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Aktienmärkte und trübe Konjunktur: Wieder ein Auseinanderdriften

Aktienmärkte und trübe Konjunktur

Die Wirtschaftsaussichten für die nächsten Monate und speziell für die deutsche Volkswirtschaft, trüben sich spürbar ein – aber die Aktienmärkte scheint das kalt zu lassen: der deutsche Leitindex steht gerade einmal zwei Prozent unter seinem Allzeithoch. Lieferengpässe, Materialmangel und steigende Kosten hinterlassen ihre Eindrücke in der wirtschaftlichen Erholung nach Corona. Eine sich spürbar abkühlende Konjunktur und Höhenflüge der Aktienmärkte – woher rührt diese Asymmetrie?

Aktienmärkte und Konjunktur: Aktuelle Lage pfui, Aussichten hui!

So flapsig könnte man die Lage umschreiben, wenn man die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute mit ihren Wirtschaftsaussichten in Augenschein nimmt. Im Vergleich zur Juniprognose haben die fünf führenden Wirtschaftsinstitute ihre aktuelle Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum deutlich nach unten genommen. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) zuletzt von 3,9 auf 2,6 Prozent, das Ifo-Institut von 3,3 auf 2,5 Prozent, das DIW von 3,2 auf 2,1 Prozent, das IWH in Halle von 3,9 auf 2,2 Prozent, das RWI von 3,7 auf 3,5 Prozent, insgesamt eine Abstufung um etwa ein Prozent. Damit verschiebt man die Rückkehr zum Vor-Coronaniveau auf das Jahr 2022.

Gleichzeitig erhöht man die Quote für das Jahr 2022 von der Juniprognose von durchschnittlich 4,4 auf 5 Prozent, nur die Hallenser fallen mit 3,6 Prozent etwas aus dem Rahmen.

Über die Ursachen gibt es an dieser Stelle nichts Neues zu berichten, es ist mittlerweile tägliche Routine: die Corona Pandemie mit ihren Auswirkungen auf die Lieferketten, der Mangel an Materialien, insbesondere an Halbleitern, mit der Folge von Produktionskürzungen, vor allem in unserer Schlüsselindustrie.

Damit hat sich eine ungewöhnliche wirtschaftliche Lage entwickelt. Während die Auftragseingänge im Industriebereich auf 16 Prozent plus gegenüber dem Vorkrisenniveau gestiegen sind, ist die Produktion im gleichen Zeitraum um 1,5 Prozent gefallen, so das Ifo-Institut.

Dazu IfW-Präsident Gabriel Felbermayr: „Die Lücke zwischen Auftragseingängen und Industrieproduktion klafft immer weiter auseinander, in historisch nicht gekannte Dimensionen.“

Besonders tragisch für den ehemaligen Exportchampion Deutschland: Die Lieferkettenproblematik wirkt sich auf beiden Handelsseiten aus. Man bekommt nicht genügend Grundstoffe, aber die Waren werden auch nicht überall angenommen. Der Export wuchs im zweiten Quartal 2021 nur um 0,5 Prozent. Was bedeutet das für die Aktienmärkte im Allgemeinen – und den Dax im Speziellen?

Der knausrige Konsument in Deutschland

Wie oft war in den letzten Monaten von den Folgen des Lockdowns in 2020 die Rede und die auf unglaubliche 16,1 Prozent gestiegene Sparquote der Bürger in Deutschland? Mangels Ausgabemöglichkeit könnte sich laut IfW eine Summe von 200 Milliarden Euro angehäuft haben, die auf Verzehr wartet. Doch die Verbraucher agieren zögerlich. Nach einem Wachstum von 3,2 Prozent in Q2 rechnet man im dritten Quartal mit 3,7 Prozent und im vierten nur noch mit 1,3 Prozent. Dies ergibt sich auch aus Umfragen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Die Bereitschaft für größere Anschaffungen habe abgenommen und man rechnet für den Rest des Jahres nur noch mit stagnierenden Konsumausgaben.

Was natürlich deutliche Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur hätte, bei der der Konsum auch über 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.

Die nachgebenden Frühindikatoren

Dass diese Einschätzungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigen die jüngsten Daten für die Einkaufsmanagerindizes sowohl für das verarbeitende Gewerbe als auch den Dienstleistungssektor in Deutschland. Wie gestern bekannt wurde fiel der so genannte PMI für das Verarbeitendes Gewerbe auf 58,5 Punkte (Prognose waren 61,5, Vormonat 62,6 Punkte).

Für den Dienstleistungssektor wurden 56,0 Punkte gemeldet (Prognose waren 60,2, Vormonat 60,8 Punkte).

Dies ergab für den Gesamtindex 55,3 Punkte (Prognose waren 59,2, Vormonat 60,0 Punkte).

Damit ist man schon deutlich vom Julihoch mit 62,3 Zählern zurückgekommen, der zweite Rückgang in Folge. Der Leiter der Datenerhebung, Phil Smith von Markit, beurteilte das Ergebnis der Umfrage als Zeichen dafür, dass die Geschäftstätigkeit nach dem starken Anstieg im Sommer allmählich nachlässt.

Heute dann der nächste Dämpfer: der ifo Index (Befragung von 7000 Unternehmenschefs zu ihren Wirtschaftsaussichten) fällt zum dritten Mal in Folge. Bei einem dritten Rückgang spricht man von einem neuen Trend – und der hieße Wirtschaftsabschwächung.

Und was machen die Aktienmärkte?

Nachdem die europäischen Aktienmärkte das Reopening der Wirtschaft parallel zu den amerikanischen Börsen von November 2020 an einpreisten, erfolgte ab April diesen Jahres für die Aktienmärkte eine Phase der Seitwärtsbewegung mit leichten Ausbrüchen nach oben, aber stets blieb der DAX in Sichtweite zu der 15.000-Punktemarke. Vor fast sechs Monaten stand unser Leitindex schon bei 15.200 Punkten – und heute?

Die Anleger waren in Summa also schon frühzeitig skeptisch, dass es in der zweiten Jahreshälfte weiter so dynamisch nach oben gehen könnte. Denn die Themen Inflation und Lieferengpässe setzten bereits schon im Frühjahr ihre ersten Duftmarken.

Fazit

Den Reaktionen der Aktienmärkte nach zu urteilen – und damit Tausenden von Betriebsangehörigen, die als Aktionäre das Gras früher wachsen hören – sollte es nach der jetzigen Phase im nächsten Jahr zumindest nicht weiter wirtschaftlich nach unten gehen. Auch wenn der früheste der Frühindikatoren kein absolut zuverlässlicher Signalgeber sein kann, weil er weder externe Schocks noch ein (irrationales) Verhalten von Konsumenten und Anlegern antizipieren kann, so weist er doch sehr häufig in die richtige Richtung.

Eines tun Aktienmärkte in Summa auch sehr deutlich: Kommt es zu einer neuen substanziellen Lage, wird sehr schnell neu eingepreist, manchmal in Windeseile und viel schneller als es in Aufwärtstrends nach oben geht. Derzeit gibt es zwei Faktoren, die den Dax in seiner Pattsituation zwischen be- und entlastenden Faktoren festhalten. Ein fundamentaler Grund ist, dass die Gewinne der Unternehmen im deutschen Leitindex in diesem Jahr deutlich über 100 Milliarden Euro betragen könnten (die ersten beiden Quartale haben schon mächtig vorgelegt), bei einer Marktkapitalisierung des Dax 40 von etwa 1,7 Billionen Euro. Allerdings gilt es beim Dax zu bedenken, dass die Mehrzahl der Gewinne im Ausland eingefahren werden.

Als Zweites ist natürlich die Zinssituation an den Geldmärkten zu nennen, mit Realrenditen, die auch in Deutschland bei minus vier Prozent liegen. Der andauernde Albtraum für Pensionsfonds, Versicherer, Stiftungen aber auch für alle Privatanleger. Das wird auch ein großes Thema für die neue Bundesregierung werden, auch wenn sich die Europäische Zentralbank vom Anleihenotprogramm PEPP verabschieden sollte. Der Notstand herrscht weiter: Die Inflation müsste sinken, die Zinsen zumindest so stark steigen, dass es ein wenig Rendite gibt.

Zunächst symbolisieren die Anleihemärkte, dass es noch nicht allzu schnell zu höheren Renditen kommen wird und die Aktienmärkte, dass es mit der Konjunktur im nächsten Jahr weiter aufwärts gehen könnte.

Auf die Wirtschaftsprognosen sollte man sich allerdings nicht verlassen, denn die letzten eineinhalb Jahre haben gezeigt, welche unberechenbare Lage die Pandemie mit sich gebracht hat. Es ist so viel Geld im Markt, es haben sich so viele exzessive Entwicklungen ergeben, die Zinsen stehen so aberwitzig tief, so dass man konjunkturell fürs nächste Jahr eigentlich mit allem rechnen kann.



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