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Aktienmärkte: Bärenmarktrally – kommt jetzt das dicke Ende?

Eigentlich wäre alles andere als eine weitere Kurskorrektur der Aktienmärkte eine faustdicke Überraschung..

Die jetzige Börsensituation wird von vielen Analysten mit früheren Zyklen verglichen: Einbruch der Aktienmärkte, Erleichterungsrally, erneuter Absturz und die immergleiche Verwunderung darüber, wie groß die Schwankungen ausfallen. Obwohl eigentlich nachvollziehbar, denn eine Phase der Gier sorgt für überdimensionale Verkäufe, insbesondere Zwangsverkäufe, die man anschließend korrigiert, so dass anschließend in der Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht ganz so schlimm kommt, wieder nachgekauft wird. Bei niedrigen Umsätzen und großer Wirkung. Aber der aktuelle Zyklus ist anders als alles andere in der Neuzeit der Aktienmärkte – es gibt keine Blaupause, weil Covid-19 Reaktionen an den Arbeits- und Finanzmärkten auslöst, die nicht nur Volkswirte vor große Rätsel stellen. Sowohl Optimisten als auch Pessimisten könnten sich irren, obwohl der gesunde wirtschaftliche Menschenverstand schreit: Das kann es für die Aktienmärkte in punkto Korrektur noch nicht gewesen sein!

Aktienmärkte: Die von Covid-19 ausgelösten Börsenphasen

Als man im Februar auch in Europa mit der ganzen Problematik um das neue Coronavirus konfrontiert wurde, kam es in der Folge zu bisher einmalig blitzartigen Marktreaktionen. Im Februar/März stürzten die Aktienmärkte in bisher nie da gewesener Geschwindigkeit in einen Bärenmarkt ab. Innerhalb von gut vier Wochen wurden über 26 Billionen Dollar an weltweiter Marktkapitalisierung vernichtet, der S&P 500 – und damit fast zwangläufig auch der MSCI World – stürzten um ein Drittel in die Tiefe, bei unserem exportlastigen Dax waren es sogar 40 Prozent. Dann die Erholung durch die Bereitstellung der billionenschweren weltweiten Hilfspakete. Es folgten Kurssprünge von 20 bis 25 Prozent in den großen Indizes, so dass man schon fast wieder von einem Bullenmarkt sprechen könnte. Und danach – die Phase einer Neuorientierung.

Zusammengefasst könnte man die Börsenentwicklung in diese Phasen einteilen:

  • 20.Februar bis 23.März: Panikphase
  • 24.März bis Mitte April: Erleichterungsphase
  • Seit Mitte April: Frustrationsphase
  • Und was folgt jetzt? Realitätsphase oder neue Hoffnungsrally?

Gibt es ein historisches Vorbild?

Am ehesten wird man bei den extremen Kursavancen von 2000 bis 2001 und dann nach dem 11.September 2001 bis 2003 fündig. Bei unserem Dax gab es mehr als eine Kurshalbierung, dann ein Anstieg über 40 Prozent, gefolgt von einem nochmaligen Absturz um 60 Prozent. Ähnliche Reaktionen auch beim S&P 500 in den USA, aber bei weitaus geringeren Amplituden. Allerdings das alles in wesentlich längeren Zeiträumen.

Deshalb sind sich manche Fondsmanager sicher, dass die Märkte ihre Tiefs noch nicht gesehen haben. Eine rationale Schlussfolgerung, denn die Aktienmärkte haben sich (derzeit) von der fundamentalen Entwicklung der Wirtschaft komplett abgekoppelt und sie deuten in ihrer Bewertung eigentlich auf keine Rezession mehr hin und erst recht nicht auf eine tiefe.

Die Besonderheit des jetzigen Wirtschaftseinbruchs

Was man in keiner Weise unterschätzen darf. Das Coronavirus hat in der Wirtschaftswelt zu einem Shutdown geführt, der manchen Indikator weit über 50 Prozent in die Tiefe gerissen hat. Dies gab noch nie außerhalb von Kriegszeiten, dass ganze Branchen innerhalb weniger Tage nahezu auf null heruntergefahren wurden oder hätte jemand jemals erwartet, dass die großen Fluggesellschaften Ihrem Betrieb um 95 Prozent einstellen werden, ohne dass es vorher zu weltweiten Vulkanausbrüchen oder Luftkriegen gekommen wäre? Oder wenn die Automobilindustrie wegen des Lockdowns und fehlender Lieferketten die Werke stilllegen, so kann es eben keine rezessionsüblichen Produktionskürzungen geben, sondern den ganz großen historischen Cut. Es klingt immer sehr dramatisch, wenn von historisch niedrigen Indikatoren (den tiefsten seit 2008, 1987 oder 1929) die Rede ist. Wenn ein Werk wegen des Infektionsschutzgesetzes geschlossen wird, sind die Umsätze nahe oder gleich null, aber wenige Wochen/Monate später kommt es vielleicht zu einem astronomisch klingenden Umsatzanstieg.

Das bedeutet aber auf die Fluglinien bezogen auch, dass wenn der Flugbetrieb vom jetzigen Niveau aus um 200 Prozent steigen würde, er immer noch um etwa 80 Prozent unter dem vorherigen Niveau läge. Deshalb wird es bei einer Rückkehr zu einer halbwegs normal funktionierenden Wirtschaft zu absonderlichen Steigerungen der Indikatoren kommen und zu einem allgemeinen Staunen – eben wegen der Finanzmathematik.

Aktienmärkte: Covid-19, die entscheidende Determinante

Damit ist aber auch klar, wer oder was in der jetzigen Phase die Verfahrensherrschaft besitzt. Je länger die Lockdown-Maßnahmen andauern, desto tiefer wird der wirtschaftliche Schaden. Der IWF geht davon aus, dass für den Fall eines Lockdowns, der über das erste Halbjahr hinausgeht, die Weltwirtschaft um weitere 3 Prozent schrumpfen wird, bei einer Verlängerung bis 2021 könnten weitere 8 Prozent dazu kommen. Da sich weltweit Virologen und Ökonomen in einem Wettstreit um das wahrscheinlichste Szenario befinden, sind Prognosen über Wachstum und Konjunktur von unglaublich minderer Güte – derzeit ein Stochern im Nebel.

Gibt es ein „U“ oder doch ein „L“ im Konjunkturverlauf? Wir wissen es nicht, noch weniger als bei früheren Rezessionen.

Erste Lockerungen des Lockdowns – stoppen sie den Fall des Ifo?

Einige Marktbeobachter zweifeln darüber, ob die jetzt angestrebte schrittweise Aufhebung der Ausgangs- und Produktionsbeschränkungen auch bereits der Anfang der Rückkehr zur Normalität ist. Eine erste Indikation gab aber vor drei Tagen der ZEW-Index (Stimmung der Finanzprofis), der in seiner Erwartungskomponente im April um sagenhafte 77,7 Punkte gestiegen war (von minus 49,5 auf 28,2, ein erster Beweis für meine gerade geäußerte These über die kommenden Indikatoren).

Die Finanzmarktexperten sehen Licht am Ende eines langen Tunnels, man erwartet für das dritte Quartal wieder ein positives Wirtschaftswachstum, so das offizielle Statement.

Viel aussagekräftiger ist jedoch der für heute erwartete Ifo-Index, eine Befragung von 9000 deutschen Unternehmenschefs.

Im letzten Monat war das Barometer von 96 auf 86,1 Punkte gefallen, der stärkste jemals gemessene Rückgang. Für diese Woche werden 77 Punkte erwartet. Hinterlassen die ersten zaghaften Maßnahmen zum Wiedereinstieg in die Produktion (z.B. in der Automobilwerke) Spuren in der Erwartungskomponente?

Nochmals zur Einordnung: Der Index hatte in seiner Historie noch nie unter 80 Punkten notiert. Der Jahresdurchschnittswert bei der Finanzkrise 2009 betrug 85,2 Punkte. Wie FMW gestern Abend berichtete, rechnen die Unternehmen bei der aktuellen Umfrage des Ifo-Instituts damit, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens rund 3,9 Monate lang dauern werden. Mit deutlichen Auswirkungen auf die Beschäftigungslage.

Was werden die Aktienmärkte daraus machen?

Wobei wir wieder beim leidigen Thema Zukunftsorientierung der Aktienmärkte wären. Auch in der letzten Finanzkrise hatten Märkte die Wirtschaftserholung vorweggenommen, als die Nachrichten noch am schwärzesten waren. Aber heute, bei einer unkalkulierbaren Pandemie? Eigentlich müssten erfahrungsgemäß vor einem Börsenaufschwungs zunächst die Gewinnschätzungen von Analysten deutlich abgesenkt worden sein und das ist derzeit noch nicht geschehen. Aber was hilft die ganze Erfahrung in der heutigen Situation um Covid-19? Unsicherheiten allerorten und so etwas mögen die Börsen nicht. Deshalb spräche eigentlich viel für eine „W“-Formation, ohne klare Vorstellung von den oberen und unteren Umkehrpunkten.

 

Fazit

Eigentlich wäre alles andere als eine weitere Kurskorrektur an den Märkten eine faustdicke Überraschung. Wenn man sich die Aussichten mancher Fondsmanager betrachtet, spürt man extreme Zurückhaltung, ja Misstrauen gegenüber dem Aufschwung. Allerdings ist dieser Bias eigentlich schon wieder ein Zeichen, dass es demnächst nicht weit nach unten gehen sollte. Auch wenn es zum Himmel schreit: die Höhe der Aktienkurse und die Gewinnsituation der Unternehmen passen hinten und vorne nicht zusammen.

Es spricht einiges dafür, dass wir in den kommenden Handelstagen doch eine turbulente Phase an den Aktienmärkten bekommen könnten. Die US – Berichtssaison kommt in eine entscheidende (Realitäts)Phase mit den Berichten und Aussichten der ganz große Technologieaktien: Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft müssen Farbe bekennen. Es wurde schon öfters auf die ungewöhnliche Konstellation in der Marktkonstellation des S&P 500 hingewiesen. Die fünf Tech-Giganten repräsentieren 20 Prozent des billionenschweren Weltleitindex oder anders ausgedrückt ein Hundertstel der Aktien stehen für ganze 20 Prozent der Marktkapitalisierung. Erinnerungen werden wach: Hatten wir am Ende der Dotcom-Blase nicht schon so etwas Ähnliches? Als Cisco, General Electric, Intel, Microsoft und Walmart 18 Prozent des Index ausmachten? Ein Realitätsscheck steht an.

Die Aktienmärkte steigen trotz schlimmer ökonomischer Realität



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2 Kommentare

  1. Vielleicht lauert im Hinterstübchen der Investoren ja eine mögliche folgende Bankenkrise und die jetzige Positionierung ist schon der Vorbote eines Crack Up Boom Scenarios…Und da ist man doch besser raus aus Bargeld…

  2. …die Welt wird sich weiter drehen

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