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Börse und Wirtschaft: Warum die Kluft oft so groß ist!

Warum Wirtschaft und Börse fast schon zwangsläufig auseinander liegen müssen

Über die Kluft zwischen Börse und Wirtschaft

Ständig wird darüber berichtet, dass aktuelle Lage der Wirtschaft und Kurse an der Börse nicht zueinander passen würden – die Realität und die Börse, ein Widerspruch. Doch so einfach ist die Sache nicht, denn die Wirtschaftsdaten blicken auf Gegenwart beziehungsweise auf Vergangenes, während die Börsen versuchen die Zukunft abzubilden (und zwar gleich die von bis zu einem Jahr).

Wobei wir bei dem systemimnanenten Dilemma für Anleger wären. „Fürs Gehabte gibts nix“ und die Zukunftsaussichten sind unsicher, ständig finden neue Anpassungen statt, aber bisher gab es noch keinen Indikator, der die wirtschaftliche Zukunft besser abbildet, als die Entscheidung von Millionen Anlegern, die in die großen Indizes einfließen.

Börse: 2020, die Realität und die Zukunftserwartungen

Es gab wohl schon lange kein Jahr mehr, in dem der Zustand der Volkswirtschaften und der Stand der Börsenkurse so auseinander gelaufen waren, wie das vergangene. Die Aktienindizes waren in einem fünfwöchigen Blitzcrash bis Ende März infolge von Corona um 30 bis 40 Prozent gefallen, um sich allein bis Anfang Juni um 50 Prozent zu erholen.

Wenig später wurde für Q2 der größte Wirtschaftseinbruch seit einem Jahrhundert gemeldet. In dieser Zeit kursierten nicht wenige Meldungen, die von einer Bullenfalle sprachen und von einem V an der Börse, welches es niemals so in der Wirtschaft geben könne. Was natürlich auch zum Teil gestimmt hat, denn Börsenkurse können in kürzester Zeit nach oben oder nach unten bewegt werden, während allein ein Containerschiff mit Grundmaterialien zwei Wochen über die Ozeane unterwegs sein kann.

Aber schlussendlich fanden die Kurse ihre Entsprechung in den Wirtschaftsdaten, auch wenn hierfür unendlich viel Rettungspakete und Helikoptergeld mitursächlich waren. Aber genau das hatten die Investoren eben auch in die Kurse eingepreist, die rationale Rally in einem irrationalen Umfeld. Im ersten Quartal 2021 meldete die US-Wirtschaft ein Wachstum von über sechs Prozent, im zweiten wurde dies noch einmal gesteigert und unsere Dax-Unternehmen meldeten im ersten Quartal Gewinne vor Steuern in Höhe von 42 Milliarden Euro, ein neuer Quartalsrekord.

Börsen irren sich oft

Viele Anleger kennen zahlreiche Beispiele für Situationen, in denen sich die Aktienindizes (noch viel mehr die Einzelaktien) in die falsche Richtung entwickelt hatten und die Kurse, zumeist blitzartig korrigiert werden mussten. Da sind aber die Fälle, wo Firmeninsider, von denen es Millionen am Aktienmarkt gibt (Belegschaftsaktionäre), von exogenen Faktoren überrascht werden. Ob wie im letzten Jahr durch Corona, durch Terroranschläge (11. September), Kriege, durch Naturkatastrophen, durch die Politik oder aber auch durch Entscheidungen der Notenbanken, die man nicht vorhersehen konnte. Aber die Einpreisung erfolgt oft blitzschnell, wie oft ändern sich Kurse an der Börse zweistellig in nur wenigen Stunden, was realwirtschaftlich niemals so umsetzbar wäre.

Der Time Lag und seine Konsequenzen

Warum Wirtschaft und Börse fast schon zwangsläufig auseinander liegen müssen, ergibt sich quasi aus dem Antizipationsmechanismus des Aktienmarktes. Was wäre denn, wenn die aktuelle Wirtschaftslage und der Aktienkurs eines Unternehmens in Einklang stünden?

Das würde doch bedeuten, dass in ein paar Monaten die Unternehmensmeldung dem Unternehmenswert von vor einem halben oder einem ganzen Jahr entsprechen würde und damit praktisch kein Wachstum in dieser Zeit stattgefunden hätte. Die Aktienkurse werden gebildet aus der Abdiskontierung künftiger Gewinne – aber wenn das künftige Wachstum auch nur ein klein wenig abgesenkt wird, reagieren die Börsenkurse sehr allergisch darauf. Da hilft es auch nichts, wenn ein Unternehmen für das aktuelle Quartal Rekordgewinne meldet. Wie zum Beispiel bei unserem Vorzeigeunternehmen SAP im letzten Herbst, das die Gewinnerwartungen nur um ein paar Prozent für die nächsten Jahre gesenkt hatte – die Kursreaktion war ein Minus von 30 Prozent in ganz kurzer Zeit. Für die Börse zählt nie die Gegenwart, sondern immer die Aussicht, aber die ist unsicher.

Fazit

Was bedeutet dies für die aktuellen Aktienbewertungen? Millionen von Anlegern sind anscheinend der Absicht, dass sich die Wirtschaft bis ins Jahr 2022 zwar abschwächen könnte, die Anlage in den Aktienmarkt aber weiterhin das Topinvestment ist. Weil sich ein Tapering im Jahr 2022 noch nicht so extrem auf die Kapitalmarktzinsen auswirken wird, so dass eine Realrendite entstünde, die eine echte Konkurrenz für die Aktien bedeutete. Zumal selbst bei einer Entscheidung für ein künftiges Tapering in den nächsten vier Monaten noch mal 480 Milliarden Dollar (4 mal 120 Milliarden) an Anleihekäufen durch die Federal Reserve vollzogen würden.

Unabhängig von einer jederzeit möglichen Herbstkorrektur. Aber die Zukunft ist voller Überraschungen, die sich, anders wie in der Realwirtschaft sofort auf Börsenkurse auswirken werden. Bildlich gesprochen ist die Wirtschaft wie ein riesiger Tanker, der nur langsam Geschwindigkeit und Richtung ändern kann, die Börse aber ein wendiges Schnellboot, welches auch durch große Wellen schneller in Gefahr gebracht wird.

Börse und Realwirtschaft haben damit auf den ersten Blick stets ein Interpretationsproblem.



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5 Kommentare

  1. Die realen Gewinne (keine Buchgewinne) der einen (eher Minderheit) sind die Fehleinschätzung der Kursentwicklung der anderen (eher Mehrheit).
    Anders ist es auch mathematisch nicht möglich.
    (In der Fehleinschätzung ist Unvorhersehbares eingeschlossen.)

    Ohne das Zustandkommen einer Fehleinschätzung durch viele gibt es keine größeren Gewinne der anderen.
    („Normale“ Gewinne z. B. durch Rationalisierung, Produktionsfortschritt usw. seien hierbei unberücksichtigt.)

    Ohne Fehleinschätzungen kann es auch mal jahrelang dauern bis sich eine solche aufbaut oder über Nacht eintritt.

    Sich beruhigen und Trost finden über diese Nichtplanbarkeit kann man mit dem Wort: Der Herr gibt, der Herr nimmt. D. h. die Rettung ist Fatalismus.

    1. @Peter Sallister. Sind Sie sicher, dass der Aktienhandel so funktioniert? Nicht der Devisenhandel, in dem es ein Nullsummenspiel gibt. Die Unternehmen schütten ihre Gewinne per Dividenden aus, wenn sie welche machen, und dies nutzen Anleger, um das Geld wieder in die Aktien zu investieren und damit steigen die Kurse langfristig. Natürlich gibt es bei jedem Geschäft einen Verkäufer und einen Käufer, die normalerweise anderer Ansicht sind, außer bei Kapitalentnahmen und damit auch Gewinner und Verlierer. Das Prinzip abseits der stetigen Spekulation, denn Unternehmen beteiligen ihre Anteilsnehmer in der Regel an den Gewinnen.
      Oder anders ausgedrückt: Ich kassiere eine Risikoprämie.
      Deshalb steigen die Kurse langfristig seit ewigen Zeiten, mit Schwankungen und eingedenk der Tatsache, dass ganz langfristig 90 Prozent der Aktiengesellschaften vom Kurszettel verschwinden (durch Pleiten oder Übernahmen).
      Grüße

      1. @Wolfgang M. Das die Anteilseigner an den Gewinnen der Unternehmen in Form von Dividenden beteiligtwerden ist nur ein kleiner Grund warum die Aktienmärkte steigen, wenn auch meines Erachtens ein vernachlässigbarer Grund, da ja nicht alle Dividenden weder in Aktien fließen, sondern nur ein gewisser Anteil.
        Der zweite Grund warum das so nicht ganz haltbar ist, das wenn Ihre These so stimmen würde, es nur an den Tagen steigen würde wenn die Dividenden ausgeschüttet werden und an allen anderen Tagen nicht. Ich denke schon das Herr Sallister mit seinen Ausführungen sehr nahe an der Wahrheit liegt. Da es an der Börse aber niemals die eine Wahrheit geben wird ( gut so, sonst würde sie schon lange nicht mehr existieren ) spielen alle möglichen Faktoren eine Rolle wie die gewinne und Kurse zusatnde kommen.
        Viele Grüße und einen erfolgreichen Handelstag.

  2. @Wolfgang M.,
    Mit
    „(„Normale“ Gewinne z. B. durch Rationalisierung, Produktionsfortschritt usw. seien hierbei unberücksichtigt.)“
    meinte ich auch Dividenden. Dividenden kassieren ist keine Leistung eines Anlegers. Könnte man auch als Inflationsausgleich sehen. Oder rudimentäre Risikoprämie.

    Gut, Sie zwingen (lach) mich zur Präzisierung.

    Meine Blickrichtung richtete sich eher an Spekulanten/Anleger, die Kraft eigener Entscheidungen in der Hoffnung klüger zu sein als andere …. sagen wir mal 10 – 50 % per anno anpeilen oder bei einer Katastrophe glauben mit z. B. max. -8 % ausweichen zu können.
    Also Leute die ein bißchen was in ihrem Leben ändern wollen mit dem Gewinn. Das kann durchaus solide und konservativ sein. An CFD-Spekulanten, also Roulettespielern denke ich dabei gar nicht (außer CFD u. a. dient als sinnvolle Absicherung).

    Schauen Sie, Corona hat aus einer kompletten Torte 2020 5 Stücke herausgeschnitten, der Staat hat geholfen daß, oh Wunder, 2021 nur noch 2 Tortenstückchen fehlen.
    Die Börse tut jetzt aber so, als stünde nicht nur fast eine ganze Torte zum Verteilen zur Verfügung sondern es fehlen von einer zweiten Torte noch 5 Stückchen. Es lebe die Illusion!

    Der fatale Irrtum: Die zweite Torte steht unerreichbar im Schaufenster. Beim Versuch einer größeren Anzahl von Leuten 2 Torten nach Hause mitzunehmen, leuchtet blinkend ein Warnlicht auf: „Fata Morgana“!

  3. Was ist denn wenn Dividenden mit Schulden bezahlt werden ? und die Kurse steigen trotzdem ? .Herr Müller redet da von einer heilen ehrlichen Aktienwelt von früher, wo die Manager noch das langfristige Gedeihen der Firma als Ziel hatten und nicht der eigene Bonus das Wichtigste war.Im Russel 2000 machen doch über 40% Verluste und die Kurse sind nahe am Hoch, was hat das mit Realität zu tun?
    Beim Lecken der Wunden nach der Korrektur wissen dann wieder alle was man hätte wissen müssen.SIEHE AFGHANISTAN DEBAKEL.
    Man hat doch nach der 08 er Häuschenkrise in den USA auch gesagt, das dürfe nie mehr passieren.Jetzt ist es noch schlimmer und als Zugabe noch die weltweite ALLESBLASE. Die Chinesen sind die einzigen die fähig sind , eine Blase kontrolliert zu entblasen.

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