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Brexit – die Angst vor dem Tory-Trick

Düsteres Szenario Brexit - Tower Bridge London

Der Hickhack um den Brexit setzt sich auch in der kommenden Woche fort. Der Versuch des britischen Premierministers, die Zustimmung des Parlaments für seinen mit der EU ausgehandelten Kompromiss zu erhalten, scheiterte am Antrag eines ehemaligen Tory-Abgeordneten. Eine nochmalige Verschiebung des Austrittsdatums wird damit immer wahrscheinlicher.

Brexit – Rache statt Kompromiss

Die Abstimmung über den Kompromiss-Vertrag, den Boris Johnson zuvor mit den 27 Staats- und Regierungschefs der EU ausgehandelt hatte, wurde vom britischen Parlament verschoben. Mit 322 zu 306 Stimmen folgte die Mehrheit des britischen Unterhauses dem entsprechenden Antrag des ehemaligen Tory-Abgeordneten Oliver Letwin. Die Brexit-Gegner, zu denen auch Letwin gehört, befürchteten, dass die Brexit-Befürworter in einem legislativen Winkelzug zunächst dem mit der EU nachverhandelten Ausstiegsdeal zustimmen würden, nur um anschließend das eigentliche Ausstiegsgesetz im Parlament doch noch zu verhindern. Damit hätte sich Boris Johnson als Dealmaker auf der internationalen Bühne präsentieren und gleichzeitig sein Versprechen eines Brexits mit oder ohne Deal zum 31. Oktober für den anstehenden Wahlkampf einhalten können.

Nun jedoch müssen zuerst die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Ausstieg geschaffen werden, bevor über den eigentlichen Brexit-Deal abgestimmt wird. Dies wiederum setzte das Benn-Burt-Gesetz in Kraft, nachdem der Premierminister schriftlich bei der EU um eine dreimonatige Verlängerung der Ausstiegsfrist bitten musste. Dies tat er auch, allerdings unterzeichnete er aus Protest das entsprechende Schreiben nicht. In einem zweiten von Johnson unterzeichneten Brief an den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk machte er hingegen deutlich, dass er gegen eine Verlängerung der Brexit-Frist ist. Er sei der Überzeugung, dass sowohl der EU als auch dem Vereinigten Königreich durch eine nochmalige Verzögerung zusätzlicher Schaden entstehen würde.

Aktueller Brief von Boris Johnson an Donald Tusk zum Brexit

Oliver Letwin – der Parallel-Regierungschef

Sir Oliver Letwin und Alexander Boris de Pfeffel Johnson werden wohl keine Freunde mehr. Der 63-jährige Politveteran Letwin wurde bereits von Boris Johnson wegen seiner offenen Ablehnung des Brexits aus der Regierungsfraktion ausgeschlossen. Obwohl er unter Theresa May politisch in den Hintergrund gedrängt wurde, ist Letwin nach wie vor sehr einflussreich und gilt momentan sogar als eine Art Parallel-Regierungschef. Seine politischen Verbindungen rühren noch aus der Zeit als Berater von Premierministerin Margaret Thatcher und als Staatsminister unter David Cameron, der extra für Letwin einen eigen Kabinettsposten mit Sonderkompetenzen schuf. In der Thatcher-Ära entwickelte er sich zwar zum EU-Skeptiker, strebte aber stets nach verbesserten Konditionen für das Königreich im EU-Club und nicht nach einem Austritt. Diesen lehnt der ehemalige Rothschild-Investmentbanker aus ökonomischen Gründen strikt ab. Wobei erst die Zukunft zeigen wird, wie vorteilhaft die Mitgliedschaft in einen Club ist, der sich seit mehr als zehn Jahren in einer Dauerkrise befindet und nur dank permanenter geldpolitischer Notmaßnahmen noch existiert.

Sowohl Boris Johnson als auch Oliver Letwin gelten als äußerst redegewandt, extrem selbstbewusst und überdurchschnittlich intelligent. Beide arbeiteten erfolgreich als Autoren. Ebenso wie Johnson leistete sich auch Letwin hin und wieder verbale Fehltritte, die sein elitäres Denken offenbarten. Der Sohn zweier jüdisch-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler besuchte wie Johnson das elitäre Eton College und studierte anschließend in Cambridge und an der renommierten London Business School. Nach den schweren Unruhen in London Mitte der Achtzigerjahre rief Letwin öffentlich dazu auf, schwarze Geschäftsleute zu boykottieren, da deren Geld nur in „Diskos und Drogenhandel“ landete. 2003 verkündete er, dass er lieber „auf die Straße gehen und betteln“ würde, um die Privatschule seiner Kinder zu finanzieren, als sie auf eine staatliche Schule zu schicken. Seine politische Zukunft ist gleichwohl ungewiss, weil er vielen konservativen Wählern, die den Brexit mehrheitlich befürworten, als rotes Tuch und elitär abgehoben gilt.

Wie geht es weiter im Brexit-Drama?

Der mit dem Brexit beauftragte Staatsminister Michael Gove sagte heute Morgen in einem Interview mit dem Sender Sky News, dass die Regierung an dem Austrittstermin 31. Oktober eisern festhalte. Seiner Meinung nach sei nun die Gefahr eines ungeregelten Ausstiegs aus der EU gestiegen. Noch heute sollen sich daher Kabinettsmitglieder treffen, um die Vorbereitungen auf ein ungeregeltes Austrittsszenario gemäß der „Operation Yellow Hammer“ zu intensivieren.

Bereits für Morgen ist von der Regierung eine weitere Abstimmung über den von Johnson ausgehandelten Deal im britischen Unterhaus geplant. Ob es dazu kommt, entscheidet Parlamentspräsident John Bercow morgen Vormittag. Seine Erlaubnis gilt aber als unwahrscheinlich, da es eine Übereinkunft im Parlament gibt, dass dieselbe Abstimmungsfrage während eines gewissen Zeitraums nicht zweimal gestellt werden darf.

Am kommenden Dienstag findet dann auf jeden Fall die zweite Lesung im Parlament statt. Dem Königreich bleibt anschließend nur noch eine Woche Zeit, um die legislativen Voraussetzungen für einen geordneten Brexit auf Basis des neuen EU-Kompromisses zu schaffen. Gelingt dies nicht, muss die EU auf einem Sondergipfel die erneute Verschiebung des Brexit-Termins um drei Monate beschließen. Diese Zustimmung gilt als sicher, da vonseiten Brüssels immer noch die Hoffnung auf Neuwahlen und ein neues Referendum mit EU-freundlichem Ausgang besteht. Mittlerweile will auch die Labour-Partei ebenso wie Johnson Neuwahlen. Ob diese jedoch bis 31. Januar 2020 stattfinden können, wird von Experten bezweifelt, da die Zeit zu knapp sei.

Fazit

Das Gezerre um den Ausstieg Großbritanniens aus der EU wird die Märkte und die Realwirtschaft aufgrund der Unsicherheit weiter belasten. Schon jetzt sind die ökonomischen Schäden sowohl in Großbritannien als auch in der EU erheblich. Das Interesse Deutschlands, die Briten in der Zollunion zu halten, ist verständlich. Zum einen käme es zu finanziellen Mehrbelastungen durch das Austreten des Nettozahlers, zum anderen erwirtschaftet Deutschland signifikante Überschüsse im Außenhandel mit den Briten. Nach über dreieinhalb Jahren Brexit-Verhandlungen haben aber vor allem die politisch Verantwortlichen Schaden genommen und das Vertrauen in die Vertreter der Interessen des Volkes ist dadurch weiter gesunken.



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1 Kommentar

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