2024 erreicht die Antikorruptionskampagne in China neue Rekorde: Mehr als je zuvor geraten hochrangige Funktionäre ins Visier, doch die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft sind gravierend.
Noch nie stand so viele Beamte in China unter Korruptionsverdacht wie 2024. Die Kampagne stärkt Xi Jinpings Kontrolle, doch sie schwächt gleichzeitig Verwaltung, Wirtschaft und militärische Effizienz.
Rekordjahr für Antikorruption: China erreicht neue Höchstwerte
Das Jahr 2024 markiert einen weiteren Höhepunkt in Chinas rigoroser Antikorruptionskampagne. Nachdem bereits 2023 ein Rekord bei der Zahl der untersuchten hochrangigen Funktionäre erreicht wurde, setzte Peking noch einen drauf: Insgesamt 56 Beamte auf Vizeministerebene oder höher standen 2024 unter Verdacht, ein Anstieg von 25 % gegenüber den 45 Fällen im Vorjahr. Doch diese Zahlen, die von den staatlichen chinesischen Medien verbreitet werden, sind nur ein Ausschnitt eines deutlich größeren Bildes. Seit Beginn der Kampagne im Jahr 2012 wurden laut dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) 3,7 von Funktionären disziplinarisch belangt, allein 2021 waren es 627.000.
Abbildung 1: Chinas Anti-Korruptionskampagne: Anzahl der hochrangigen Beamten, die von der Zentralen Disziplinarkommission bestraft wurden. Quelle: Xinhua News Agency
Auch abseits der politischen Sphäre greift die Offensive. Einer der prominentesten Fälle war die Verurteilung des ehemaligen Nationaltrainers der chinesischen Fußballmannschaft, Chen Xuyuan. Er erhielt 20 Jahre Haft – eine symbolträchtige Botschaft, dass Korruption in China längst nicht mehr auf politische Ämter beschränkt ist. Vom Profisport bis hin zu gesellschaftlichen Institutionen: Kaum ein Bereich entgeht den Maßnahmen.
Säuberung in der PLA: Militär unter Beschuss
Ein Schwerpunkt der Kampagne liegt weiterhin auf der Volksbefreiungsarmee (PLA) und dem militärisch-industriellen Komplex. Im Jahr 2024 gerieten über 1.000 Angehörige der Streitkräfte und Beschäftigte in der Verteidigungsindustrie unter Korruptionsverdacht. Besonders hart traf es die strategisch bedeutsame Raketenstreitkraft, die für Chinas nukleare Abschreckung zentral ist.
Im Sommer 2024 wurden mehrere hochrangige Generäle ihrer Ämter enthoben. Darunter befanden sich auch Wissenschaftler und Strategen, die essenzielle Rollen in der Modernisierung der Streitkräfte spielten. Offiziell sollen diese Maßnahmen die Integrität innerhalb der PLA stärken. Doch die schiere Anzahl der Fälle nährt Zweifel, wie tief Korruption die Strukturen durchdrungen hat – und wie sehr diese Offensive auch interne Machtkämpfe innerhalb der Führung widerspiegelt.
Ely Ratner, stellvertretender Verteidigungsminister der USA für Indo-Pazifik-Angelegenheiten, brachte es treffend auf den Punkt: „Die Intensität der Antikorruptionsmaßnahmen spiegelt ernste Sorgen wider, welche Probleme Korruption im gesamten System verursachen könnte.“ Gleichzeitig werfen Experten die Frage auf, inwieweit diese Maßnahmen die Effizienz und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte gefährden könnten.
China: Die Unsicherheit, die das System starr macht
Die Auswirkungen der Kampagne sind jedoch nicht auf das Militär beschränkt. Xi Jinpings rigoroser Kurs hat eine Kultur der Angst geschaffen, die Chinas Bürokratie und Wirtschaft zunehmend lähmt. Beamte zögern, Entscheidungen zu treffen, aus Furcht, dass ihre Handlungen als Korruption interpretiert werden könnten. Entscheidungen werden oft an höhere Instanzen delegiert, was die Handlungsfähigkeit vor Ort schwächt.
Dieses Klima der Unsicherheit hat weitreichende Folgen: Eine Studie des Centre for Economic Policy Research zeigt, dass vor allem kleinere Unternehmen und bestehende Firmen unter der Antikorruptionskampagne leiden. Während staatliche Unternehmen bevorzugt werden, stagnieren private Investitionen und Innovationen. Die Kampagne hat eine Atmosphäre geschaffen, in der unternehmerische Initiative zunehmend gehemmt wird – ein Umstand, der Chinas wirtschaftliche Dynamik langfristig gefährden könnte.
Ein tragisches Beispiel für die Konsequenzen dieser Angstkultur war der Ausbruch von COVID-19. Frühwarnungen des Arztes Li Wenliang wurden ignoriert, stattdessen wurde er verhaftet und gezwungen, seine Aussagen zu widerrufen. Dieses Versagen symbolisiert die tief verwurzelte Unsicherheit innerhalb der chinesischen Verwaltung – eine Unsicherheit, die durch die Antikorruptionskampagne noch verstärkt wurde.
Die „Shaanxi-Fraktion“: Xi Jinpings Netzwerk erstarkt
Die Antikorruptionskampagne dient nicht nur der Bekämpfung von Korruption, sondern auch der Ausschaltung politischer Gegner. Unter Xi Jinping hat sich dieser Aspekt noch verstärkt. Kritische Stimmen werden systematisch zum Schweigen gebracht, wie der Fall von Hu Xijin zeigt. Der ehemalige Chefredakteur der nationalistischen Global Times verschwand 2024 aus der Öffentlichkeit, nachdem er eine von der offiziellen Linie abweichende Interpretation der Wirtschaftspolitik veröffentlicht hatte.
Auch der Austausch mehrerer Provinzgouverneure Anfang 2025 verdeutlicht die politische Zielrichtung der Kampagne. Während einige Wechsel durch das Erreichen der Altersgrenze ausgelöst wurden, zeigt die Beförderung neuer Führungskräfte, dass Xi Jinping seine Machtbasis durch die sogenannte „Shaanxi-Fraktion“ weiter stärkt. Dieses Netzwerk dient ihm zunehmend als Schlüsselinstrument zur Kontrolle der Partei und der Verwaltung.
Antikorruption in China: Ein System unter Spannung
Chinas Antikorruptionskampagne hat 2024 einen neuen Höhepunkt erreicht und wird unter Xi Jinping konsequent als Werkzeug zur Machtsicherung eingesetzt. Während sie auf den ersten Blick Integrität und Ordnung stärkt, treten die Schattenseiten deutlich hervor: Eine lähmende Angstkultur, wachsende wirtschaftliche Unsicherheiten und das Schweigen kritischer Stimmen prägen das Bild.
Die bereits 2017 geäußerten Warnungen des Centre for Economic Policy Research bestätigen sich heute in voller Schärfe. Xi Jinpings Kampf gegen Korruption hat die Entscheidungsstrukturen Chinas starr gemacht und schwächt sowohl die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit als auch die politische Flexibilität. Die wachsende Kontrolle mag kurzfristig Stabilität suggerieren, doch der Preis ist hoch: Ein System, das unter der Last seiner eigenen Maßnahmen zu ersticken droht.
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Die USA hätten nicht den höchsten Verteidigungshaushalt, wenn man die ganzen Korruptionsgelder herausrechnen würde, ebenso die dadurch stark gestiegenen Kosten in der Anschaffung.
Überall das gleiche Speil wenn es um viel Geld geht.