Nach dem jüngsten Höhenflug stehen die Aktienmärkte vor einer heiklen Bewährungsprobe. Die erwartete Zinssenkung der Fed könnte, so warnen Strategen von JPMorgan, statt für neuen Auftrieb zu sorgen, vielmehr ein klassisches „Sell the News“-Signal auslösen. Zwischen Rekordständen und wachsender Nervosität rückt der September damit ins Zentrum der Aufmerksamkeit – ein Börsenmonat, der traditionell als Stolperstein für den US-Leitindex S&P 500 gilt.
Aktienmärkte vor „Sell the News“-Ereignis?
Die US-Aktienmärkte haben in diesem Jahr einen Höhenflug erlebt und mehr als 20 Allzeithochs erreicht. Doch die bevorstehende Zinssenkung der US-Notenbank Fed könnte nicht nur den Eifer der Anleger dämpfen, sondern auch ein „Sell the News“-Einbruch auslösen. Das zumindest warnt das Trading Desk von JPMorgan Chase & Co, so Bloomberg.
„Der aktuelle Bullenmarkt scheint unaufhaltsam, da sich immer neue Stützen bilden, wenn sich frühere Stützen abschwächen”, so Andrew Tyler, Leiter des Bereichs „Global Market Intelligence” der Bank. Wenn die Fed bei ihrer Sitzung am 17. September die weithin erwartete Zinssenkung durchführt, könnte dies jedoch „zu einem ‚Sell the News‘-Ereignis führen, da sich die Anleger aus den Aktienmärkten zurückziehen”.
Das Trading Desk von JPMorgan behielt seine eher zurückhaltende, taktisch optimistische Prognose bei. In einer Mitteilung vom Montag wies es auf eine Reihe von Risikofaktoren hin, darunter Inflation, Beschäftigung und der Handelskrieg. Zudem stellte es fest, dass Privatanleger in der Regel im September ihre Beteiligung zurückfahren, während weniger Unternehmen eigene Aktien zurückkaufen. Dies könnte kurzfristig für Gegenwind an den Märkten sorgen.
Seit den Tiefstständen im April, als Präsident Donald Trump seine ersten Salven im globalen Handelskrieg abfeuerte, ist der S&P 500 um mehr als 30 % gestiegen. Die Aktienmärkte haben sich bisher als widerstandsfähig erwiesen. Angesichts der erst jetzt spürbaren Auswirkungen der Zölle und der jüngsten schwachen Arbeitsmarktdaten sind die Anleger jedoch vor der erwarteten Zinssenkung der Fed im für den US-Aktienmarkt typischerweise schlechtesten Börsenmonat des Jahres nervös.

Inflation bringt Fed unter Druck
Seit Ende August tendiert der S&P 500 seitwärts und verzeichnet Bewegungen von weniger als 0,9 % in jede Richtung, wobei er stetig neue Rekordwerte erreicht. Eine ähnliche Situation an den Aktienmärkten gab es im Juli, als der Leitindex einen ganzen Monat lang keine tägliche Bewegung von einem Prozent verzeichnete – die längste Phase der Ruhe seit zwei Jahren.
Tyler macht sich vor der Sitzung des Offenmarktausschusses der Fed am 17. September Sorgen. Einerseits wird der am Donnerstag veröffentlichte Verbraucherpreisindex – der wahrscheinlich einen steigenden Preisdruck zeigen wird – die Fed wahrscheinlich nicht davon abhalten, die Zinsen zu senken. Andererseits deuten die Kommentare öffentlicher und privater Unternehmen zur Inflation darauf hin, dass weitere „durch Zölle verursachte Kostenweitergaben” bevorstehen, deren Geschwindigkeit und Ausmaß unbekannt sind. Darüber hinaus könnten Zinssenkungen die Nachfrage nach Arbeitskräften ankurbeln und damit eine Lohninflation auslösen, die in der Regel „hartnäckig” ist.
Der September wird zur Wundertüte
Unterdessen kommen im September mehrere Faktoren zusammen, die die Performance der Aktienmärkte dämpfen. Pensionskassen und Investmentfonds nehmen zum Quartalsende eine Neugewichtung ihrer Portfolios vor. Gleichzeitig lassen die Kaufaktivitäten im Einzelhandel im September tendenziell nach. Zudem stellen die amerikanischen Unternehmen vor der Veröffentlichung der Ergebnisse für das dritte Quartal ihre Rückkäufe ein. Diese sind eine wichtige Stütze für den Markt.
Allerdings hat sich der Monat der üblichen saisonalen Schwäche widersetzt, wenn die Fed nicht-rezessive Zinssenkungen vorgenommen hat. So ist der S&P 500 seit 1971 im September durchschnittlich um 1 % gefallen. In den Monaten, in denen die Zentralbank die Zinsen senkte und die Wirtschaft nicht schrumpfte, jedoch um 1,2 % gestiegen. Dies geht aus Daten hervor, die von Nathaniel Welnhofer, Stratege bei Bloomberg Intelligence, analysiert wurden.
Letzte Woche räumte Michael Wilson von Morgan Stanley die saisonale Schwäche ein, empfahl jedoch, den möglichen Dip an den Aktienmärkten zu kaufen. Das Trading Desk von JPMorgan empfiehlt hingegen den Kauf von Optionen, die an den Cboe Volatility Index (VIX) gebunden sind. Angesichts der erhöhten Risiken bevorzugen sie VIX-Call-Spreads oder VXX-Long-Positionen als Absicherung gegen Kurseinbrüche sowie defensive Anlagen. Sie empfehlen Aktienanlegern außerdem, eine Erhöhung ihres Goldengagements in Betracht zu ziehen, da die steigenden Erwartungen an Zinssenkungen den US-Dollar schwächen dürften.
FMW/Bloomberg
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