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Aktienmärkte 2020: Der riskante Ritt auf der Kanonenkugel

Die Unsicherheiten, die es immer für die Aktienmärkte gibt, sind derzeit besonders ausgeprägt. Dennoch bleiben die Aktienmärkte stark - warum?

Gut zehn Börsentage vor der US-Wahl und 50 vor dem Jahresultimo, stehen viele Investoren, ob groß oder klein, vor der entscheidenden Frage: bringen die aktuellen Tendenzen eine Wende nach unten für die Aktienmärkte – oder gibt es sogar so etwas wie eine Jahresendrally?

Aktienmärkte: Die Entwicklung der letzten Woche

Einmal mehr hat sich gezeigt, dass man im Corona-Jahr 2020 nichts mit langjährigen Statistiken anfangen kann, so überaus deutlich sie sich im Chartbild auch darstellen mögen. Sollte es demnach nicht Anfang Oktober noch deutlich nach unten gehen und dann kurz vor der Wahl in eine Rally münden? Was aber machen die Aktienmärkte? Trotz weiter steigender Unsicherheit über den Wahlausgang, der zunehmenden Gewissheit darüber, dass es so schnell nicht zu einem Stimuluspaket kommen wird, trotz stark steigender Coronazahlen in vielen westlichen Ländern, werden die Aktienindizes immer wieder gestützt. Nach Kursrückgängen wird immer wieder gekauft. Ist das nicht eher ein Zeichen der Stärke der Aktienmärkte, wenn sie so immun zu sein scheinen gegenüber den zahlreichen Warnsignalen? Nasdaq und S&P 500 lagen zuletzt gegenüber ihren Freitagsschlusskursen vor einer Woche leicht im Plus, der Dax trotz der großen Sorgen um den starken Anstieg der Covid-19-Zahlen nur ein Prozent im Minus. Was also sind die großen Gegenspieler am Markt?

Die Headwinds, bremsende Faktoren

In den USA gibt es natürlich ein ganz großes Thema: den Wahlausgang und seinen möglichen Implikationen auf die Aktienmärkte. Zum Beispiel im Falle eines Wahlsiegs Bidens die Anhebung der Unternehmenssteuern von 21 auf 28 Prozent, die Erhöhung der Steuern für Gutverdienende über 400.000 Dollar von 37 auf 39,6 Prozent, die Pläne zur Verdoppelung des Mindestlohns auf 15 Dollar, die hohe Schuldenaufnahme für Projekte in Klima und Umwelt und weiteres mehr.

Die Stimulushoffnungen sind zwar langfristig ein treibender Faktor für die Aktienmärkte, wenn Billionen Dollar an frischem Geld für einen Push für Unternehmen und Verbraucher sorgen. Kurzfristig aber sollte ein Ausbleiben aber ein echtes Problem darstellen. Es ist nicht zu erwarten, dass die über 10 Millionen Arbeitslosen in den USA genügend Geld gespart haben, um viele Wochen überstehen zu können. Zudem habe ich bereits erwähnt, dass der Präsident zwar am 3. November gewählt wird, die Inauguration aber traditionell erst am 20. Januar stattfindet. Ein Zeitraum, den es bei einem Regierungswechsel geben muss, um die Ministerien mit all ihren Unterabteilungen zu besetzen.

Kurzum, der Konsum müsste bei einer Verzögerung der Stimuli leiden. Auch markttechnisch gibt es einige Warnsignale. Die Börsenbriefe in den USA sind ungewöhnlich bullish, ebenso wie die vielen jungen Anleger – RobinHoodies -, die nach wie vor sehr auf die Longseite bei Einzelaktien setzen, wie zum Beispiel Highflyer wie Apple oder Tesla. Das Put/Call-Ratio bei Aktien liegt mit 0,6 weit unter 1, was auf eine massive Call-Quote hinweist.

Dann der endlose Hickhack um den Brexit, der sich der No-Deal-Entscheidung annähert. Es gäbe also genug Gründe für einen zumindest temporären Abverkauf.

Die Tailwinds, oder was stützt

Die mit Spannung erwartete Berichtssaison zum dritten Quartal hat begonnen. Trotz der hohen Covid-19-Zahlen im August überraschen die US-Unternehmen bisher. Mit der Quote von 82 Prozent von Unternehmen, die die Prognosen schlagen, übertrifft man den Durchschnitt früherer Quartale, auch wenn die Erwartungen rechtzeitig abgesenkt wurden. Allerdings sind die Börsenreaktionen darauf recht bescheiden, es gibt eher ein „Sell on good news“. Nach dem großen Einbruch im zweiten Quartal mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 32 Prozent zum Vorjahr, erwarten Analysten für das dritte Quartal einen Anstieg von bis zu 29 Prozent gegenüber dem Rezessionsquartal. Wenn es dazu käme, wäre dies noch einmal ein kleiner Push für die Ambitionen Donald Trumps – ein Beweis für eine Erholung der Wirtschaft und dies veröffentlicht am 28. Oktober, wenige Tage vor der Wahl.

Nach einer Untersuchung der Bank of America liegen so viele aktiven Fondsmanager im Jahr 2020 im Durchschnitt hinter ihrer Benchmark zurück, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Ganze 20 Prozent haben dies im Ausnahmejahr 2020 bisher geschafft. Aus psychologischen, wie anlagespezifischen Gründen, ist das der Rückenwindfaktor schlechthin.

Treiber für die Aktienmärkte sind die Fonds

Dabei liegen immer noch über 4 Billionen Dollar als Cashreserven in den Depots.

Ein weiterer Unterstützungsfaktor ist die allgemeine Stimmungslage an den Börsen. Zwar nähert sich der Fear&Greed-Index mit seinen 62 Punkten einer milden euphorischen Stimmung an, aber damit ist er doch deutlich von der Hochstimmung vor der Septemberkorrektur entfernt. Das Put/Call-Ratio an der CBOE liegt mit 1,8 ziemlich hoch, was bedeutet, dass man im Bereich der Indizes sehr wohl gegen Rückschläge abgesichert ist. Long in Aktien, Short im Index.

Eine langsam erkennbare Branchenrotation, von Growth zu Value, ist unverkennbar. Auch wenn die großen sieben Tech-Titel eine Marktkapitalisierung von 7 Billionen Dollar ausmachen, der S&P 500 hat ein Volumen von über 28 Billionen, damit könnte eine Korrektur von Apple und Co ausgeglichen werden. Der Nebenwerte-Index Russell 2000 zeigte sich in der letzten Woche sehr stabil und steht nicht weit entfernt von seinem Nach-Corona-Hoch.

Die Unterstützung durch den Rentenmarkt

Nicht der Rückgang der Renditen am Anleihemarkt, sondern deren Anstieg ist ein Belastungspunkt für die Aktienmärkte. Denn bei einem steigenden Kapitalmarktzins gäbe es die Möglichkeit, eine positive Rendite zu erzielen (nach Abzug der Inflation), was bisher das Totschlagargument überhaupt darstellt, warum die Kapitalsammelstellen nicht aus den Aktienmärkten aussteigen konnten. Wenn es in letzter Zeit Mittelzuflüsse in die Anleihemärkte gab, so ist dies ein Zeichen für Aktivitäten der US-Notenbank und von Professionellen, die glauben bei einer Abschwächung der Wirtschaft von Kurssteigerungen der Fixed-Income-Markets profitieren zu können.

Die aktuelle Fed-Bilanz zeigt eindeutig, dass man wieder am Markt aktiv ist. Dies bestätigte auch der Chef der Notenbankfiliale von St. Louis, James Bullard, bei der Herbsttagung des IWF: „Wir haben unser Programm laufen mit einem erheblichen Umfang an Käufen. Ich denke, das ist angemessen.“ Viele bewerten diese Aussage, dass die US-Notenbank weiter Monat für Monat 120 Milliarden Dollar in Form von Aufkäufen von Staatspapieren und anderen Anleihen verwendet.

Die nächste Zinssitzung der Federal Reserve findet am 4,/5.November statt, kurz nach dem Wahltermin. Ob da der Sieger der US-Wahlen bereits feststeht?

Impfstoffhoffnungen

Na klar ist so etwas relevant für die Aktienmärkte. Man stelle sich nur vor, dass dieser in den nächsten Jahren nicht zur Verfügung stünde, was hätte das für Konsequenzen? In Deutschland hätte man selbst bei einer Infiziertenzahl von 10.000 Menschen/Tag, gleichbedeutend mit 3,6 Millionen pro Jahr und bei einer moderaten Dunkelziffer noch viele Jahre vor sich, bis die Herdenimmunität von 60 Prozent Infizierter im Lande greifen würde. Jahrelanges Masketragen und Verbote von Veranstaltungen jedweder Art – das wäre das Ende einiger Branchen und ein Supergau für die deutsche Wirtschaft. Niedrige Infektionsraten und kein Impfstoff sind ein echtes Damoklesschwert für manche Staaten.

Die USA haben mit 8,4 Millionen offiziell Infizierter bereits eine Coronarate von über 2,5 Prozent in der Bevölkerung. Der Chef der US-Seuchenbehörde sprach davon, dass man die Dunkelziffer mit dem Faktor 10 beziffern könne. (Die Antikörpertests allein für New York deuten schon auf 2,5 Millionen überstandene Infektionen hin). Und Deutschland? Derzeit 370.000 offizielle Fälle bei einer Bevölkerungszahl von 83 Millionen, bedeuten eine Infektionsrate von 0,4 Prozent, bei einer gleichzeitig niedrigeren Dunkelziffer – Deutschland braucht den Impfstoff dringender als die USA.

Fazit

Die Unsicherheiten, die es immer für die Aktienmärkte gibt, sind derzeit besonders ausgeprägt. Die Aktienkurse stehen hoch, viele Investoren sitzen auch auf Gewinnen der letzten Wochen. Was aber sehr bullish stimmt, ist die unglaubliche Stärke der Aktienmärkte gegenüber schlechten Nachrichten. Hatte man am Donnerstag nicht einen großen Einbruch, speziell beim Dax mit dem Hochschnellen der Corona-Zahlen begründet? Und tags darauf stiegen diese sogar noch weiter auf neue Rekordzahlen – und was machten die Aktienmärkte?

Vergessen wir nicht, dass in den USA am 24. Juli die Infektionszahlen auf knapp 80.000 gestiegen waren und der S&P 500, trotz des Rekordes, in den folgenden fünf Wochen von 3250 auf 3580 Punkte geklettert ist.

Es ist derzeit alles möglich  – aber mit jedem Tag, der ohne größere Korrektur vergeht, schlägt das Pendel in Richtung versöhnlicher Jahresausklang aus. Warum? Ohne Einbruch der Aktienmärkte wird es schon lange kein so starkes Bedürfnis nach dem so genannten Window Dressing der großen Fonds gegeben haben. Nach dem extremen Coronajahr 2020 liegen viele Vermögensverwalter hinter ihrer Benchmark zurück, speziell hinter der Performance der „billigen“ ETFs.

Zudem sitzen viele auf Cash, um im Wahl- und Coronagetümmel billiger einsteigen zu können. Der Zeitpunkt der Jahresbilanz rückt näher – und wenn es in den nächsten Wochen zu keiner substanziellen Korrektur an den Märkten kommt, hat sich eine mächtige Konstellation durchgesetzt.

Ich will jetzt die vier Buchstaben des Akronyms eigentlich nicht schon wieder nennen („TINA„). Müßig darüber zu diskutieren, was alles dafür verantwortlich ist.

Die Aktienmärkte und der riskante Ritt auf der Kanonenkugel



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6 Kommentare

  1. Der wirklich riskante Ritt auf der Kanonenkugel ist Cash auf dem Bankkonto, wenn man Markus Krall Glauben schenkt.

    1. Hieronymus Carl Friedrich

      @Columbo, Münchhausen und Krall in einem Atemzug, das hat etwas von tiefer Weisheit. Keine Ironie, kein Sarkasmus!

  2. So sieht es es aus. Gute Argumente für dauerhaft steigende Märkte. Crashs wird es nicht mehr geben, wenn doch ein Schwarzer Schwan dafür sorgen sollte, ist das wieder mal ein Geschenk an alle Investoren für Gewinne ohne Ende. Diesmal sind die Märkte wirklich in einen Schutzmantel für die Ewigkeit gehüllt. Was ist das wärmste Jäckchen, nein kein Cognäcchen, es ist LIQUIDITÄT! Da muss man schon sehr verpeilt sein, an der Börse kein Geld zu machen. Ich finde es schon ZU einfach :-D

  3. Mein lieber Wolfgang,

    das Jahr 2020 wird definitiv,definitiv in die (Börsen-)Geschichte eingehen, das hier, Corona, schlägt alles !

    „Diesmal sind die Märkte wirklich in einen Schutzmantel für die Ewigkeit gehüllt.“ –

    Nein sind sie nicht, aber : durch den „Ami-Finanzmarkt-Crash“, 2017/2018, geschuldet durch die Amis, hatten die Notenbanken keine Möglichkeit mehr.

  4. Was die Notenbanken in dem Sinne „gut“ gemacht haben, also die FED und die EZB, ist, dass sie keine Aktien gekauft haben.

    Jetzt sind das 2 ziemlich große Einschläge, die banken-Finanzmarktkrise 2008/2009 und jetzt die Coronakrise 2020/2021. Jetzt sind die Anleihemärkte „normal bewertet“ aus Bären-Sicht ?

    Dass, die „Bären-Sicht“ offenbar gerne vergisst, dass die Anleihemärkte mit Milliardensummen manipuliert wurde, ist offenbar nicht so relevant. Das, deshalb Marktungleichgewichte entstehen könnten, durch die Manipulation, ebenso ?

    Das Motto, aus Barensicht, ist doch : Hauptsache der Markt fällt… ;)

    Wenn der „Markt“ fällt muss dann doch Anleihemarkt bis zu Minus 2-5 % „Minuszinsen“ fallen, welche Konsequenzen hätte dies in unserem alltäglichen Leben ?

  5. „die Robin-Hoodies“ haben längst die „Schnauze“ voll, von dem „Twitter-Präsidenten“, der ja genaaso die die sogenannten „sozialen Medien“ nutzt, von daher ?

    Das „coole“ ist und bleibt bei „Corona“, dass man seit März 2020, auf der Big-Boy-Seite richtig,richtig viele Dollars versenkt hat !! ;D :D

    Und : Das sagen Euch die Big-Boys eben nicht, weil sie eben die „Besten“ sind !

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