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Staat und Gesundheitssektor als Job-Motor Arbeitslosigkeit steigt kaum – Demografie überdeckt die Industrie-Krise

Die Arbeitslosigkeit legt kaum zu. Industrie-Jobs gehen zwar verloren. Aber Staat und Gesundheitswesen springen als Job-Motor ein.

Deutschland-Flagge
Foto: Borin-Freepik.com

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt zwar, aber nur in einem recht überschaubaren Ausmaß. Und das, wo man doch fast täglich von Massenentlassungen in der Industrie hört. Viele Firmen machen dicht, oder schließen Fabriken, oder verlagern teilweise ins Ausland. Das kostet sehr viele gut bezahlte Industrie-Arbeitsplätze. Aber warum steigt die Arbeitslosigkeit dann nicht massiv an? Die heute von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Daten zeigen zwar, dass die Arbeitslosenquote im November im Jahresvergleich von 5,6 % auf 5,9 % gestiegen ist (168.296 Arbeitslose mehr). Aber im Monatsvergleich von Oktober auf November 2024 sinkt die Arbeitslosigkeit sogar leicht von 2,79 auf 2,77 Millionen Arbeitslose.

Arbeitslosigkeit legt kaum zu – Staat und Dienstleistungen springen ein

Die schlechte Lage und Aussicht für den deutschen Arbeitsmarkt zeigten jüngst Daten von IAB und ifo-Institut. Die große Massenarbeitslosigkeit, die man bei all den Industrie-Entlassungen eigentlich erwarten dürfte, bleibt aber bislang aus, auch wenn die Tendenz bei der Arbeitslosigkeit weiter nach oben gerichtet ist. Ein Blick auf die heute präsentierten Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigt die Veränderung für den Monat September: Viele neue Arbeitsplätze wurden geschaffen in den Sektoren Gesundheit, Pflege und Soziales, Öffentlicher Dienst, Erziehung, Unternehmensdienstleistungen etc. Nur diese genannten Sektoren schufen den Großteil der neuen Jobs mit 235.000 neuen Arbeitsplätzen binnen zwölf Monaten. Aber am unteren Ende der Tabelle sehen wir: Das Verarbeitende Gewerbe (Industrie) verlor binnen zwölf Monaten 81.000 Arbeitsplätze, die Arbeitnehmerüberlassung verlor 73.000 Arbeitsplätze. Wenn man vermuten darf, dass die meisten der Zeitarbeiter-Jobs auch in der Industrie verloren gingen, darf man womöglich von bis zu 150.000 verlorenen Industrie-Jobs sprechen?

Grafik zeigt Zahl neu geschaffener und verlorener Arbeitsstellen

Langfristige Probleme

Nun kann man dem entgegnen: Es ist doch alles gut – denn Staat und private Dienstleistungsbranchen haben im selben Zeitraum mehr Arbeitsplätze geschaffen, als in der Industrie verloren gingen. Immerhin besser als gar nichts? Man darf stark annehmen, dass die Arbeitslosigkeit nicht so kräftig ansteigt, weil viele Menschen, die in der Industrie ihren Job verlieren, schnell eine neue Stelle im Dienstleistungssektor oder beim Staat finden. Denn in diesen Bereichen sind seit Jahren viele Stellen unbesetzt. Das Problem dabei ist nur: Echter volkswirtschaftlicher Wohlstand stamm von industrieller Wertschöpfung. Man schaue dazu auf Länder mit einer relativ großen Bevölkerung, wo aber die Industrie seit Längerem stark im Rückgang ist, beispielsweise Großbritannien.

Für breite Schichten der Gesellschaft bedeutet der Rückgang der Industrie den finanziellen und gesellschaftlichen Abstieg, weil man – vormals in der Industrie angestellt – in seinem neuen Dienstleistungsjob oftmals deutlich weniger Geld verdient. Volkswirtschaftlich bedeutet weniger Industrie auf lange Sicht auch weniger Aufträge für Dienstleistungsunternehmen, was den gesamten Dienstleistungssektor langfristig auch schwächen wird. Dauerhaft zulegen können wohl vor allem Bereiche wie das Staatswesen (die Bürokratie benötigt stetig mehr Personal), und das Gesundheitswesen aufgrund der Überalterung der Gesellschaft. Für breite Bevölkerungsschichten aber waren die Industrie-Jobs die gut bezahlten Arbeitsplätze, und nun dürften nach und nach immer mehr Menschen in schlechter bezahlte Dienstleistungsjobs wechseln, was die Kaufkraft erodieren lässt.

Kommentar

Der WELT-Journalist Holger Zschaepitz formuliert es meiner Meinung nach aktuell ziemlich passend: „Guten Morgen aus Deutschland, wo sich die wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht vollständig auf dem Arbeitsmarkt widerspiegeln. Trotz Massenentlassungsankündigungen bei VW, ThyssenKrupp, ZF, Bosch und Ford sank die unbereinigte Arbeitslosenquote im November von 6 % im Oktober auf 5,9 %. Der übliche Herbstaufschwung blieb jedoch aus, sodass die bereinigte Quote bei 6,1 % blieb. Angesichts einer demografischen Lücke von rund 500.000 Arbeitnehmern pro Jahr ist der Arbeitsmarkt kein verlässliches Konjunkturbarometer mehr, was den Druck auf die Politiker verringert, auf dringende Reformen zu drängen.“



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6 Kommentare

  1. d.h. die Staatsquote steigt und steigt. wer finanziert dies? die Menschen, die außerhalb des „Staates“ arbeiten.

  2. Ja- natürlich steigt die Staatsquote. Und man sollte ja auch nichts vergessen, wieviel hochqualifizierte Menschen das Land jedes Jahr verlassen und wieviel Analphabeten dafür ins Land kommen.
    Aber bei vielen Dienstleistern besteht akuter Personalmangel.
    Ich denke, dass ein Arbeitsloser Facharbeiter, mit angeschlossener Berufsausbildung, auch schnell in einem Diensleistungsunternehmen eine neue Arbeit findet.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

    1. Soweit ich hier die tagtäglichen Massen-Kommentare einiger Wutprediger lese, verlassen aber auch viele Analphabeten das Land 🤣

  3. Ich würde jetzt mal nachsehen, wieviele Personen von Frau Nahles in Fortbildung oder Umschulung geschickt wurden . Damit fällt man aus der Arbeitslosenstatistik.

  4. Naja, 2022 haben 270.000 hoch qualifizierte Deutschland verlassen.
    Ich denke, dabei werden recht wenige Analphabeten oder Bürgergeldempfänger gewesen sein.
    …Viele hochqualifizierte Deutsche und Rentner wandern aus…

    https://www.merkur.de/reise/ziele-ruhestand-arbeit-deutsche-auswanderer-akademiker-rentner-zr-92547286.html

    2023 waren es 265.000 Auswanderer

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76972/umfrage/zahl-der-auswanderer-aus-deutschland/#:~:text=Im%20Jahr%202023%20gab%20es,Million%20Ausl%C3%A4nder%20und%20265.000%20Deutsche.

    Insgesamt gehen eine Menge mehr Deutsche ins Ausland, weil sie z. B. meinen, dass das Geld z. B. in Spanien auf der Straße liegt und meinen, dass sie z. B. mit einem Kiosk am Stand den Lebensunterhalt verdienen können.
    Diese hunderttausende von Auswanderer kehren dann natürlich wieder nach Deutschland zurück.
    Gut ausgebildete Menschen rechnen sich vorher aus, ob sie im Ausland auch für die Familie sorgen können.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  5. @ Helix 52, aber keine Angst, die privilegierten gutbezahlten Beamten bleiben hier, die bleiben im Paradies und werden das BIP weiterhin hochhalten. Die Leute gehen nicht weg , die sind nur anderswo.

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