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Stimmung in China so düster wie lange nicht mehr 75 Jahre China: Aufbruch oder „Garbage Time“?

Hat China das Spiel schon verloren?

China Depression
Foto: awhy251 - Freepik.com

75 Jahre nach der Gründung der Volksrepublik stellt sich die Frage: Ist China am Beginn eines neuen Aufbruchs oder in der sogenannten „Garbage Time“ gefangen? Während das Land seine Erfolge in Pomp und Glanz feiert, herrscht eine kontroverse Debatte über Chinas Zukunft. Kritiker sprechen von einer Phase der Stagnation, in der Reformen ausbleiben und Ungleichheiten wachsen. Befürworter hingegen sehen in den Herausforderungen Chancen für einen erneuten Aufbruch und wirtschaftliche Erneuerung.

Chinas 75. Jubiläum: Der Aufstieg Chinas – Triumph oder Täuschung?

„Der kommende 1. Oktober markiert den 75. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China und wird mit Spannung erwartet. Die Stadt Peking ist bereit, als ein riesiger, lebendiger Blumenkorb anmutig auf dem Tian’anmen-Platz aufstieg und Arbeiter ein buntes Blumenmosaik entlang der Chang’an Avenue webten, um Gäste aus ganz China und der Welt willkommen zu heißen. Kinder lachten mit fröhlichem Kichern, das durch die Luft schwebte, und Erwachsene hielten kostbare Momente mit Kameras fest und schickten herzliche Segenswünsche an die Heimat,“ so jubelt die „Global Times“ vor einigen Tagen.

Heute wird Xi Jinping seine traditionelle Rede in der „Großen Halle des Volkes“ halten – und es wird sich ähnlich anhören. Er wird vom Aufstieg Chinas erzählen, von der Transformation des Landes von einem armen und rückständigen Staat zu einer mäßig wohlhabenden Gesellschaft in allen Belangen. Er wird betonen, dass Chinas nationaler wirtschaftlicher Output sich 223-fach erhöht hat und das Pro-Kopf-BIP im letzten Jahr gestiegen ist. Und mit weiteren Erfolgen in den Bereichen Diplomatie und internationale Zusammenarbeit wird Xi Jinping die Errungenschaften Chinas in den letzten 75 Jahren feiern und gleichzeitig die Vision für eine friedliche und kooperative Zukunft skizzieren.

Während die Feierlichkeiten den Glanz und die Hoffnung einer prosperierenden Nation vermitteln, kämpfen viele Chinesen mit den alltäglichen Herausforderungen eines Systems, das zunehmend an seine Grenzen stößt. Diese Diskrepanz zwischen der offiziellen Darstellung und der gelebten Realität beschreibt ein Kommentator auf „X“ wie folgt: „Die aktuelle “Garbage Time der Geschichte” schadet sowohl den durchschnittlichen Chinesen, die unter Armut und harten Arbeitsbedingungen bei wachsender Ungleichheit leiden, als auch Chinas geopolitischem Scheitern, den Status quo zu ändern. Das Ergebnis ist eine Ära der Stagnation wie in der Sowjetunion der 1980er Jahre.“

„Garbage Time“: China in der Stagnation

Der Begriff „Garbage Time der Geschichte“ kommt aus dem Sport und bezeichnet die Restspielzeit eines schon entschiedenen Spiels. In China tauchte dieser Begriff Ende 2023 in einem Artikel von Hu Wenfei, dem Herausgeber der Yangcheng Evening News, auf und verbreitete sich seitdem. Er beschreibt eine Phase des unausweichlichen Niedergangs, in der Gesellschaften oder Staaten in eine Abwärtsspirale geraten. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Strukturen erstarren und scheitern daran, sich anzupassen oder Fortschritte zu machen. Für den Einzelnen führt die „Garbage Time“ zu einem Gefühl der Ohnmacht, da größere historische Kräfte persönliche Anstrengungen und den Wunsch nach einem besseren Leben untergraben.

Die Stimmung in China ist so düster wie lange nicht mehr. Auf den ersten Blick scheint dieser Pessimismus durch wirtschaftliche Probleme verursacht zu werden. Der Zusammenbruch des Immobiliensektors hat das Vermögen der Mittelschicht erheblich reduziert. Der daraus resultierende negative Vermögenseffekt hat den Konsum einbrechen lassen, was den wirtschaftlichen Abschwung verschärft und die Gefahr einer Deflation erhöht.

Besonders betroffen ist die Jugend Chinas. Die Arbeitslosigkeit stieg so stark an, dass die Statistik plötzlich in der Schublade verschwand. Seitdem sie zu Ende letzten Jahres wieder mit neuer Methodik veröffentlicht wird, steigt sie weiter. Die neue Generation ist gefangen in der „Middle Income Trap“: Diese beschreibt eine Situation, in der ein Land nach schnellem Wachstum stagniert und den Status eines Hochlohnlandes nicht erreicht, weil es zwischen kostengünstigen Produzenten und hochqualifizierten Volkswirtschaften eingeklemmt ist.

Die Folge: Zum einem hat sich die „Lying Flat“-Bewegung etabliert: Ein Milieu, das sich dem Konsum völlig verweigert und nur so viel Geld verdient, wie unbedingt notwendig, und ansonsten dem gediegenen Nichtstun frönt. Der Rest strampelt sich in unterbezahlten Jobs ab. So schaffte es die Nachricht, dass ein 24-jähriger Physik-Masterstudent in Suzhou als Hausmeister an einer High School eingestellt wurde, sogar in die „China Daily“. Meituan, vergleichbar mit „Lieferando“ hierzulande, sah sich sogar zu einem Dementi gezwungen, 80.000 ihrer Lieferfahrer hätten einen Master-Abschluss. Wer kann, flüchtet sich in Master-Studiengänge. Und die Universitäten weiten diese Post-Graduierten-Programme zeitlich aus. Doch auch diese Programme können nicht verhindern, dass ein großer Teil der geschätzten 11,8 Millionen neuen Absolventen „in einen der wohl schwächsten Arbeitsmärkte Chinas seit Jahren“ eintreten.

Eine „Lying Flat“-WG in China

„Dieser Trend hat sich offensichtlich auf hochrangige Intellektuelle und Fachleute in der Finanzbranche ausgeweitet, was erklärt, warum die Nachricht, dass eine Mitarbeiterin des CICC (eine große chinesische Investment-Firma, Anmerkung des Autors) Selbstmord begangen hat, indem sie von einem Gebäude gesprungen ist, in den letzten Tagen bei chinesischen Internetnutzern einen so großen Schock ausgelöst hat,“ schrieb „Chasing News“, ein englisches Magazin für die chinesische Diaspora.

China Lying Flat

Die Einkommen stagnieren – wenn sie nicht sinken, das bisher übliche Jobhopping, um Gehaltssprünge zu erzielen, ist zum Erliegen gekommen. Wer einen sicheren Job hat, behält ihn, zu ungewiss ist es, ob man überhaupt ein vergleichbar bezahltes Angebot bekommt. Eine im August von der China Index Academy veröffentlichte Umfrage zeigte, dass „instabiles Einkommen“ als Hauptfaktor gilt, der potenzielle Hauskäufer davon abhält, ein Haus zu kaufen. Etwa 43 Prozent der Befragten nannten dies als „wesentlichen Grund“ für den Nichtkauf eines Hauses, während 19 Prozent „unzureichende Mittel für Anzahlungen“ als Grund angaben.

China hat schon weitaus schwierigere wirtschaftliche Zeiten überstanden. In den späten 1990er Jahren wurden zehntausende staatliche Betriebe geschlossen, und mehr als 30 Millionen Arbeiter verloren ihre Arbeitsplätze. Trotz dieser massiven Einschnitte behielten die Menschen in China ihren Optimismus für die Zukunft, weil sie auf den Premierminister Zhu Rongji vertrauten, der mit entschlossenen Reformen das bankrotte Bankensystem stabilisierte, ineffiziente Staatsunternehmen umstrukturierte und Chinas Wettbewerbsfähigkeit nach der Asienkrise von 97-98 stärkte.

„Garbage Time“: Nur eine Erfindung der Elite?

Den Unterschied zu der heutigen „Garbage Time“ beschreibt Minxin Pei, einem Professor für Regierungslehre am Claremont McKenna College und Autor von The Sentinel States: Surveillance and the Survival of Dictatorship in China: „Es ist schwer, sich an eine auffälligere Diskrepanz zwischen dem chinesischen Volk und seinen modernen Führern zu erinnern.“

Und weiter: „Jetzt sind die Chinesen nicht nur unzufrieden mit den Regierungsentscheidungen; wichtiger ist, dass sie keine Möglichkeit zur Verbesserung sehen, weil die Führung der Kommunistischen Partei Chinas wiederholt signalisiert hat, dass sie beabsichtigt, die gleichen innen- und außenpolitischen Maßnahmen beizubehalten, die zu wirtschaftlicher Stagnation im Inland und geopolitischen Spannungen im Ausland geführt haben. In der Vergangenheit schuf kollektive Führung und Machtkonkurrenz zwischen rivalisierenden Fraktionen etwas Raum für politische Flexibilität und Umkehrungen. Kein einzelner Führer war mächtig genug, um das Regime zu zwingen, an nachweislich kontraproduktiven Politiken festzuhalten. Unter Xi wird die Partei von einer hochzentralisierten, wenn nicht sogar personalisierten Führung regiert.“

Als Antwort darauf kritisiert der ehemalige Journalist Ming Jinwei auf seinem WeChat-Blog den Begriff „Garbage Time“ als unrealistische Fantasie einer kleinen intellektuellen Elite, die von westlichen Ideologien beeinflusst ist. Er bezeichnet diese Intellektuellen, die von „bürgerlichen Werten“ wie Freiheit und Demokratie träumen, als naiv und von der Realität Chinas entfremdet. Ming argumentiert, dass diese „literarischen Jugendlichen“ den Erfolg des Sozialismus mit chinesischen Merkmalen ignorieren und stattdessen auf neoliberale Modelle setzen, die im Westen bereits gescheitert seien. Ming warnt davor, diese Sichtweise zu übernehmen, und erinnert daran, dass China auf dem Weg zur nationalen Wiederbelebung steht.

Auch Wang Wen, Dekan des Chongyang Institute for Financial Studies an der Renmin-Universität von China, widerspricht dieser Sichtweise vehement. In einem Artikel bezeichnet er den Begriff „Garbage Time of History“ als betrügerisches akademisches Konzept. Wang argumentiert, dass dieser Begriff die aktuelle Entwicklung Chinas negiere und eine Haltung der Hoffnungslosigkeit und Untätigkeit fördere. Stattdessen sollten Menschen zu Handlungen und Widerstandsfähigkeit inspiriert werden, um Herausforderungen zu überwinden und zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen. Er betont die Notwendigkeit effektiver Reformen, um den Menschen ein echtes Gefühl des Fortschritts zu vermitteln und die toxischen Auswirkungen solcher Konzepte zu beseitigen.

Ebenso kritisiert die „Beijing Daily“ den Begriff „Garbage Time of History“ scharf. In einem Artikel argumentiert die Zeitung, dass es in der Geschichte nie eine Zeit ohne Herausforderungen und Rückschläge gegeben habe. China habe in den letzten Jahrzehnten zwei seltene Wunder vollbracht: schnelles Wirtschaftswachstum und langfristige soziale Stabilität. Trotz zahlreicher Schwierigkeiten und Risiken habe das Land kontinuierlich Fortschritte gemacht. Die Beijing Daily betont, dass die aktuellen Errungenschaften Chinas die Vorstellung einer „Garbage Time“ die Realität und die Bemühungen der Menschen verzerrt.

Vor dem 75-jährigen Jubiläum war die Führung bemüht, die Stimmung im Lande zu heben und hat ein Stimulus-Paket geschnürt, „ist nach chinesischen Maßstäben nicht riesig, aber die politischen Signale deuten darauf hin, dass noch viel mehr in Aussicht sein könnte.“ Zumindest kurzfristig hat es zu einem Kursfeuerwerk an den Börsen geführt. Die Frage ist nur, ob sich das Vertrauen in die chinesische Führung zurückgewinnen lässt.



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