Indizes

Aktienmärkte: Weit enteilt – zieht die Wirtschaft wirklich nach?

Nach einem Absturz der Aktienmärkte im Februar/März folgte eine ebenso spektakuläre Erholung: Nun sehen wir eine Bilanz, die der Realwirtschaft Hohn spricht..

Die Hausse der Aktienmärkte im zweiten Quartal ist (war) in aller Munde. Rekordverdächtig und schon lange nicht mehr gesehen. Das Ganze wird aber noch viel extremer, wenn man nur die letzte Märzwoche dazurechnet.

Das Quartal lieferte ein „V“ der Aktienmärkte

Nach einem Absturz der Aktienmärkte im Februar/März, wie man ihn noch nie in einer solchen Geschwindigkeit beobachtet hat – 16 Tage vom Allzeithoch bis in den Bärenmarkt – folgte eine ebenso spektakuläre Erholung: Weltweite konzertierte Aktionen von Notenbanken und Regierungen waren die großen Treiber. Jetzt ist das Anschlussquartal vorbei und man starrt auf eine Bilanz, die der Realwirtschaft Hohn spricht. Aber, wie ich in meinem Beitrag vom 12. Juni dargelegt habe „Der unsinnige Vergleich Börsen-V versus Wirtschafts-V“ laufen Aktienrally und Wirtschaftserholung immer zeitversetzt aus einer Rezession. Die Vergangenheit liefert genug Beispiele, nur sind die Aktienmärkte auch kein sicherer Indikator. Auch dafür gibt es ein paar Vorlagen. Zu den Quartalszahlen:

  • Der DAX stieg in Q2 um 23 Prozent. Es war das drittbeste Quartal seiner Geschichte, nach den Jahren 1999 und 2003 mit über 33 Prozent.
  • Der S&P 500 kletterte um 19 Prozent und damit so schnell wie zuletzt vor 22 Jahren. Der Dow Jones um 18 Prozent und der Nasdaq sogar um die 30 Prozent.

Dass einem dies eigentlich nicht besonders spektakulär vorkommt, liegt an der Tatsache, dass die Indizes einen großen Teil des Anstiegs bereits in der letzten Märzwoche und damit in Q1 vollzogen hatten. Nach dem panikartigen Ausverkauf aus Angst vor einer wirtschaftlichen Depression und einem möglicherweise sechsmonatigem Lockdown waren die Indizes zwischen 33 und 40 Prozent nahezu senkrecht in einem Monat eingebrochen. Die Reaktion darauf war wie die eines gespannten Gummibandes. Die gesamte Kursbewegung war viel spektakulärer, als es die Quartalszahlen annehmen lassen.

Dax: 8255 – 12310 Punkte (Ausverkauf – Quartalsende)

S&P 500: 2206 – 3100 Punkte

Also Kursavancen der Aktienmärkte von 40 bis 50 Prozent, sonst hätte man auch nicht von einem Aktienmarkt-V sprechen können.

Was macht die Konjunktur?

Auch wenn die seltsame Fantasie, bezogen auf ein Wirtschafts-V beendet ist, so ist bei Berücksichtigung aller Indikatoren ein zunächst – aus mathematischen Gründen heftiger – aber in der Gesamtbetrachtung zäher Anstieg der wirtschaftlichen Aktivitäten erkennbar.

Ob Einkaufsmanagerindizes, Konsumausgaben, Verbrauchervertrauen, alles steigt an, nur nicht so schnell wie es sich manche wünschen. Reiseverbote, Abstandsregeln, begrenzte Kapazitäten, Konsumfrust durch Masketragen und Unsicherheit von Konsumenten durch die Arbeitslosigkeit – dieser toxische Cocktail muss zu einem langsamen Anstieg volkswirtschaftlicher Aktivitäten führen. Zumal es auch eine große zeitliche Divergenz zwischen Ausbreitung und Eindämmung von Ost nach West gibt.

Dem US-Präsidenten geht alles nicht schnell genug – und dies könnte die Wirtschaftserholung noch gewaltig einbremsen.

Was bedeutet das für Deutschland?

Auch wenn Deutschland als Exportnation sehr von den Fortschritten des Auslands abhängig ist, so sind die Zeichen der Erholung erkennbar.

Das Ifo-Institut hält in seinem neuesten Ausblick den Absturz für beendet, eigentlich eine Plattitüde, denn wenn ich staatlicherseits im April alles stilllege, was nicht für das Existenzielle erforderlich ist – was soll dann im Monat der Öffnung folgen? Der Einzelhandel hat vorlegt und im Mai den stärksten Zuwachs seit 26 Jahren hingelegt.

Ifo-Konjunkturchef Prof. Timo Wollmershäuser brachte den aktuellen Ausblick seines Instituts so auf den Punkt: „Von nun an geht es schrittweise wieder aufwärts!“

Die deutsche Wirtschaft sollte im Gesamtjahr um 6,7 Prozent einbrechen – und damit so stark wie nie in der Nachkriegszeit. Nach einem voraussichtlichen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im letzten Quartal um 11,9 Prozent zur Vorperiode, dürfte es im dritten Quartal um 6,9 Prozent nach oben gehen und Ende 2020 um 3,8 Prozent, so der Konjunkturforscher.

2021 solle das BIP wieder um 6,4 Prozent wachsen, so dass die Wirtschaftsleistung von Ende 2019 dann Ende 2021 wieder erreicht werde.

Hierzu gab es gestern einige aktuelle Konjunkturindikatoren:

Der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe (Markit-Institut) stieg im Juni auf 45,2 Punkte von 36,6 Zählern im Mai.
Auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit verlangsamt sich. Im Juni waren 40.000 mehr Menschen ohne Job als im Mai, wie die Bundesagentur für Arbeit bekannt gab. Die Arbeitslosenquote stieg demnach um 0,1 Prozentpunkte auf 6,2 Prozent. Insgesamt waren 2.853.000 Menschen arbeitslos gemeldet. Im Mai war die Zahl der Arbeitslosen noch um 169.000 gegenüber April geklettert; von März auf April waren es sogar 308.000.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ließ vorgestern verlauten, dass nach seiner letzten Umfrage die Unternehmen erst mit einer Normalisierung in acht oder neun Monaten rechnen.

Die Halbwertszeit von Prognosen

Was soll man von den dargestellten Wirtschaftsperspektiven halten? „Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie…..!“ Dieses Karl-Valentin-Bonmot gilt in diesen Zeiten ganz besonders, schließlich befinden wir uns in einer extrem außergewöhnlichen Situation, in der man weder den Menschen, zugleich Konsumenten, einschätzen kann, noch den Auslöser des Ganzen, Covid-19.

Bisher stocherten Viele, die sich mit Wirtschaft und Pandemie beschäftigen, im Nebel. Wenn man sich nur die letzten drei Monate betrachtet: Aktienmärkte, Lockdown, Lockerungen, Infektionszahlen, Eindämmung – wer hatte diese Entwicklung erwartet? Jedenfalls sind die Aktienmärkte weit vorausgelaufen, die Wirtschaft muss liefern, zumindest Step by Step.

Wie sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben: Ein Konjunkturpaket von 130 Milliarden Euro durch die Regierung ist zwar lobenswert, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Umsätze der deutschen Firmen betrügen 5300 Milliarden Euro und davon seien 1000 Milliarden durch die Pandemie bedroht. Klar steckt hinter dieser Aussage auch Kalkül in Richtung weiterer Unterstützung in Form des Wiederaufbaufonds der EU. Deshalb auch sein gezielter Hinweis, dass die Umsätze der deutschen Wirtschaft zu 80 Prozent aus Deutschland und der EU stammten, der Rest von außerhalb. Aber noch einmal, die Wirtschaft muss jetzt einen Gang hochschalten.

Was bringt der neue Monat?

Normalerweise könnte man nach dem Rekordquartal auf die Statistik für den Börsenmonat Juli blicken. Nur ist diese nach einem Aktien-V überhaupt etwas wert? Beim Dax ist der Juli durchschnittlich sogar ein guter Monat – mit gemittelten 1,57 Prozent, Nummer fünf aus Jahressicht. Aber bei vielen Aktien könnten die Karten jetzt neu gemischt werden. Kommen jetzt die Gewinnmitnahmen, nachdem man zu Quartalsende noch etwas Window Dressing betrieben hat?

Fazit: Aktienmärkte und Realwirtschaft

Bei der Beurteilung der Entwicklung der Aktienmärkte gibt es eben immer auch das Problem der Auswahl des Zeitintervalls, wie jetzt beim Rückblick auf das zweite Quartal 2020. Betrachtet man die Entwicklung der Indizes seit Jahresanfang, so stehen für Dax und S&P 500 minus 7 beziehungsweise minus 4 Prozent zu Buche. Und bei einer extrem langen Darstellung über 10 oder gar 30 Jahre, so verliert die Panik- und Gierphase des Jahres 2020 stark an Dramatik.

Kursentwicklung Dax und S&P 500 seit 1990:

Dax (1370 – 12310 Punkte) – S&P 500 (353 – 3100 Punkte)

Seit dem Tief im Jahre 2009:

Dax (3666 – 12310 Punkte) – S&P 500 (676 – 3100 Punkte)

Für das Ende eines Konjunkturzyklus mit ausgeprägter Rezession waren die Kursverluste der Aktienmärkte in diesem Jahr zumindest bei den Indizes sehr moderat, sogar zu moderat. Die Regression zum Mittelwert der über Jahrzehnte zu beobachtenden Renditen der Aktienmärkte hat noch nicht stattgefunden. Sie wird kommen und vermutlich wieder alle überraschen, bis auf diejenigen, die es wieder einmal gewusst haben: Zeitpunkt und Ausmaß, aber die gab es immer – in jeder Dekade.

Die Aktienmärkte sind stark gestiegen, die Wirtschaft muss das rechtfertigen



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