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Brexit – diese Wahrheit wird Ihnen verschwiegen

Sind die Briten vielleicht doch nicht so dumm - sondern haben die existenziellen Konstruktionsfehler der Eurozone frühzeitig erkannt?

Beim Brexit handelt es sich nicht um einen Unfall der Geschichte. Neben der knappen Mehrheit des britischen Wahlvolks will auch diese, weit über Großbritannien hinaus sehr einflussreiche Persönlichkeit die Unabhängigkeit vom Euro und von Brüssel – aus einem sehr guten Grund.

Dieser Fakt zum Brexit ist vielen Deutschen unbekannt

Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich aufgeklärte deutsche Medien, Wirtschaftsverbände und  Politiker über britische Bürger und Politiker, die den Brexit befürworten, lustig machen. Doch wie sagt die Redensart so schön: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Ja, der Wegfall der Freihandelsprivilegien mit der EU wird ein äußerst harter Schlag für die britische Wirtschaft. Besonders die für den Großraum London bedeutende Finanzindustrie wird ihren Zugang zum wichtigen EU-Markt völlig neu aufbauen müssen – Massenabwanderungen von Finanzinstituten inklusive. Wahr ist auch, dass die britische Automobilindustrie bereits jetzt dem Tode geweiht ist und durch einen harten Brexit endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde.

Versorgungsengpässe, Preisanstiege, Arbeitsplatzverluste, ein explodierendes Staatsdefizit sowie die weitere Abwertung des britischen Pfunds wären ebenfalls zu erwarten. Genauso wie viele noch nicht prognostizierbare Folgeeffekte auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft – bis hin zu extremen Separationsbestrebungen Schottlands.

Diese gravierenden Folgen eines harten Brexit wären aus Sicht Brüssels sogar ein nicht ganz unwillkommenes Warnsignal an alle anderen Mitgliedsstaaten, sich tunlichst nicht mit Austrittsgedanken zu beschäftigen. Doch nehmen die Briten diese unvermeidlichen Entbehrungen auf sich, nur um in Empire-Nostalgie zu schwelgen, Migration selbst zu kontrollieren, sich dem Diktat Brüssels zu entziehen und vordergründig etwas Geld zu sparen? All das spielt mit Sicherheit eine Rolle und viele Briten sind diesbezüglich mit Sicherheit auch naiv und desinformiert. Dazu kommt die Tatsache, dass die Briten innerhalb der EU Ausnahme- und Sonderregeln genießen, z. B. bei den Mitgliedsbeiträgen oder der Mitbestimmung.

Oberflächlich betrachtet macht der Drang des Königreichs raus aus der EU also keinen Sinn.

Nachdenklich machen sollte in diesem Zusammenhang aber folgende, hierzulande weitgehend unbekannte Tatsache: niemand geringeres als Queen Elisabeth II., Staatsoberhaupt Großbritanniens und 16 weiteren Staaten des Commonwealth, Oberhaupt der 53 Mitgliedsstaaten des Commonwealth of Nations sowie Oberhaupt der Staatskirche Englands, hat sich gewollt oder ungewollt in die Entscheidungsfindung zum Brexit eingemischt.

Öffentlich und massenwirksam teilte die Zeitschrift The Sun aus dem Medienimperium von Rupert Murdoch am 9. März 2016 dem britischen Wahlvolk die Präferenz ihrer Königin mit: Die Schlagzeile lautete: „QEEN BACKS BREXIT – EU going in wrong direction, she says“. The Sun zitiert in der Ausgabe ein Gespräch zwischen dem stellvertretenden Premierminister Nick Clegg und der Queen, in dem sie bereits im Jahr 2011 die Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der EU deutlich machte. Die Verbreitung dieses Gesprächsinhaltes verstieß zwar gegen britische Presseregeln und gilt als manipulative Indiskretion, am Wahrheitsgehalt hielt der Herausgeber der einflussreichsten britischen Tageszeitung aber gegen alle Kritik fest.

Wiederholt hatte die Queen sogar bis einen Tag vor der Brexit-Abstimmung gegenüber Teilen der Wirtschaftselite Großbritanniens ihren persönlichen Standpunkt klar gemacht und mehrfach die Frage in den Raum gestellt: „Nennen Sie mir drei gute Gründe für den Verbleib in der EU“. Sie machte auch in Gesprächen mit ihrem Biografen klar, dass das Vereinigte Königreich sich von der EU weitestgehend unabhängig machen muss. Am 23. Juni 2016 sprachen sich 51,89 Prozent der Wahlberechtigten Briten für den Brexit aus.

Brexit – die Flucht nach vorn

Machtpolitisch steht hinter dem Brexit-Wunsch des britischen Königshauses ein ganz klares Szenario: Für Großbritanniens Zukunft ist es entscheidend, so schnell wie möglich und so viel wie möglich ökonomischen und politischen Abstand zum Ground Zero des unvermeidlichen Zusammenbruchs der EU zu gewinnen.

Dass dieser Plan mittelfristig funktionieren kann, hat man empirisch bereits während des Höhepunktes der Eurokrise nachweisen können, als im Juni 2015 Griechenland nach dem „Oxi“ der Griechen zu Europa in dem von Alexis Tsipras initiierten Plebiszit das Land kurz vor dem Grexit stand: Das mit Abstand meiste griechische Fluchtgeld floss nach Großbritannien und in das Pfund – noch weit vor der Schweiz und Deutschland. Mit der weltweit höchsten Eigentumssicherheit, basierend auf der Magna Carta, könnte Großbritannien in nicht allzu ferner Zukunft zum sicheren Hafen Nummer eins für Vermögende in ganz Europa werden.

Fazit

In der heutigen Moderne ist kurzfristiges Denken und sofortiger Nutzen der propagierte Mehrwert. Nachhaltigkeit wird oft nur als Buzzword eingesetzt und nur in den Bereichen, in denen es gerade opportun erscheint. Meine Annahme kann völlig falsch sein, aber ich traue es den britischen Eliten zu, die existenziellen Konstruktionsfehler der Eurozone frühzeitig erkannt zu haben, wie viele Bürger dieses Landes und selbst ein Teil unserer Politiker. Würde man Mario Draghi, unseren obersten Geldpolitiker, fragen, ob er an die Überlebensfähigkeit des Euro glaubt, würde er vermutlich antworten: Ja, aber nur mit einer ständig höheren Dosis Notfallmedizin. In diesem Lichte gesehen sind die Briten vielleicht doch nicht so dumm, wie sie aktuell gern und oft dargestellt werden – mittelfristig betrachtet.

Der Brexit könnte sich für Großbritannien mittelfristig als gute Idee erweisen



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8 Kommentare

  1. Hervorragende Analyse und liegt in vielen Teilbereichen exakt auf meiner Linie und Meinung, wie ich schon mehrmals hier kundgetan habe. Die These über das GBP als „sicheren Hafen“, eventuell als Pendent zum JPY, kann ich ebenfalls etwas abgewinnen.
    Der Brexit wird kommen und die Briten wesentlich weniger schädigen als den Rest der EU, vorallem dem EURO-Raum denn diese „Fehlkonstruktion“ wird einbrechen wie die Morandi Brücke in Genua.

  2. Einer der ersten guten Kommentare zu GB.
    Schon vor Monaten hatte ich diese Ahnung,die die meisten „Entscheider“zu denen ich
    mich leider nicht zählen kann,die Vermutung der meisten long term Trader zu bestätigen,
    daß „on the long run“ GB sich richtig entschieden hat.
    Also sich rechtzeitig vor der „Implosion“des EUR aus dem Wirtschaftsraum zu verabschieden.
    Besser man hält die Verluste vor einer Megakrise klein,um nachher wieder überproportinal
    davon zu profitieren ? (Vielleicht als „safe haven ? Die Bevölkerung in GB mußte in den letzten 100-150 Jahren öfters extrem leiden,der Unterschied von Arm/Reich ist sehr extrem.
    Doch die Briten augrund Ihrere Erfahrungen im Commenwealth,sowie als Finanzzentrum
    der Welt (City of London) sind bestimmt nicht blöd.

    1. Jedes Kleinkind in der Schweiz lacht sich vermutlich scheckig, wenn es von der Umsetzung eines Referendums im Königreich hört oder liest. Spätestens nach Ablauf der ersten Frist nach zwei Jahren völliger Untätigkeit und Hilflosigkeit Ende März 2019 war diese sog. Volksabstimmung hinfällig, weil sich keine parlamentarischen Vertreter für eine Umsetzung finden konnten und wollten. Zudem hat sich in und nach dem mehr als ausreichenden Zeitraum eine Mehrheit der Bevölkerung gegen einen Brexit entschieden.

      Das Vereinte Königreich hat der Welt seinen einzigartigen Status als globaler Geisterfahrer auf der falschen Fahrbahnseite beeindruckend dargelegt. Respekt auch vor der Meinung einer fast 100 Jahre alten Queen. Nachdem aber Könige und Parlamentarier völlig versagt und bindende Fristen versäumt haben, würde ein wahrer Demokrat die alte Volksabstimmung als gescheitert betrachten und einfach nochmals nachfragen.

  3. Chapeau Herr Zipfel… das Königshaus und die City spielen eine große Rolle.
    Und die Konstrukteure der Eutanic wissen wo die Schwachstellen sind.

  4. All diese Artikel und Kommentare haben einen fast schon amüsanten und suggestiven Unterton, der vor allem eines zu kommunizieren versucht: Europa ist aufgrund existenzieller Konstruktionsfehler dem Untergang geweiht. Probleme existieren ausschließlich in Europa, während die Restwelt unbeschadet in Reichtum, Wirtschaftswachstum und fern jeder humanitären, politischen, ökonomischen und ökologischen Krise schwelgt.

    In Nordamerika läuft alles rund, in Südamerika sowieso. Afrika gedeiht, Russland prosperiert. Es gibt kaum Probleme im nahen und mittleren Osten, in Indien und seinen Nachbarstaaten ist alles in bester Butter. Südostasien und China lächeln freundlich weiter.

    Wer glaubt, dass die Schere zwischen Reich und Arm und eine zunehmende Amerikanisierung in GB nach dem Brexit nicht noch weiter eskalieren wird, ist ein beneidenswerter Träumer. Wer in Artikeln über die mittelfristige Entwicklung spekuliert, muss auch die Möglichkeit einer mittelfristige Änderung in der EU-Politik und -Konstruktion in seine Erwägungen einbeziehen, die durch Nachahmereffekte im Falle eines „erfolgreichen“ Brexits losgetreten werden könnten.

    Bis dahin kümmern wir uns um unsere wirklichen Probleme: 20 Millionen unkontrollierter Flüchtlinge aus dem Osten, 40 Millionen aus dem Süden, noch viel schlimmer, eine einzelne Greta aus dem Norden, und jetzt auch noch der Wolf. Was bleibt da noch als Ausweg? Der goldene Gelb-Westen.

  5. Bitte beim so in Mode gekommenen EU Bashing nicht vergessen, daß die ganz großen Player besonderes Interesse am Auseinanderbrechen der EU und des Euro haben. Die arbeiten gezielt darauf hin und wir, man verzeihe mir den Ausdruck, wir Blöden fallen auch noch darauf herein und zerstören in vorauseilendem Gehorsam alles, was die Großen zerstört haben wollen. Praktisch für sie, sie brauchen es nicht mehr selber tun. Brave Briten, Trumps Lob ist ihnen gewiß.
    Und die bösen Anderen wollen und wollen einfach nicht austreten.
    Das erinnert mich irgendwie an was. Was war es nur? Ah ja, damals wars umgekehrt, die Bösen wollten und wollten nicht beitreten.

  6. Nicht China, Indien oder Amerika werden das 21. Jahrhundert dominieren, es wird meiner Meinung nach Europa sein.
    Nach dem Brexit wird United Kingdom zerfallen, Schottland wird sich lösen und langfristig der EU beitreten.
    Nordirland wird sich langfristig mit Irland wieder vereinigen.

    Ich liebe Europa und den Euro. Und den Euro gibt es noch in 100 Jahren nur mit noch mehr Ländern. Alles wird gut.

    1. @Torsten, niemand kann wissen, wer ein Jahrhundert politisch oder wirtschaftlich dominieren wird. Nehmen wir doch einfach das 20. Jahrhundert, wer hatte da zu Beginn schon die Nazis, die Amis, die Atombombe, die Teilung der Welt, den kalten Krieg, die Gleichberechtigung von Sklaven und Frauen oder die globale Vernetzung auf dem Schirm?

      Aber eines kann ich Ihnen garantieren: Umwelt- und Klimaprobleme mit einer massiven Verstärkung der heute schon bekannten Auswüchse werden das Jahrhundert dominieren, wenn die Menschheit nicht ganz schnell in globaler Zusammenarbeit reagiert und umdenkt: Stürme, Starkregen, Hagel, Überschwemmungen, Anstieg der Meeresspiegel, Hitze, Dürren, Erdrutsche, Feuersbrünste, Artensterben, Seuchen, Pandemien und unvorstellbare wirtschaftliche und gesellschaftliche Schäden.

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