Im Vorfeld der US-Wahlen haben die amerikanischen Aktienmärkte den Rückwärtsgang eingelegt. Die Wall Street scheut das Risiko, denn die Präsidentschaftswahl dürfte ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trump und Harris werden: Ausgang ungewiss. Aktien im Leitindex S&P 500 gaben einen Tag vor dem Showdown erneut nach, während Anleihen zulegten, da die Umfragen weiterhin auf ein knappes Rennen bei den US-Präsidentschaftswahlen kurz vor der Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed hindeuten. Grundsätzlich sind die Aussichten für die Aktienmärkte nach den US-Wahlen jedoch gut, wie die Statistiken zeigen.
Aktienmärkte: Abwarten lautet die Devise
Im Vorfeld der Abstimmung am Dienstag bleiben die Aktienhändler an der Seitenlinie, da eine Reihe von Umfragen zeigen, dass die Kontrahenten Donald Trump und Kamala Harris weiterhin dicht beieinander liegen. An den Börsen wird befürchtet, dass ein umstrittenes Ergebnis die Auszählung der Stimmen um Wochen oder gar Monate verzögern könnte. Für viele bedeutet dies vor allem einen potenziellen Anstieg der Volatilität, so ein Bericht von Bloomberg. Staatsanleihen stiegen über die gesamte Kurve und der Dollar fiel auf den tiefsten Stand seit über einem Monat.
Ein weiterer Faktor, der Händler davon abhält, risikoreichere Wetten einzugehen, ist die Anzahl der zusätzlichen Katalysatoren, die die Wahl umgeben. Auf den Wahltag folgen am Donnerstag die Fed-Entscheidung und die Pressekonferenz von Jerome Powell, bei der er Details zum Zinspfad der Fed bekannt geben wird. Außerdem geht die Berichtssaison weiter, da ein Großteil der US-Unternehmen noch ihre Zahlen vorlegen muss.
„Normalerweise würde die Zinsankündigung der Fed die Diskussionen der Woche dominieren, aber dies ist nicht irgendeine Woche“, sagte Chris Larkin von E*Trade bei Morgan Stanley. „Händler und Investoren, die auf den Ausgang der Wahlen gewartet haben, müssen sich auf eine mögliche Verzögerung des Ergebnisses und die damit verbundenen möglichen Auswirkungen einstellen.
Was die Aktienperformance betrifft, so tendiert der S&P 500 nach Angaben der Bespoke Investment Group dazu, das Jahr nach dem Wahltag mit positiven Renditen abzuschließen. Für alle Jahre seit 1990 lag der durchschnittliche Gewinn bei 3,3%. In Wahljahren war die Performance mit einem durchschnittlichen Gewinn von 3,9 % tendenziell etwas besser.
Kurz vor der Wahl
Der US-Leitindex S&P 500 fiel am Montag um 0,3 %, während der Nasdaq 100 um 0,3 % nachgab. Der Dow Jones Industrial Average sank um 0,6 %. In den späten Handelsstunden stiegen die Aktien von Palantir Technologies über 13% nach einem Gewinnsprung und unter Berufung auf eine „ungebrochene“ Nachfrage nach künstlicher Intelligenz.
Die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen sanken um neun Basispunkte auf 4,29 %. Bitcoin und Gold gaben ebenfalls nach. Der Ölpreis stieg, nachdem die OPEC+ zugestimmt hatte, ihre Produktionserhöhung im Dezember zu verschieben und der Iran eine mögliche Reaktion auf Israels jüngste Bombardierung skizzierte.
Anlageübergreifende Risiken
Von Aktien und Staatsanleihen bis hin zu Währungen und Rohstoffen – selten war die Besorgnis zu diesem Zeitpunkt des Konjunkturzyklus so ausgeprägt. Ein von der Bank of America geführter Indikator für anlageübergreifende Risiken erreichte den höchsten Stand in einer Woche vor der Wahl.
„Die Stimmung an den Aktienmärkten könnte sich kurzfristig verschlechtern, vor allem, wenn der Gewinner der Präsidentschaftswahlen nicht feststeht oder es länger als erwartet dauert, bis ein Sieger feststeht“, so Carol Schleif von BMO Family Office. „Früher oder später wird das Wahlergebnis feststehen, und jede daraus resultierende Volatilität ist unserer Ansicht nach eine Chance.“
Commodity Trading Advisors (CTAs) werden nach Angaben des Trading Desks von Goldman Sachs voraussichtlich amerikanische und globale Aktien verkaufen, egal in welche Richtung sich die Aktienmärkte entwickelt.
„Unsere Modelle gehen davon aus, dass CTAs im Laufe der Woche in jedem Marktszenario zu den wesentlichen Verkäufern gehören werden“, hieß es.
Dubravko Lakos-Bujas, Stratege bei JPMorgan, geht davon aus, dass die US-Aktienmärkte in der Endphase des Jahres 2024 steigen werden, sobald die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben werden, insbesondere wenn es zu einem politischen Stillstand kommt, also die Kammern zwischen Demokraten und Republikanern geteilt sind.
„Wir glauben, dass die Aktienkurse in beiden Szenarien steigen werden, wenn die Ungewissheit beseitigt ist, die Volatilität abnimmt und die Absicherungen aufgelöst werden, wobei sich die Anleger zu einem Zeitpunkt, an dem die Wirtschaft und die Unternehmensgewinne stabil bleiben, wieder auf die Federal Reserve konzentrieren“, schreibt er.
Aktienmärkte: S&P 500 auf 6.000 Punkte
Laut Mike Wilson von Morgan Stanley kann der S&P 500 bis zum Ende des Jahres 2024 weiter steigen, da die Anleger nach den US-Präsidentschaftswahlen aufatmen und die Angst die Jahresendrally zu verpassen (FOMO) einsetzt.
Da jedoch keine eindeutigen Katalysatoren in Sicht sind, wird dieser Enthusiasmus wahrscheinlich nachlassen, wenn der Kalender auf 2025 zugeht, warnt der Stratege.
„Ich denke, dass wir möglicherweise 6.000 Punkte im S&P 500 sehen könnten, wenn es eine Art ausgewogenes Ereignis gibt, bei dem es nicht viel Bestürzung gibt und die Leute ein gutes Gefühl haben“, sagte der Chefstratege für US-Aktien bei Morgan Stanley am Montag in einem Interview mit Bloomberg Television. Der Index schloss am Montag bei 5.712,69 Punkten.
Reaktionen nach der Wahl
Die Nachhaltigkeit einer Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten im Falle eines Wahlsiegs von Trump wird wahrscheinlich vom Ausmaß der Reaktion der Anleiherenditen abhängen, so die JPMorgan-Strategen um Mislav Matejka.
Ein Sieg von Trump bei den Wahlen und eine positive Marktreaktion werden zum jetzigen Zeitpunkt weithin erwartet, und die Anleger sind bereits Long-Positionen in Aktien eingegangen. Sollte Harris gewinnen, würde die Unsicherheit über den Weg der Unternehmenssteuern kurzfristig zunehmen. Mittelfristig könnten die Aktienmärkte durch das geringere Zollrisiko etwas Unterstützung erfahren, so die Strategen.
Die Volatilität war zwar erhöht, aber sie deutet auf einen Kursanstieg von etwa 1,7 % für den S&P 500 am Tag nach der Wahl hin – kein großer Ausschlag. Laut Stefano Pascale, Leiter der Strategie für US-Aktienderivate bei Barclays Plc, ist die implizite Bewegung von einem Höchststand von rund 2 % Anfang Oktober stetig gesunken und entspricht in etwa dem langfristigen Durchschnitt für vergangene Wahlen.
Erhöhte Volatilität
Neben dem breiten Aktienmarkt verzeichnen einige Sektoren wie Kryptowährungen und Aktien aus dem Bereich der sauberen Energien einen Anstieg der Volatilität, der weit über ihren Medianwerten liegt. Krypto-Aktien preisen fast 10 % Schwankungen ein, so die Handelsabteilung von Morgan Stanley letzte Woche, und die Werte aus dem Bereich erneuerbare Energien etwa 6 %. Das macht sich bei der Positionierung bemerkbar, wo zum Beispiel letzte Woche mehr als 20.000 November-Call-Spreads für Sunrun, ein Anbieter von Photovoltaiksystemen, gekauft wurden.
Nach Ansicht von Dan Wantrobski von Janney Montgomery Scott befinden sich die US-Aktienmärkte vor dieser potenziell historischen Woche noch weitgehend im Konsolidierungsmodus. Die Anleger sollten sich auf einen unruhigeren Handel in den kommenden Sitzungen einstellen, sagte er.
„Je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln, werden die Aktienmärkte entweder neue Höchststände erreichen (der primäre Trend ist nach wie vor bullisch) oder größere Rückschläge erleiden (die überkauften Bedingungen bleiben bestehen, wobei einige der jüngsten Unterstützungsniveaus gebrochen wurden)“, so Wantrobski.
Laut Keith Lerner von Truist Advisory Services sind die bisherigen Kursgewinne bis Oktober die stärksten in einem Wahljahr seit mindestens den 1950er Jahren. Diese Zuwächse werden von einer nach wie vor widerstandsfähigen Wirtschaft und von anhaltenden Unternehmensgewinnen gestützt, so Lerner.
„Zwei Grundsätze dieses Marktes bleiben ebenfalls intakt: 1) Don’t fight the trend, und 2) Don’t fight the Fed“, so Lerner.
Aktienmärkte: Optimismus ungebrochen
Die US-Aktienmärkte haben sich im vergangenen Monat relativ gut entwickelt, während sie im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahlen stärker eingebrochen waren. Dies deute darauf hin, dass der Optimismus über die Konjunktur und weitere Zinssenkungen der Fed die Sorgen über die US-Wahlen überwiege, so die Strategen der Citigroup.
„Natürlich wird die US-Wahl eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Finanzmärkte in dieser Woche spielen“, sagte Anthony Saglimbene von Ameriprise. „Aber auch die Zinsentscheidung der Fed am Mittwoch, einige Konjunkturdaten im Laufe der Woche und die Tatsache, dass rund 20 Prozent der S&P 500-Unternehmen ihre Ergebnisse für das dritte Quartal vorlegen werden, dürften die Aktienmärkte beeinflussen.“
Da sich die beiden US-Präsidentschaftskandidaten vor den Wahlen in einem „knappen Rennen“ befinden, stellen sich die Märkte auf ein Ergebnis ein, das zu einer Vielzahl von politischen Entscheidungen führen könnte. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Aktienmärkte seit 1933 am Ende der Amtszeit eines Präsidenten fast immer zweistellig gestiegen sind, unabhängig von dessen Parteizugehörigkeit, so Seema Shah von Principal Asset Management.
„Anleger sollten Vorsicht walten lassen. Wer sich bei seinen Anlageentscheidungen von seiner politischen Meinung leiten lässt, könnte sich die potenziellen Gewinne entgehen lassen, die mit einer langfristigen Investition in den Markt verbunden sind“, so Shah.
US-Wahlen: Aktien-Strategie
Vor dem Hintergrund der unsicheren Wahlaussichten könnte es sinnvoll sein, sich eher auf Bereiche zu konzentrieren, die von beiden Parteien unterstützt werden, als auf Branchen, die von der einen oder anderen Partei profitieren, meint Scott Helfstein von Global X.
„Themen wie Infrastruktur, Verteidigungstechnologie und Kernenergie, die für die Wettbewerbsfähigkeit der USA von zentraler Bedeutung sind, finden sich in beiden Parteiprogrammen“, so Helfstein. „Private Investitionen in Bereiche wie künstliche Intelligenz, Rechenzentren und Robotik werden wahrscheinlich hoch bleiben, da US-Unternehmen versuchen, in einem Umfeld mit höheren Zöllen oder Steuern hohe Margen zu erzielen.“
Laut Jason Draho von UBS Global Wealth Management sind die Voraussetzungen für die übliche Jahresendrally an den Aktienmärkten gegeben, wenn auch noch lange nicht sicher.
„Die Wahlen dürften ein risikoreduzierendes Ereignis sein, während die wirtschaftlichen Fundamentaldaten, die Geldpolitik der Fed und die Positionierung der Anleger für weitere Kursgewinne sprechen“, so Draho. „Für die Aktienmärkte könnte dies auch bedeuten, dass sich die im Herbst begonnene Aufwärtsbewegung fortsetzt. Selbst wenn es nicht zu einer Jahresendrally kommt, stimmen uns diese Bedingungen zusammen mit dem Thema KI zuversichtlich, dass die Aktienmärkte im kommenden Jahr steigen werden.
FMW/Bloomberg
Kommentare lesen und schreiben, hier klicken