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Börse: die dritte Welle der Coronakrise als Chance?

Die Börse und die dritte Welle der Coronakrise

Eigentlich hatte die Börse die Coronakrise schon abgehakt. Virologen und Intensivmediziner erwarten aber für die kommenden Wochen nicht nur in Deutschland eine neue ausgeprägte Pandemie-Welle. Besonders jüngere Menschen sollen durch die diversen Virus-Mutationen in Gefahr geraten, zu erkranken oder sogar zu versterben. Was bedeutet diese unschöne Entwicklung für die Börse?

Hat die Börse die Pandemie zu früh abgehakt?

Die COVID-19-Statistiken der verschiedenen Forschungsinstitute vom Robert Koch Institut (RKI) bis hin zur John Hopkins Universität sowie eigene Berechnungen des Nachrichtensenders n-tv zeigen einen massiven Anstieg der Neuerkrankungen, der Anzahl positiver Ergebnisse bei den Tests, bei den Hospitalisierungen sowie bei der Häufigkeit neu auftretender Krankheitsfälle pro 100.000 Einwohner (Inzidenz).

Lediglich die Zahl der Todesopfer verharrt zum Glück vorerst auf niedrigem Niveau. Doch das könnte sich schnell ändern.

„Momentan steigen die Zahlen zu schnell und die Virusvarianten machen die Lage besonders gefährlich. Wenn das ungebremst weitergeht, laufen wir Gefahr, dass unser Gesundheitssystem im Laufe des Aprils an seine Belastungsgrenze kommt.“, sagte der Bundesminister für Gesundheit, Jens Georg Spahn, auf der Bundespressekonferenz am vergangenen Donnerstag.

Gemäß den Daten vom 27. März des RKI wurden 20.472 Neuerkrankungen erfasst. Dies entspricht einer 7-Tage-Inzidenz von 125. Damit liegen nur noch drei Bundesländer unter dem für restriktivere Maßnahmen empfohlenen Orientierungswert von 100. Die aktuellen Zahlen erreichen damit Niveaus wie zu Beginn des Lockdowns Anfang November 2020 und hätten somit einen Großteil der seitdem ergriffenen Maßnahmen im Ergebnis zunichtegemacht.

Der für seine umstrittenen Äußerungen bekannte SPD-Gesundheitsexperte Karl Wilhelm Lauterbach rechnet im Verlauf der nun „…in die exponentielle Phase eingetretenen dritte Welle…“ mit bis zu 50.000 Neuerkrankungen pro Tag im Laufe des Aprils.

Intensivmediziner aus ganz Deutschland, auch aus dem Saarland, wo die Inzidenz mit 76,4 am Freitag noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt lag, fordern einen mindestens zweiwöchigen harten Lockdown wie im April 2020, um einen Kollaps der intensivmedizinischen Versorgung in den Wochen nach Ostern abzuwenden.

Großbritannien plant bereits Drittimpfung

In Großbritannien, wo die Impfkampagne deutlich weiter fortgeschritten ist als in anderen Staaten, denkt man laut dem verantwortlichen Staatssekretär Nadhim Zahawi wegen der gefährlichen Virusmutationen aus Südafrika und Brasilien über eine dritte sogenannte „Booster“-Impfung nach. In einem Interview mit dem „Daily Telegraph“ fordert er am Freitag diese Auffrischungsimpfung für die Risikogruppe der über siebzigjährigen Briten.

In Deutschland machen sich Virologen währenddessen noch ganz andere Sorgen: Aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens der nun beginnenden verstärkten Impfaktivitäten hierzulande bei gleichzeitig noch relativ geringer Impfrate kann es im Zuge der raschen Verbreitung von Virus-Mutationen aus Südafrika und Brasilien zum sogenannten „Escape-Effect“ kommen. Dabei entwickeln sich bei den hochinfektiösen organischen Strukturen schnell Anpassungen an die Impfstoffbedrohung, was diverse neue Virus-Mutationen hervorbringen kann. Möglicherweise sogar Virus-Varianten, die neue angepasste Impfstoffe erfordern.

Die Covid-Quote läßt die Börse noch kalt

Steuert die Börse noch mal um?

Seit dem letzten Sommer läuft an der Börse der Reflations-Trade. Die Erwartung eines schnell erreichten Impfschutzes und der nahezu vollständigen Aufhebung von Beschränkungen hat in Kombination mit expansiver Defizitpolitik und sehr laxer Geldpolitik die großen Aktienindizes nahe oder sogar auf neue historische Höchststände geführt.

Andererseits sind im Zuge dieses Risk-On-Trades „Sichere Häfen“ wie Staatsanleihen bester Bonität oder Gold abverkauft worden. Das gilt in weniger ausgeprägtem Maße auch für die von den Lockdowns zuvor stark profitierenden Unternehmen aus dem Tech-Sektor.

Doch nun treffen ein wahrscheinlich verfrühter Optimismus an der Börse mit zum Teil extremen Positionierungen auf eine neue und noch nicht absehbare Dynamik einer dritten Pandemie-Welle.

Diese Unsicherheit wird zusätzlich durch die Blockade des wichtigen Kanals zwischen Port Said und Port Taufiq bei Sues in Ägypten seit Dienstag verstärkt. Der Sueskanal ist die Hauptwasserroute zwischen Asien und Europa. Seine Schließung bedroht die Lieferketten für die verarbeitende Industrie und damit die Wachstumsaussichten weltweit.

Deutsche Wirtschaft bereits betroffen

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat bereits auf die veränderte Gemengelage reagiert und seine Wachstumsprognosen aus dem November 2020 für das Fiskaljahr 2021 in Höhe von 3,7 Prozent auf aktuell 3,1 Prozent nach unten revidiert. Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo-Institut) kappte am Mittwoch seine Konjunktur-Schätzungen und übertitelt seine jüngste Prognose mit den Worten „Deutsche Wirtschaft taumelt in die dritte Coronawelle“.

Die Bunderegierung selbst ist im Superwahljahr (noch vier Landtagswahlen + Bundestagswahl) sogar noch vorsichtiger und reduzierte Mitte März ihre Prognosen für 2021 von +4,4 Prozent auf +3,0 Prozent Wirtschaftswachstum.

Das von der Börse bisher präferierte Szenario einer zügigen Erholung einhergehend mit anziehender Inflation könnte schnell zu einem stagflationären Szenario mit sich abschwächender Wirtschaftsdynamik bei gleichzeitig steigenden Preisen und gedrückten Gewinnmargen wegen gestörter Lieferketten mutieren.

Die Börse handelt die Zukunft

Die Frage ist nun, ob die Akteure an der Börse in Anbetracht der noch nicht eingepreisten oben genannten Risiken in das Verhalten wie vor einem Jahr zumindest temporär zurückfallen und kurzfristig entsprechende Umschichtungen vornehmen oder die aktuellen Ereignisse in Ägypten (Sueskanal) und bei dem Pandemiegeschehen als „Transistory Events“ (vorübergehend) ignorieren.

Vieles wird davon abhängen, wie zügig die Bergungsarbeiten an dem havarierten 20.000-TEU Evergreen-Typ Containerschiff namens „MV Ever Given“ voranschreiten. Das Containerschiff mit 400 Metern Länge gehört zu den größten der Welt.

Die staatseigene ägyptische „Suez Canal Authority“ spricht optimistisch von max. 48-72 Stunden Blockadezeit, um die Reedereien bei der Stange zu halten. Jede Kanaldurchfahrt bringt der Gesellschaft 250.000 US-Dollar ein. Die mit der Bergung beauftragten Firmen sind da etwas pessimistischer und rechnen mit einer kompletten Löschung der Ladung des Schiffes, bevor eine Bergung überhaupt möglich sei. Dies würde mehrere Wochen in Anspruch nehmen und könnte einen Schaden in dreistelliger Milliardenhöhe in US-Dollar verursachen.

Strategie für die Börse

Sollte sich das Szenario einer dynamischen dritten Pandemie-Welle bewahrheiten und es zu entsprechenden Gegenmaßnahmen der Politik in Form von harten Lockdowns und anderen Einschränkungen kommen, sind Umschichtungen der nach wie vor sehr einseitig auf eine schnelle wirtschaftliche Normalisierung ausgerichteten Positionen an der Börse sehr wahrscheinlich.

Aus antizyklischer Sicht würde es durchaus Sinn ergeben, über Limite tranchiert in Aktien zu investieren, die grundsätzlich von einer anschließenden Erholung der von der Pandemie betroffenen Sektoren profitieren.

Gleichzeitig dürften die Renditen an den Kapitalmärkten aufgrund von Portfolioanpassungen und einer veränderten Risikowahrnehmung erneut signifikant sinken (durch erhöhte Anleihenachfrage). Das Gleiche gilt für Gold als Absicherungsinvestment, das wie zuletzt bereits zu beobachten war trotz steigender US-Dollar Notierungen leicht zulegen konnte.

Spätestens wenn absehbar wird, dass auch die dritte Welle durch Impfen, Tests, intelligente Strategien für den Umgang mit dem Virus und saisonale Effekte (Witterung) unter Kontrolle gebracht wird, sollte der Risk-On-Trade wieder greifen. Gewinner wären dann die vormaligen Verlierer der Pandemie aus den Sektoren, die ich bereits in dem Artikel „Aktien mit Corona-Gap – Wette auf besseres Pandemie-Management“ benannte.

 

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4 Kommentare

  1. Sollte die Börse wirklich in die nähere Zukunft schauen, dann ist die 3. Welle schon längst eingepreist. In Europa zeichnet sich die exponentielle Ausbreitung von B.1.1.7 schon spätestens seit Januar ab. In Brasilien zeigt sich die 3. Welle spätestens seit Januar, in Indien die 2. Welle seit Februar, In den USA die 4. Welle seit März usw.
    Wie gesagt: Das alles ist längst eingepreist.

  2. Die Folgen der ganzen Geschichte sind von Wirtschaftsnaivlingen alle noch ausgepreist.

  3. @Imperator – kein Mensch weiß wie die Pandemie sich weiterentwickeln wird. Für mich ist an der Börse eher eine positive Entwicklung (Stichwort: Impfstoff-Hoffnungen) als eine negative Entw. mit explodierenden Falllzahlen und entspr. Beschränkungen (Lockdown) eingepreist.

  4. Wirtschafts-Imperator

    @Wirtschafts-Azubi,

    das schwache Verb „auspreisen“ bedeutet in der Kaufmannssprache „Waren mit dem Preisschild versehen“. Eine andere Bedeutung dafür existiert nicht.
    Das ebenfalls schwache, wie seltsame Verb „einpreisen“ aus der Börsensprache bedeutet analog im übertragenen Sinne, dass Waren (in dem Fall sind es Kurse) mit einem neuen Preisschild ausgepreist werden, weil sich externe Effekte (in dem Fall die Folgen der ganzen Geschichte) auf den Preis auswirken.
    Nun könnte man natürlich Folgen/externe Effekte ebenfalls auspreisen, also mit einem Preisschild versehen, und diese dann in die Börsenkurse einpreisen (dazu addieren), was sich je nach arithmetischem Vorzeichen dann positiv oder negativ auswirkt.

    Erkennen Sie das Problem?

    Vermutlich meinen Sie, dass die Folgen noch nicht eingepreist sind?
    Oder meinen Sie, das die Folgen noch immer eingepreist, also auf dem Preisschild ausgepreist sind?
    Und warum nur von Wirtschaftsnaivlingen? Wer sind die überhaupt?

    Erkennen Sie das nächste Problem?

    @Imperator, Börsen preisen Entwicklungen und potenzielle Problemlösungen für die Zeit danach ein. Positiv, wie negativ. Zumindest taten sie das bis vor etwa einem Jahr. Die Pandemie-Geschichte, Welle 1, war jedoch im Juni 2020 abgehakt. Bevor sie überhaupt richtig in Fahrt kam. Seitdem gibt es keine Probleme mehr. Virus besiegt, Pandemie beendet, Wirtschaft und Versorgungsketten laufen wie geschmiert auf Hochtouren. Der Rest mit den Maßnahmen nervt, es gab nie eine zweite, wesentlich schlimmere Welle, und eine dritte, noch deutlich dramatischere, will man sich gar nicht einmal mehr vorstellen.

    Weder Börsen, noch Politik besitzen auch nur im Ansatz ein Gespür für die Gegenwart, und schon gar nicht für die Zukunft. Was beide in Perfektion zelebrieren, ist eine erschütternde und ignorante Hingabe an das Konservative: So haben wir es schon immer gemacht, bisher hat das doch immer irgendwie funktioniert. Und sich geschichtlich immer wiederholt.

    Bitte etablierte Strukturen nicht zu schnell aufbrechen, die technische Entwicklung und Innovationskraft wird das alles locker lösen.

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