Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal um 0,1 % im Quartalsvergleich gesunken, so haben es um 10 Uhr die staatlichen Statistiker vermeldet. Damit läuft es hierzulande deutlich schlechter als in Spanien oder Frankreich, wo es mit der Wirtschaftsleistung um 0,8 % und 0,3 % bergauf geht. Hier zeigen wir aktuelle Expertenaussagen zu den frisch gemeldeten Zahlen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern.
Bruttoinlandsprodukt schrumpft – ifo-Institut mit Statement
Das ifo-Institut schreibt aktuell zum rückläufigen Bruttoinlandsprodukt: Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise fest. Auch für das dritte Quartal 2024 ist kaum Besserung zu erwarten. Darauf deuten die Ergebnisse beim ifo Geschäftsklimaindex aus dem Juli hin. Vor allem in der Industrie lässt die Trendwende auf sich warten. Die energieintensiven Industriezweige konnten ihre Produktion seit Jahresbeginn etwas ausweiten. Im restlichen Verarbeitenden Gewerbe stagniert die Wirtschaftsleistung. Insgesamt nehmen die Auftragspolster immer weiter ab, und der Industrie fehlt es an Neuaufträgen. Die Beurteilung der aktuellen Lage ist im Juli auf den tiefsten Wert seit September 2020 gesunken, und die Geschäftserwartungen für die kommenden Monate haben sich deutlich eingetrübt.
Auch beim privaten Konsum läuft die Erholung schleppend. Den ifo Konjunkturumfragen zufolge dürfte zwar die Fußball-Europameisterschaft im Juni für ein vorübergehendes Umsatzplus insbesondere im Gastgewerbe gesorgt haben. Außerdem lief der Pkw-Absatz im Juni überraschend positiv. Insgesamt aber hat sich das Geschäftsklima bei den konsumnahen Dienstleistern und im Einzelhandel im Juli weiter verschlechtert. Daher dürfte der private Konsum auch im dritten Quartal nur wenig zulegen.
Commerzbank-Ökonomen: „kein Aufschwung in Sicht“
Dr. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, schreibt aktuell (Headline-Aussage): Der unerwartete Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal um 0,1% zeigt wieder einmal, dass von einem nennenswerten Aufschwung in Deutschland keine Rede sein kann. Die jüngste Schwäche der konjunkturellen Frühindikatoren legt auch für das zweite Halbjahr allenfalls ein blutleeres Wachstum nahe. Die abebbende Belastung durch die zurückliegenden Zins- und Energiepreiserhöhungen schlägt sich bisher nicht in einer konjunkturellen Erholung nieder. Schließlich leiden die Unternehmen unter der jahrelangen Erosion der Standortqualität und die Konsumenten unter dem zurückliegenden inflationsbedingten Einbruch der Kaufkraft. Wir sehen leichte Abwärtsrisiken für unsere 2024er Prognose von 0,0%.
Bloomberg-Einordnung
Bloomberg schreibt aktuell zum sinkenden Bruttoinlandsprodukt in Deutschland: Die deutsche Produktion ist im zweiten Quartal unerwartet geschrumpft und wirft einen Schatten auf die Widerstandsfähigkeit des Wachstums in den drei nächstgrößeren Volkswirtschaften der Region. Das Bruttoinlandsprodukt fiel in den drei Monaten bis Juni um 0,1 %, ein Ergebnis, das nur einer von 35 von Bloomberg befragten Ökonomen vorhergesagt hatte. Im Gegensatz dazu wuchsen sowohl Frankreich als auch Spanien stärker als vorhergesagt, während sich das Wachstum in Italien nur leicht verlangsamte und 0,2 % betrug.
Ein separater Bericht aus Spanien zeigte, dass die Inflation dort im Juli viel stärker als erwartet auf 2,9 % zurückging, was auf niedrigere Energie- und Lebensmittelpreise zurückzuführen war. Die uneinheitlichen Wachstumsergebnisse in der Eurozone verdeutlichen die Herausforderung, vor der die Entscheidungsträger der Europäischen Zentralbank stehen, wenn sie im September darüber befinden, ob die Wirtschaft der Eurozone anfällig genug ist, um eine weitere Zinssenkung zu rechtfertigen.
Die EZB warnte Anfang dieses Monats, dass das Wachstum im Jahr 2024 gedämpft sein wird und anfällig für jede globale Schwäche oder eine Eskalation der Handelsspannungen ist. Seit Mai sind die Wirtschaftsdaten für den Euroraum laut dem Bloomberg Economics Surprise Index überwiegend schlechter ausgefallen als erwartet. Andere heute veröffentlichte Daten zeigten, dass Österreichs Wirtschaft im letzten Quartal stagnierte, während Litauen ein robustes Wachstumstempo beibehielt. Die Berichte vom Montag zeigten eine Beschleunigung in Irland und ein anhaltendes Wachstum in Belgien – beides Richtungsweiser für die Region.
Sollten andere Daten heute auf eine robuste Wirtschaft in der Eurozone hindeuten, könnte dies die Falken unter den Politikern ermutigen, die für eine nur begrenzte Lockerung der Geldpolitik in diesem Jahr plädieren. Die Entscheider könnten sich auch für die Inflationszahlen interessieren, die in dieser Woche veröffentlicht werden. Die Daten aus Deutschland werden ebenfalls heute veröffentlicht, bevor am Mittwoch Berichte aus dem Rest der Eurozone folgen.
Das Gesamtergebnis für die Eurozone wird von Ökonomen für Juli mit 2,5 % prognostiziert und liegt damit immer noch deutlich über dem Ziel der EZB von 2 %. In Deutschland schrumpfte die Wirtschaft nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aufgrund eines Rückgangs der Ausrüstungs- und Bauinvestitionen.
In Frankreich stieg das Bruttoinlandsprodukt in den drei Monaten bis Juni um 0,3 %, während die spanische Wirtschaft um 0,8 % wuchs. Beide Ergebnisse entsprechen den Ergebnissen des ersten Quartals und liegen über dem Median der von Bloomberg befragten Wirtschaftsexperten. Frankreichs Ergebnisse spiegeln nur teilweise die Auswirkungen der Wahlen wider, die Präsident Emmanuel Macron am 9. Juni – drei Wochen vor Ende des zweiten Quartals – angekündigt hatte.
Seitdem haben die Indikatoren einen sprunghaften Anstieg der Unsicherheit in der Wirtschaft gezeigt, da die Unternehmen befürchten, dass eine neue Regierung die Arbeitskosten und die Steuern erhöhen könnte. Diese getrübten Aussichten werden sich fortsetzen, da keine einzige Partei aus den Wahlen mit genügend Sitzen für eine tragfähige Mehrheit im Parlament hervorgegangen ist. Macron hat gezögert, einen neuen Premierminister zu ernennen, und stattdessen eine Übergangsregierung eingesetzt, zumindest bis zum Ende der Olympischen Spiele, die derzeit in Paris stattfinden.
Die Meinung von Bloomberg Economics: „Trotz der insgesamt positiven Überraschung in Frankreich war die Inlandsnachfrage schwächer als von uns erwartet. Der Außenhandel hat das Gesamtergebnis gestützt. Mit Blick auf die Zukunft erwarten wir, dass die Aktivität im 3. Quartal 24 vorübergehend durch die Olympischen Spiele angekurbelt wird, aber die politische Landschaft trägt zur Unsicherheit der Aussichten bei.“
-Simona Delle Chiaie, leitende Ökonomin.
Der Insee-Bericht über das zweite Quartal zeigt, dass das Wachstum durch Exporte und einen leichten Anstieg der Investitionen gestützt wurde. Die Verbraucherausgaben waren stabil. „Diese Leistung zeigt, dass Frankreich zwei Jahre in Folge ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielt hat“, sagte Finanzminister Bruno Le Maire vor Journalisten. „Diese Leistung ist dauerhaft und solide.“
Die französische Wirtschaft dürfte im Sommer einen kurzen Schub durch die Olympischen Spiele erhalten. Anfang dieses Monats prognostizierte die Statistikbehörde Insee eine Beschleunigung beim Bruttoinlandsprodukt auf 0,5 % im dritten Quartal, obwohl sie davon ausgeht, dass dieser Zuwachs durch eine leichte Schrumpfung in den letzten Monaten des Jahres teilweise wieder ausgeglichen wird.
Spanien profitierte wie Frankreich vom Nettohandel, doch im Gegensatz zu seinem größeren Nachbarn verzeichnete es laut der Statistikbehörde INE auch eine starke Inlandsnachfrage im dritten Quartal. Die spanische Wirtschaft hat in den letzten Quartalen, gestützt durch die hohe Beschäftigung, ihre Konkurrenten im Euroraum überflügelt. Die politische Unsicherheit in Spanien hat das Vertrauen bisher nicht beeinträchtigt.
Die spanische Regierung war nicht in der Lage, einen Haushaltsplan für 2024 zu verabschieden, und ihr Plan, einen solchen für 2025 vorzulegen, ist in Frage gestellt, nachdem sie eine Abstimmung im Parlament über die Verabschiedung wichtiger Haushaltsziele verloren hat. In Italien entsprach das Wachstumsergebnis dem Median der Prognosen der Wirtschaftsexperten.
FMW/Bloomberg/Commerzbank/ifo-Institut
Kommentare lesen und schreiben, hier klicken
die inflation zieht wie antizipiert wieder an und druck auf höhere lohnabschlüsse steigt, weil der konsument nicht mitkommt. derzeit befindet sich deutschland in einem schon längerfristig sich verfestigenden stagflationsszenario an der grenze zur rezession. die grenze wird wohl noch überschritten. wie übrigens noch in anderen geographien.
Es bleibt abzuwarten, inwiefern die aktuelle Situation unserer Maschinenbauindustrie im Rahmen der Haushaltswoche/Zeitpunkt 10.09.24-13.09.24 im Plenum des Deutschen Bundestages thematisiert wird.