetzt mussten beide Seiten schon Millionen für Anwaltshonorare ausgeben, was auch immer wieder ein Kritikpunkt bei diesem Pseudo-Gericht ist. Das Schiedsgericht besteht in diesem Fall aus drei Anwälten, jeweils einem aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden. Auch Deutschland als Beklagter darf/muss eine private Anwaltskanzlei hoch dotiert bezahlen, die das Land dort vertritt. Diesen privaten Anwälten, die in keiner Weise irgendeiner richterlichen Neutralität unterliegen, und auch in keinster Weise von der Uno, der EU, oder sonst irgendwem staatlich ernannt wurden, obliegt nun die Enscheidung, ob Deutschland dem schwedischen Energieversorger Vattenfall 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz zahlen muss.

Denn nach der Fukushima-Katastrophe hatte Deutschland die Energiewende eingeleitet. Für mehrere seiner Atomkraftwerke fordert Vattenfall dieses Geld, weil Deutschland die kurz zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung für die Kraftwerke rückgängig machte. Es geht hier grundlegend darum: Hat ein Staat auch zukünftig die Souveränität zum Beispiel aufgrund einer geänderten Umweltpolitik Gesetze zu erlassen, die Unternehmen negativ beeinflussen? Oder haben Unternehmen dann jedesmal quasi ein Recht auf Kostenerstattung/Schadenersatz? Dann wäre staatliches Handeln kaum noch normal vorstellbar. Es käme zu einem Stillstand politischer Entscheidungen, da immer zuerst Horden von Ministerialbeamten abklopfen müssten, in wie weit welche Wirtschaftsbereiche negativ betroffen sein könnten – denn man möchte ja nicht bei jeden neuen Gesetz Schadenersatz an ausländische Investoren zahlen. Genau dieses Horrorszenario steht vor der Tür, wenn man mit dem gigantischen US-Markt genau so ein Abkommen schließt, das Streitschlichtungen vor so einem „Gericht“ zulässt.

Die EU und vor allem die kritische deutsche Öffentlichkeit könnten sich nach einem positiven Bescheid für Vattenfall fragen: Hey, wo ist denn jetzt eigentlich die Grenze? Denn in der Tat, die gibt es nicht wirklich. Wie schon diverse andere Fälle in der Vergangenheit gezeigt haben: US-Konzerne sind äußerst kreativ darin aufgrund solcher Freihandelsabkommen vor solchen Schiedsgerichten zu klagen. Dabei sind wirklich die abstrusesten Begründungen möglich. So verklagte zum Beispiel der US-Eigentümer einer Brücke Kanada auf Schadenersatz, weil man von dort aus eine neue Brücke relativ nahe an seiner bestehenden Brücke zwischen Kanada und den USA bauen wollte. Er sah dadurch seine „Investition“ gefährdet (Mautgebühren). Treffen USA und EU aufeinander mit so einem Abkommen + privater Schiedsgerichtbarkeit wie dem ICSID, sind die Klagemöglichkeiten und laufenden Anwaltskosten nach oben hin offen.

Laut ICSID haben im aktuellen Fall beide Seiten einer öffentlichen Video-Schalte der Anhörung zugestimmt, was beim ICSID absolut unüblich ist. Normalerweise herrscht bei den ICSID-Verfahren eisernes Schweigen über die Inhalte der Verfahren. Schon ab heute soll das Verfahren täglich live gezeigt werden, mit jeweils vierstündiger Verzögerung (warum???). Heute geht es los ab 18:30 Uhr deutscher Zeit, sonst täglich ab 17 Uhr deutscher Zeit. Die Anhörungen laufen täglich bis zum 21. Oktober. Ein Urteil kann noch Monate dauern.



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1 Kommentar

  1. Symbolisierte Offenheit, um TTIP, CETA und TPP den Weg zu ebnen.

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