Ein statistisches Schauspiel entfaltet sich in Chinas April-Zahlen. Chinesische Wirtschaftsdaten sind mit Vorsicht zu genießen. Die aktuelle Handelsbilanz für den April jedoch liest sich nicht wie eine nüchterne Statistik, sondern eher wie ein politisches Manifest an die Welt – vor allem an die USA. Diese Botschaft dürfte auch die anstehenden Gespräche über „reziproke“ Zölle zwischen Washington und Peking maßgeblich beeinflusst haben.
April-Zahlen aus China: Mehr Propaganda als Statistik
Die Kernaussage lautet: „China ist nicht auf den Handel mit den USA angewiesen.“ Oder wie es die pro-chinesische Bloggerin S.L. Kanthan formulierte: „China enthüllt ein schockierendes Geheimnis: Es gibt eine Welt außerhalb der USA!“ Im April gingen die chinesischen Exporte in die USA gegenüber dem Vorjahr um 21,03 Prozent zurück, die Importe aus den USA um 13,8 Prozent. In der Folge schrumpfte der chinesische Handelsüberschuss um 24 Prozent.
Diese Zahlen werfen Fragen auf. Laut dem Logistikspezialisten Descartes stiegen die Containerimporte in die USA im April um 9,1 Prozent. Zwar sind Volumen und Wert schwer vergleichbar – Descartes erfasst Containerzahlen, nicht Warenwerte –, und Zeit-Verschiebungen im Transport spielen eine Rolle. Dennoch ist die Diskrepanz auffällig groß.
Und trotz des Exportrückgangs in die USA bleibt deren Anteil an Chinas Gesamtausfuhren mit 13 Prozent nahezu konstant. Auch das wirft Fragen zur Zuverlässigkeit und politischen Absicht hinter den Zahlen auf.
Schöngerechnet und umgeleitet
Chinas Exportdynamik zeigt weitere Unstimmigkeiten. Im April stiegen die Exporte in US-Dollar gerechnet um 8,1 Prozent, während das Volumen nur um 6,0 Prozent zunahm. Der Exportpreisindex für April liegt noch nicht vor, im März wurde ein Rückgang von 1,4 Prozent verzeichnet. Offizielle Einkaufsmanagerindizes deuten auf weiterhin sinkende Exportpreise hin. Normalerweise müsste bei fallenden Preisen der Exportwert langsamer steigen als das Volumen. Eine deutliche Abwertung des Yuan hätte dies erklärt – doch diese blieb weitgehend aus.
Das ist die eine Hälfte der Geschichte, die S.L. Kanthan zusammengefasst hat. Die zweite Hälfte lautet: „Es gibt noch andere Länder, in die China exportieren kann“ – nämlich in die ASEAN-Staaten. Wenig überraschend betrug der Zuwachs in diesem Staatenbund 20,8 Prozent – praktisch genau der Wert, um den die Exporte in die USA zurückgegangen sind. Alle ASEAN-Länder melden massive Probleme mit Transshipping. Gleichzeitig steigen die Transporte zwischen den ASEAN-Staaten und den USA. Die massiven Zölle ändern also an der eigentlichen Handelsdynamik wenig. Die Waren werden einfach umgeleitet – und landen letztendlich doch in den USA.
EU und China: Dialog trifft Exportdruck
Was hinter den Schlagzeilen um die Strafzölle durch Trump verschwindet, ist der sino-europäische Handel. Die Exporte in die EU nahmen fast im selben Maße zu wie die gesamten chinesischen Ausfuhren – plus 8,3 Prozent –, allerdings mit großen Unterschieden. Deutschland war die Top-Destination mit 20 Prozent mehr Waren, während nach Frankreich nur 2,8 Prozent mehr Produkte gingen. Desaströs sieht es dagegen in die andere Richtung aus: Die Importe aus der EU fielen um 16,5 Prozent – stärker noch als die aus den USA.
In Reaktion auf Trumps aggressive Zollpolitik bemühen sich China und die EU um ein neues wirtschaftliches Gleichgewicht. Beide Seiten einigten sich zuletzt auf den gleichzeitigen Abbau bestehender Handelsbeschränkungen, um die bilateralen Beziehungen zu stabilisieren. Doch diplomatische Gesten reichen nicht aus. Der EU-Botschafter Jorge Toledo kritisierte in Shanghai offen, dass europäische Unternehmen in China zunehmend ins Hintertreffen geraten. „Es gibt keinen fairen Wettbewerb, und die Lage verschlechtert sich“, so Toledo. Die Folge: wachsender Rückzug europäischer Firmen aus dem chinesischen Markt.
Als Reaktion hat die EU am 28. April neue Strafzölle zwischen 20,6 und 66,7 Prozent auf chinesische Arbeitsplattformen eingeführt. Hinzu kommen Verhandlungen über Mindestpreise für Elektroautos und mögliche Maßnahmen gegen Importschwemmen, ausgelöst durch US-Zölle. Die aktuellen Zahlen sprechen für eine Verschärfung der Gangart.
China: Industrie ohne Absatzmarkt
Die Handelsbilanz zwischen der EU und China steht exemplarisch für das strukturelle Ungleichgewicht im chinesischen Außenhandel: robuste Exporte bei gleichzeitig stagnierenden oder sinkenden Importen. Im April wuchsen Chinas Einfuhren insgesamt um lediglich 0,2 Prozent. Von einem Anziehen der Binnenkonjunktur oder wachsendem Konsum keine Spur.
Besonders deutlich zeigt sich das beim Blick auf die Energieimporte. Rohöl legte im Jahresvergleich nur um 0,5 Prozent zu. Die Einfuhren seltener Erden gingen um 23,6 Prozent zurück. Das spricht für einen schrumpfenden industriellen Bedarf.
Diese Entwicklung spüren vor allem die BRICS-Staaten. Ihr Anteil am chinesischen Außenhandel fiel von 10 auf 9 Prozent. Ihre Bedeutung nimmt ab, doch sie sind weiterhin der einzige Länderblock mit einem positiven Saldo gegenüber China. Die anderen großen Partner – USA, EU und ASEAN – haben ein Handelsdefizit. Am deutlichsten trifft es die USA.
Russland: Symbolik ersetzt Realität
Auch Russland ist betroffen. Und das, obwohl Xi Jinping gerade erst in Moskau im Rahmen der Siegesfeiern zum Ende des 2. Weltkrieges von einer „unzerstörbaren großen Freundschaft“ sprach. Der bilaterale Handel geht trotzdem zurück. Die Importe aus Russland sanken in den ersten vier Monaten um 9,1 Prozent, die Exporte in das einstige Zarenreich um 5,3 Prozent.
Exportiert wird die Illusion
So politisch aufgeladen war eine chinesische Handelsstatistik lange nicht. Nach innen steht sie für Unabhängigkeit von den USA, nach außen dient sie als Argument gegen Strafzölle. Sie liefert ein Narrativ für die Gespräche in der Schweiz, sagt aber wenig über die tatsächliche Lage.
An den grundlegenden Problemen Chinas ändert sich allerdings nichts. Das Land wirft weiterhin seine Überproduktion auf den Weltmarkt, während die Binnenkonjunktur nicht in Schwung kommt. Die Importstatistik zeigt das auf zweierlei Weise: Zum einen wachsen die Einfuhren insgesamt kaum, zum anderen sinken die Energieimporte.
Der große Handelskonflikt mit den USA überdeckt, dass sich auch das Verhältnis zwischen der EU und China weiter zuspitzt. Und das, obwohl sich beide Seiten um ein Gegengewicht bemühen – angesichts eines erratisch auftretenden US-Präsidenten.
In einer normal funktionierenden Welt wären diese Probleme lösbar. China müsste seinen Reformstau auflösen und mit gezielten Stimuli den Konsum ankurbeln. Damit würde sich das Handelsungleichgewicht mit der EU automatisch verringern. Und der US-Präsident müsste endlich volkswirtschaftliche Grundlagen verstehen, statt in der Logik eines mittelmäßigen Immobilienhais zu verharren.
Ironischerweise trifft der Kollateralschaden all dessen vor allem Chinas engste Partner: Die BRICS-Länder und insbesondere Russland.
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