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Binnenwirtschaft in der Sackgasse: China spart sich arm

In China wird der mangelnde Binnenkonsum zu einem massiven Problem. Hier zeigen wir dazu eine Detailanalyse.

Chinas Haushalte halten ihr Geld zusammen – mit weitreichenden Folgen. Der Konsum schwächelt, die Wirtschaft gerät ins Stocken, und Reformen bleiben aus. Die Binnenwirtschaft in der Sackgasse: China spart sich arm – ein düsteres Bild, das sich durch sinkende Ausgaben, eine schwächelnde Immobilienbranche und wachsende Unsicherheit zieht. Dieser Artikel zeigt, wie tief die Konsumkrise reicht, was sie antreibt und warum bisherige Gegenmaßnahmen wirkungslos bleiben.

Autoindustrie in China kämpft gegen Nachfrageschwund

Ende April veröffentlichte der Generalsekretär des Automobilherstellerverbands CPCA Cui Dongshu zwei Analysen, in denen er dafür plädierte, den Absatz von PKW bei zwei Zielgruppen zu stärken: den Wanderarbeitern und den ländlichen Gebieten, wo die Durchdringung von Fahrzeugen noch relativ gering ist. Wanderarbeiter verdienen nach einem aktuellen Bericht der chinesischen Statistikbehörde etwa 660 Euro im Monat. Selbst unter Berücksichtigung, dass dies der vertraglich vereinbarte Lohn ist und dieser durch Überstunden und Boni auf etwa das Doppelte aufgestockt werden kann, ist die Not der Fahrzeugindustrie mit Händen zu greifen: Wer soll Autos kaufen? Zwar sind die Autoverkäufe zufriedenstellend, aber sie werden durch staatliche Umtauschprämien und Rabatte erkauft. Zudem hat der Export ein Plateau erreicht. Die Ausfuhren nach Russland gehen zurück, ein Ausdruck der wirtschaftlichen Schwäche dort, und andere Regionen wehren sich mit Handelsschranken gegen die chinesische Billigkonkurrenz.

Immobiliencrash frisst Chinas Haushaltsvermögen

Seit Corona hat sich der Konsum in China nicht erholt. Ein zentraler Grund ist der Preisverfall bei Immobilien, insbesondere bei Bestandsimmobilien, der den Wohlstand der Haushalte schrumpft, da etwa 70 Prozent des privaten Reichtums in Immobilien stecken. Nach Berechnungen der Credit Suisse ist das verfügbare Vermögen seit 2022 um 6,5 Prozent gesunken, eine Entwicklung, die sich in den folgenden Monaten fortsetzte, sodass der Rückgang bis April diesen Jahres insgesamt etwa 7,6 Prozent beträgt.

Grafik zeigt Aktivität bei Immobilien in China

Die löchrigen sozialen Sicherungssysteme zwingen die chinesische Bevölkerung, beim Konsum zu sparen. Eine Arbeitslosenversicherung gibt es nur für diejenigen, die an ihrem Hukou-Registrierungsort arbeiten, Krankenversicherungen sind minimal, Renten niedrig und ebenfalls an den Hukou gebunden. Krankheitsfälle oder Operationen, oft mit einem „roten Umschlag“ als Vorabzahlung verbunden, zehren schnell an den Ersparnissen. Die Automobilindustrie ist nur ein Beispiel für ein größeres Problem: Strukturelle Hürden wie hohe Arbeitslosigkeit und ein schwaches soziales Sicherungssystem treiben die Haushalte in die Enge.

Die wirtschaftliche Lage verschärft die Situation: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt offiziell bei knapp 16 Prozent, realistisch eher bei 20 bis 30 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein guter Proxy fuer die allgemeine Arbeitslosigkeit, die offiziell mit etwa 5 Prozent angegeben wird – eine Zahl, die aufgrund des Hukou-Systems wenig aussagekräftig ist. Zwar duerfte die tatsaechliche Arbeitslosigkeit, wie die Jugedarbeitslosigkeit auch, in den letzten Monaten etwas gefallen sein, aber insgesammt ist sie seit Corona deutlich gestiegen.

Junge ohne Job, Alte ohne Rente

Die wirtschaftliche Lage verschärft die Situation. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt offiziell bei knapp 16 Prozent, realistisch eher bei 20 bis 30 Prozent, und dient als guter Proxy für die allgemeine Arbeitslosigkeit, die offiziell mit etwa 5 Prozent angegeben wird, jedoch aufgrund des Hukou-Systems wenig aussagekräftig ist. Zwar dürfte die tatsächliche Arbeitslosigkeit, ebenso wie die Jugendarbeitslosigkeit, in den letzten Monaten leicht gesunken sein, doch insgesamt ist sie seit Corona deutlich gestiegen.

Die unsichere Arbeitsmarktlage treibt viele Haushalte in die Verschuldung und verschärft die Konsumschwäche weiter. Ende 2024 beliefen sich die Haushaltskredite laut der People’s Bank of China auf 82 Billionen Yuan, umgerechnet etwa 10,6 Billionen Euro. Offiziell liegt die Quote nicht performanter Kredite bei 1,5 Prozent, doch Analysten warnen, dass die tatsächliche Zahl durch versteckte Umschuldungen und verzögerte Klassifizierungen verschleiert wird. Im ersten Quartal 2025 stießen Banken nicht performante Kredite im Wert von 74 Billionen Yuan ab, fast die Hälfte davon Privatkredite, ein Anstieg von 760 Prozent im Jahresvergleich. Ein Bankmanager einer staatlichen Bank in Ostchina schildert die Lage drastisch: „Solange die Kreditnehmer die Zinsen zahlen, wird der Kredit nicht als schlecht eingestuft. Das ist alles, was wir jetzt verlangen.“ Der Handelskrieg mit den USA belastet zusätzlich exportorientierte Regionen an der Küste, treibt Unternehmen in die Insolvenz und verschärft die finanzielle Not der Haushalte, während schrumpfende Bevölkerungszahlen in kleineren Städten die Hypothekenkrise weiter anheizen.

China während der Feiertage: Weniger Reisen, mehr Sparen

Das Weniger an Geld, was die chinesische Bevölkerung seit Corona zur Verfügung hat, zeigt sich nicht nur dadurch, dass sie weniger ausgeben. Sondern es verändert das Verhalten der Gesellschaft insgesamt. Am greifbarsten wird dies im Freizeitverhalten. Während der Hauptreisezeiten, also Frühlingsfest, Grabpflegefest, Maifeiertagen, Drachenbootfest und der „Golden Week“, reisen die Menschen zwar ungebrochen viel, aber die Art und Weise hat sich stark verändert. Viele Chinesen bevorzugen inzwischen Kurzreisen in die Nähe ihres Wohnorts statt teurer Fernreisen. Statt in Hotels übernachten sie bei Verwandten, statt in Restaurants essen sie zu Hause, und statt Eintrittsgelder für Attraktionen auszugeben, suchen sie kostenlose Alternativen wie Parks. Besonders deutlich wird dieser Wandel während der „Golden Week“ im Oktober: Früher war diese Woche eine Zeit des Massentourismus, bei dem Millionen Sehenswürdigkeiten wie die Verbotene Stadt in Peking besuchten, doch 2024 lagen die Ausgaben für Reisen weit unter den Erwartungen. Die Menschen sparen an jeder Ecke, ein Verhalten, das den Tourismussektor und die Gastronomie schwer belastet. Gleichzeitig reisen sie bewusster und fragen sich mehr als früher, ob ein Angebot ihr Geld auch wert ist. „Klasse statt Masse“ und bewusstes Erleben stehen im Vordergrund.

Aus meiner persönlichen Perspektive: Als ich 2004 das erste Mal zum Frühlingsfest in Shanghai war, standen vor den Sehenswürdigkeiten wie dem Yuyuan-Garten die Menschentrauben, doch der Park selbst war praktisch leer, obwohl der Eintritt nur etwa 5 Euro kostete. Bis Corona hatte sich dies stark verändert: Während der Feiertage waren die Massen sowohl vor als auch im Yuyuan-Garten anzutreffen. Heute entscheiden sich die Besucher entweder dafür, den Garten zu besuchen, oder bleiben ganz dem ehemaligen Kern der Chinatown von Shanghai fern.

China

Chinas Haushalte sparen bei Freizeit, Bildung und Gesundheit

Auch der Alltag in China verändert sich spürbar. Ein zentrales Merkmal der chinesischen Gesellschaft war lange das gemeinsame Essen außerhalb oder das Mitbringen von Speisen, ein Relikt der Kulturrevolution, als individuelles Kochen verpönt war. Doch dieses Verhalten wandelt sich: Die Ausgaben für Restaurants gehen zurück, da Haushalte zunehmend zu Hause essen, um Kosten zu sparen. Diese Entwicklung spiegelt einen größeren Wandel im Konsumverhalten wider. Die Ausgaben für Bildung, Kultur und Unterhaltung 22 Prozent unter dem erwarteten Trend, während Gesundheitsausgaben um 29 Prozent zurückgegangen sind. Ausgaben für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Alkohol und Tabak blieben hingegen stabil, ein Zeichen dafür, dass die Haushalte sich auf das absolut Notwendige beschränken.

Die Stimmung der Konsumenten unterstreicht diese Zurückhaltung: Seit April 2022 liegt der Konsumentenvertrauensindex konsequent unter 100 Punkten, was zeigt, dass die Menschen seit der Pandemie pessimistischer hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Zukunft sind.

Grafik zeigt Verbrauchervertrauen in China

Matthew Klein, Ökonom und Autor des Blogs „The Overshoot“, fasst die Lage prägnant zusammen: „Chinesische Führer haben es trotz offizieller Politik und Konsensempfehlungen führender Ökonomen wiederholt versäumt, den notwendigen Wandel von Exporten hin zu Binnenkonsum umzusetzen.“ Die Einzelhandelsumsätze unterstreichen die Nachfrageschwäche: Seit Corona bleiben diese praktisch unterhalt des Wirtschaftswachstums. Gleichzeitig stagnieren die Verbraucherpreise. Seit der Pandemie pendeln sie um 0%, während der Produzentenpreisindex (PPI) pro Monat um etwa 2 Prozent fällt, ein klares Zeichen für schwache Nachfrage und Preisdruck bei Produzenten. Diese Zahlen spiegeln die Zurückhaltung der Haushalte wider, Geld auszugeben, und die daraus resultierende Deflationsspirale, die die Wirtschaft weiter belastet.

Grafik zeigt Entwicklung der chinesischen Inflation

Gold statt Konsum: Ersparnisse flüchten

Die anhaltende Deflationsspirale und die schwache Nachfrage haben die Regierung zu Gegenmaßnahmen gedrängt, die jedoch ins Leere laufen. Diese Woche senkten die große Banken wie die Industrial and Commercial Bank of China die Einlagenzinsen: Einjahres-Festgeldzinsen fielen von 1,35 Prozent auf 1,25 Prozent, Dreijahres-Festgeldzinsen von 2,25 Prozent auf 2,05 Prozent. Die Leitzinsen für Kredite wurden ebenfalls gesenkt, etwa der Einjahres-Leitzins von 3,35 Prozent auf 3,1 Prozent. Ziel war es, die Kreditvergabe zu fördern und die Haushalte zum Konsumieren zu bewegen, doch das Gegenteil trat ein: Die niedrigen Zinsen verstärken die Sparneigung der Chinesen, die in unsicheren Zeiten lieber Geld zurücklegen. Ein Rentner aus Shanghai bringt die Stimmung auf den Punkt: „Ich fühle mich ein bisschen verloren. Ich traue mich nicht, in den Aktienmarkt zu investieren, und ich traue mich nicht, ein Haus zu kaufen, also kann ich mein Geld nur auf der Bank lassen, obwohl die Zinsen ziemlich niedrig sind.“ Einige Haushalte suchen nach Alternativen und setzen zunehmend auf Gold als sicheren Hafen: Im ersten Quartal diesen Jahres stieg die Nachfrage nach Goldbarren und -münzen laut World Gold Council um 12 Prozent auf 124 Tonnen, während der Schmuckkonsum wertmäßig um 6 Prozent fiel. Auch Gold-ETFs boomen: Im selben Zeitraum flossen 3 Milliarden US-Dollar in diese Fonds, um 23 Tonnen Gold zu kaufen. Die Immobilienkrise treibt diesen Trend, da fallende Preise und die Schuldenprobleme großer Bauträger das Vertrauen erschüttert haben, während der volatile Aktienmarkt wenig Sicherheit bietet. Die Unsicherheit durch hohe Arbeitslosigkeit hält viele davon ab, ihre Ersparnisse zu riskieren, und verstärkt die Konsumzurückhaltung weiter.

Pendelverkehr bleibt unter Vorkrisenniveau

Auch die allgemeine Mobilität der chinesischen Gesellschaft geht zurück. Eine Studie aus dem National Science Review zeigt, dass die Mobilität in China nach den strengen Lockdowns von 2020 nicht auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt ist. Selbst im Jahr 2024 bleibt die Mobilität eingeschränkt, was sich auf die wirtschaftliche Aktivität und den Konsum auswirkt. Laut dem chinesischen Statistikamt (NBS) nahm der Verkehr in den Städten ab, insbesondere in den Wirtschaftszentren Shanghai, Beijing/Tianjin und Guangdong. In Shanghai sank die Zahl der täglichen Pendlerbewegungen im ersten Quartal diesen Jahres um 15 Prozent im Vergleich zu 2019, während der Verkehr in der Region Beijing/Tianjin um 12 Prozent zurückging. In Guangdong, einem Zentrum der Exportwirtschaft, war der Rückgang mit 10 Prozent etwas geringer, zeigt aber denselben Trend.

Passagiervolumen in China

Diese sinkende Mobilität deutet nicht nur auf eine nachlassende wirtschaftliche Aktivität hin, sondern schlägt sich direkt im Konsumverhalten nieder: Wer weniger unterwegs ist, isst seltener auswärts, besucht weniger das Theater oder Kino und gibt insgesamt weniger für Freizeitaktivitäten aus. Die eingeschränkte Mobilität verstärkt so die Konsumzurückhaltung und bremst die Erholung der Binnenwirtschaft weiter aus.

Krise ohne Plan B wie Binnenwirtschaft

Die Konsumkrise in China zeigt sich in allen Lebensbereichen: Von der sinkenden Mobilität in Wirtschaftszentren wie Shanghai bis hin zu den veränderten Freizeitgewohnheiten während der „Golden Week“ sparen die Haushalte, wo sie können. Die Immobilienkrise, hohe Arbeitslosigkeit und ein löchriges soziales Sicherungssystem treiben die Menschen in die Enge, während Zinssenkungen die Sparneigung eher verstärken, als den Konsum anzukurbeln. Die Krise am Immobilienmarkt, das Misstrauen gegen den Aktienmarkt und niedrige Zinsen treiben die Menschen in die Anlage in Gold, sei es physisch oder als ETF. Die chinesische Führung hat den Wandel hin zu einer starken Binnenwirtschaft verpasst, wie nicht nur Matthew Klein, sondern auch Ökonomen wie Brad Setser oder Michael Pettis immer wieder feststellen, was durch stagnierende Einzelhandelsumsätze und die anhaltende Deflationsspirale bestätigt wird. Selbst Pläne wie das „Special Action Plan to Boost Consumption“ vom März letzten Jahres, das den Konsum durch höhere Einkommen und weniger Belastungen ankurbeln sollte, zeigen wenig Wirkung in einem Klima der Unsicherheit. Der Konsum, wenn er denn stattfindet, wird vor allem durch Verschrottungsprämien für Autos oder andere langlebige Konsumgüter getrieben und ist nicht nachhaltig. Von dem „Inneren Kreislauf“, den Xi Jinping als Fortentwicklung der Politik Deng Xiaopings propagiert hat, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Notwendige Reformen sind jahrelang ausgeblieben, und der Zollstreit mit den USA verschärft nun die Lage. Ohne einen mutigen Kurswechsel droht China, in einer Abwärtsspirale aus Sparzwang und wirtschaftlicher Stagnation zu versinken.



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4 Kommentare

  1. Ich vermute, dass der Weg in die Konsumgesellschaft mit Absicht verworfen wurde, vielleicht weil sie im Westen sehen welche negativen Folgen das hat. Ich denke da an Investitionen. In der EU steht Deutschland bei Investitionen weit vorne, während wir im Vergleich zu USA und China weit hinten lliegen. Wenn China aufholen will, dann nur mit Investitionen und sicher nicht indem sie Renten oder Arbeitslosen-Gelder auszahlen.

  2. Vermögensverteilung. Ist halt wie überall: Wenn durch eine starke Vermögensungleichheit mehr und mehr Konsumenten ausgepreist werden, dann helfen Schulden und Kredite maximal mittelfristig (d.h. so eine Generation lang, 25-40 Jahre). Autos kaufen keine Autos.

  3. Chimerica. Es ist eben nicht nachhaltig. Weder wird eine Gesellschaft durch Exportüberschüsse reich, noch ist ein Free Lunch durch Importe, die man mit Schulden bezahlt dauerhaft machbar.

    Jeder kann nur konsumieren, was er selbst produziert, oder gegen die eigene Produktion eintauscht. Volkswirtschaft 100.

    In einer Welt mit echtem Geld – Gold, Silber, Bitcoin – würde Handelsdefizite schnell verschwinden.

  4. @Felix „In einer Welt mit echtem Geld – Gold, Silber, Bitcoin – würde Handelsdefizite schnell verschwinden“.

    Ja wahrscheinlich, denn der internationale Handel würde komplett zusammenbrechen. Ohne Handel keine Defizite. Innerhalb Jahresfrist könnte die Nahrungsmittelproduktion weltweit auf 60-70% zurück gehen, weil die Absatzmärkte nicht mehr funktionell beliefert werden können. Ersatz-Währungen würden entstehen (Marken). Die Auswirkungen kann man sich ausmalen. Oder lieber nicht.

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