Eigentlich wäre am gestrigen Tag eine spürbare Korrektur der Aktienmärkte zu erwarten gewesen. Nach den vorherigen drei Börsentagen und der besten Börsenwoche seit Monaten. Zumal die Flut an negativen Nachrichten noch einmal stärker wurde. Der gestrige Börsentag begann mit einer Korrektur, der Dow Jones verlor zu Beginn 259 Punkte, um sich umgehend fast ganz wieder zu erholen. Der marktbreite S&P 500 und der Nasdaq konnten ihren Aufwörtstrend fortsetzen, nun schon den vierten Tag in Folge. Was sagt uns diese Marktentwicklung?
Aktienmärkte: Die halbherzige Korrektur
Schon am frühen Morgen unserer Zeit kam die Meldung aus China mit dem Rückgang des Wachstums beim Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal – nur noch 4,9 Prozent, allerdings hatte man auch nur fünf Prozent erwartet. Das Jahr 2021 verliert gewaltig an Dynamik, nach 18,3 Prozent in Q1, 7,9 Prozent in Q2, jetzt diese Abschwächung. Erstaunlicherweise ist damit das Ziel von acht Prozent immer noch erreichbar, schließlich liegt man damit im Durchschnitt noch bei fast zehn Prozent. Ein großes Problem ist hierbei die (teilweise selbstverursachte) Energiekrise. Der Preis für Kohle stieg allein auf Monatsbasis um 82 Prozent – und damit wird klar, warum man in China auf Energiesparen geschaltet hat: 80 Prozent der dortigen Stromversorgung basiert auf Kohlestrom. Der politische Boykott des großen Kohlelieferanten Australien schlägt jetzt voll durch.
Die chinesische Industrieproduktion war im September nur um 3,1 Prozent gestiegen. Allerdings blieben die Einzelhandelsumsätze mit plus 16,37 Prozent auf hohem Niveau. China versorgt die eigene Bevölkerung.
Warum aber reagieren die Aktienmärkte der Wall Street kaum auf die Wachstumsschwäche in China, von wo aus 50 Prozent der Artikel für den US-Konsum geliefert werden?
Auch in den USA fiel die Industrieproduktion im letzten Monat um 1,3 Prozent, die Probleme Lieferengpässe und Materialmangel sind überall zu spüren. Und treiben weiter die Inflationsaussichten und damit auch die kurzfristigen Anleihen in die Höhe. Besonders bei den Angelsachsen. In Großbritannien sprangen die 2-Jährigen auf 0,71 Prozent, in den USA auf 0,42 Prozent. Eigentlich unglaublich die Erwartungen in punkto Zinsen in UK. Man hält bereits noch 2021 die erste Zinsanhebung für möglich, für 2022 werden sogar schon vier Hikes eingepreist. Und was waren die bisherigen Marktreaktionen? Der britische FTSE 100 verlor zwar gestern 0,42 Prozent, stand am Ende der Vorwoche aber bereits vor dem Ausbruch nach oben zu einem neuen Jahreshoch.
Der „Footsie“ auf Jahressicht:
Auch die US-Märkte ließen sich trotz der negativen Nachrichtenlage rund um die Inflation nicht beeindrucken, der S&P 500 stieg um 0,34 Prozent, der Nasdaq gleich um 0,84 Prozent. Von 4486 Punkten beim S&P ist es nicht mehr weit bis seinem Allzeithoch vom 6. September mit 4548 Punkten.
Die Augen der Investoren sind auf die aktuelle Berichtssaison gerichtet: 8 Werte aus dem Dow Jones und 73 aus dem S&P 500 stehen auf der Wochenagenda – und trotz des Rückgangs der Aufwärtsrevisionen der Gewinne von 82 Prozent (August), zu 78 Prozent (September) auf 67 Prozent aktuell, scheint man sich nicht allzu sehr zu fürchten, vor Margendruck, Inflation und Zukunftsaussichten.
Die Devise an der Wall Street scheint zu lauten: „It’s a supply issue not a demand issue!“ Oder: Die Wirtschaftsschwäche ist vorübergehend, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
So war der Sektor mit den höherwertigen Konsumgütern (Consumer Discretionary) auch der am besten performende am gestrigen Tag.
Ergo: Die Korrektur an der Wall Street nach den Gewinnen der Vorwoche dauerte eine Stunde. Anschließend traten sofort die Käufer im antrainierten „Buy-the-Dip“-Modus auf.
Ist es eine Notlage der Investoren, die short gegangen sind oder ist es bereits das Phänomen FOMO, im Hinblick auf das Jahresende?
Was bedeutet FOMO?
Die Angst etwas zu verpassen, dürfte sich im Zeitalter der passiven Investmentfonds ETFs nicht gerade abgeschwächt haben. Vor allem wenn aktive Fondsmanager an die Seitenlinie getreten, oder sogar etwas short sind, die erwartete Korrektur der Aktienmärkte aber nicht kommen will. Dann spielt sich oft folgendes Szenario ab. Ein Abverkauf, eine Korrektur, läuft bei deutlich gestiegenen Umsätzen ab, dafür sorgen Stopploss-Orders, oder auch Zwangsverkäufe (Margin Call). Tritt die Gegenbewegung ein, sind die Umsätze geringer (nicht unbedingt die Kursbewegung), man steigt zögerlich ein, was aber nach einigen Tagen steigender Kurse immer mehr Teilnehmer in den Markt zwingt, weil die eigene Positionierung es „nötigt“. FOMO eben. Sind wir bereits schon wieder in einer solchen Situation trotz grottenschlechter Nachrichten?
Fazit
Das Börsenjahr ist noch lange nicht in der finalen Phase und es gibt sicher noch viele marktbewegende Ereignisse sowie die kommende Timeline durch die US-Notenbank für das erwartete Tapering. Natürlich stehen auch die Ergebnisse der Big Five an der Wall Street aus, die mit ihrer Marktkapitalisierung eine ganz andere Bedeutung haben wie Hunderte anderer Titel. Morgen kommt mit Tesla, nach ihrem Lauf im September und der Schwäche von Facebook schon die Nummer fünf, die Aktie mit den hochgeschraubten Erwartungen nach den letzten Verkaufszahlen.
Aber mit jedem Tag in Richtung Monatsende sinkt die Wahrscheinlichkeit einer größeren Korrektur, alle Fondsmanager kennen die Aspekte der Saisonalität und wissen, dass in wenigen Tagen die (angekündigten und genehmigten) millardenschweren Aktienrückkäufe an der Wall Street wieder einsetzen werden.
Jetzt kommt die Berichtssaison in Gang mit den konjunktur- und inflationssensiblen Werten – wie funktioniert das vielfach praktizierte Spiel an der Wall Street in den Industriesektoren in dieser schwierigen Phase? Die vorherige Absenkung der Erwartungen, um sie am Berichtstag schlagen zu können.
Aber wieder einmal zeigt sich das bisher so korrekturlose Börsenjahr 2021 in großer Stabilität: Wenn Aktienmärkte selbst bei schlechten Nachrichten nicht fallen..
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