Preisverfall, Schulden, Überangebot: Die Autoindustrie in China taumelt. Experten warnen vor einem „Evergrande-Moment“, der den gesamten Sektor ins Wanken bringen könnte.
China: Autoindustrie vor Evergrande-Moment?
In China steuert die Autoindustrie auf einen selbstzerstörerischen Tiefpunkt zu. Analysten warnen bereits vor einem „Evergrande-Moment“ – einem plötzlichen Auslöser, der den gesamten Sektor zum Einsturz bringen könnte. Selbst Branchengrößen geraten ins Wanken. Chinas Medien sprechen von der „Involution“ der Autoindustrie, einem erbarmungslosen Wettlauf nach unten. Ein brutaler Preiskrieg droht den Stolz der Nation, die Elektroauto-Industrie, in den Abgrund zu reißen. Mit ihr leidet das gesamte Ökosystem der Zulieferer, deren Existenz durch die miserable Zahlungsmoral der Hersteller bedroht ist. In Peking schrillen die Alarmglocken, denn die Krise betrifft längst nicht nur die Branche selbst, sondern den Ruf von „Made in China“.
Die staatliche People’s Daily warnte am vergangenen Montag, dass Marken wie BYD, Geely und Xpeng ihren Markenwert aufs Spiel setzen, wenn sie Qualität für niedrige Preise opfern. Günstige Autos nutzen Verbrauchern kurzfristig, doch die Behörden sehen langfristige Schäden. Mehrere Artikel in staatlichen Medien betonten, dass unerbittliche Rabatte den globalen Ruf chinesischer Autos untergraben und die finanzielle Stabilität der Branche gefährden. Die Regierung forderte Automanager auf, irrationale Preissenkungen und Verkäufe unter Selbstkosten zu stoppen.
Überangebot sprengt Märkte
Die Krise reicht über Preiskämpfe hinaus. Li Shufu, Chef der Geely Holdings Group, sprach auf dem China Auto Chongqing Summit von einem globalen Überangebot an Autos. Geely stoppt den Bau neuer Werke, um bestehende Kapazitäten effizienter zu nutzen. „Wir müssen überflüssige Kapazitäten vermeiden“, betonte er. Ein Kommentar im Finanzmedium Caixin vom letzten Montag nannte fünf zentrale Risiken: sinkende Rentabilität der Zulieferer, chaotische Marktbedingungen, schrumpfende Gewinnmargen, der Rückzug ausländischer Hersteller und die Ausbreitung des destabilisierenden Wettbewerbs auf globale Märkte. Diese Entwicklung trifft auf internationalen Gegenwind. Die EU hat Zölle von bis zu 35,3 Prozent auf chinesische Elektroautos verhängt, die USA haben Einfuhrzölle auf 100 Prozent erhöht, und Länder wie die Türkei und Russland errichten ebenfalls Handelsbarrieren, um die chinesische Überproduktion zu Dumping-Preisen einzudämmen.
Das Überangebot zwingt die Branche zu verzweifelten Maßnahmen. Caixin berichtete, dass Händler Neuwagen als Gebrauchtwagen deklarieren, um Herstellervorgaben für Mindestpreise zu umgehen. Händler fälschen Fahrzeugpapiere und manipulieren Kilometerstände, um den Kunden vorzugaukeln, dass es sich um Wagen aus zweiter Hand handelt. Damit untergraben sie die Preiskontrollen der Hersteller und destabilisiert den Markt weiter. Hersteller und Händler versuchen, ihre enormen Überkapazitäten in den Markt zu drücken. Bis Ende April lagerten landesweit 3,5 Millionen unverkaufte Neuwagen auf Halde, ein historischer Höchststand. Das etwas weniger als die monatlichen Pkw-Produktion Chinas von rund 2,6 Millionen Einheiten. Das Handelsministerium berief Ende Mai Vertreter von BYD, Dongfeng Motor und der Gebrauchtwagenplattform Guazi zu Gesprächen, um diese irreführende Praxis zu stoppen. Konkrete Ergebnisse blieben aus, doch eine Verschärfung der Regulierung im Gebrauchtwagenhandel zeichnet sich ab.
Droht der Autoindustrie ein „Evergrande-Moment“?
Die Angst vor einem Zusammenbruch der chinesischen Autoindustrie wächst. Immer mehr Analysten und Branchenführer ziehen Parallelen zur Immobilienbranche vor deren Absturz. Sie sprechen offen von einem möglichen „Evergrande-Moment“ – einem plötzlichen Auslöser, der die gesamte Branche in eine tiefe Krise stürzen könnte. Ein Drittel der börsennotierten Autohersteller in China wies Ende 2024 höhere kurzfristige Verbindlichkeiten als liquide Mittel auf. Ein Warnsignal, dass viele Unternehmen bereits jetzt Schwierigkeiten haben, ihre laufenden Verpflichtungen zu bedienen. Das Nettoumlaufvermögen der 16 größten Autobauer sackte bis Jahresende auf 14,5 Milliarden US-Dollar ab. Das entspricht einem Rückgang um 62 Prozent gegenüber 2021. Besonders betroffen sind BYD, Geely, NIO, Zeekr, BAIC und JAC. Sie setzen alles auf Preiskämpfe und riskieren damit ihre finanzielle Substanz. Experten von CITIC Securities erwarten, dass spätestens 2026 eine große Marktbereinigung ansteht, der zahlreiche Hersteller zum Opfer fallen könnten.
Auch in der Branche selbst wächst die Nervosität. Wei Chen Jin, Vorstandschef von Great Wall Motors, warnte in einem ungewöhnlich offenen Interview vor strukturellen Schwächen im Sektor. Hinter dem scheinbaren Boom der Elektroautos verbergen sich ausbleibende Zahlungen an Zulieferer und wachsende Schuldenberge. Seine Aussage sorgte für Aufsehen: „Ehrlich gesagt gibt es bereits ein Evergrande in der Autoindustrie. Es ist nur noch nicht zusammengebrochen.“ Beobachter rechnen daher mit einer brutalen Konsolidierungswelle oder gar einem großflächigen Zusammenbruch der Branche.
Die Finanzlage der Unternehmen verschärft diese Entwicklung weiter. NIO und SAIC melden Schuldenquoten von über 87 Prozent, der Branchendurchschnitt liegt bei 66,3 Prozent. BYD, trotz hoher Absatzzahlen, steht ebenfalls unter Druck. Versteckte Schulden in komplexen Finanzierungsmodellen wie Sale-and-Lease-Back-Konstruktionen lassen vermuten, dass die tatsächliche Verschuldung deutlich über den gemeldeten 70 Prozent liegt. Hersteller mit schwachen Bilanzen rutschen zunehmend in Liquiditätsengpässe. Die Behörden in Peking drängen deshalb auf verbesserte Zahlungsmoral und stabilere Lieferketten. Denn nicht nur die Autobauer leiden unter den finanziellen Spannungen, vor allem die Zulieferer geraten in Bedrängnis.
Die schwindenden Margen belasten den Cashflow der Hersteller, die den Druck an ihre Lieferanten weiterreichen. BYD und Geely zahlen ihre Rechnungen im Schnitt erst nach 127 Tagen, bei Great Wall und SAIC dauert es noch länger. Für kleinere Zulieferer bedeutet das Existenzgefahr. Die Regierung zwang vier große Autohersteller, darunter China FAW und Dongfeng Motor, zu dem Versprechen, ihre Lieferanten künftig innerhalb von 60 Tagen zu bezahlen. Kurz darauf folgten 17 weitere Produzenten.
An der Börse sorgte das für Erleichterung, die Aktien der Autobauer legten kurzfristig zu. Doch Branchenkenner bleiben skeptisch. Solche Zusasagen bleiben oft Symbolpolitik, weil der Preisdruck am Markt stärker sei als alle Verabredungen. Die strukturellen Probleme bleiben ungelöst. Der ruinöse Preiskampf, die Überproduktion und die schwache Nachfrage lasten weiter schwer auf der Branche. Dazu kommen Handelsbarrieren in Europa, den USA, der Türkei und Russland, die chinesische Autoexporte blockieren und den Herstellern die Expansion ins Ausland erschweren.
Zulieferer unter Druck
Denn die schwindenden Margen belasten den Cashflow der Hersteller, die dieses Problem an ihre Zulieferer weiterreichen. BYD und Geely lassen Lieferanten im Schnitt 127 Tage warten, Great Wall und SAIC noch länger, um ihre Rechnungen zu begleichen. Kleinere Unternehmen kämpfen mit noch größeren Verzögerungen. Die langen Zahlungsfristen strangulieren ihren Cashflow und bedrohen ihre Existenz. Auf Druck der Regierung verpflichteten sich am Dienstag vier große Autohersteller, China FAW, Dongfeng Motor, GAC Group und SAIC, ihre Lieferanten innerhalb von 60 Tagen zu bezahlen. Innerhalb von 24 Stunden schlossen sich 17 Hersteller an.
Die Märkte reagierten kurzfristig positiv. Autoaktien erholten sich nach den Zahlungsversprechen der Hersteller. Doch Branchenkenner bleiben skeptisch. Ein Einkaufsleiter sagte gegenüber Caixin, solche Zusagen seien oft symbolisch, da der Wettbewerbsdruck die Preisgestaltung diktiert. Die Skepsis ist berechtigt. Der Preiskrieg, die Überproduktion und die schwache Verbrauchernachfrage setzen die Branche weiter unter Druck. Internationale Handelsbarrieren verschärfen die Lage. Die EU, die USA, die Türkei und Russland blockieren chinesische Autoexporte, um ihre Märkte vor billigen Elektroautos zu schützen. Diese globalen Spannungen bremsen die Expansionspläne der Hersteller.
Strukturwandel blockiert
Die Skepsis ist berechtigt. China versucht, die Quadratur des Kreises zu erreichen. Die Elektroauto-Industrie hat ein Rattenrennen ausgelöst. Zu viele Marktteilnehmer kämpfen um einen Kuchen, der nicht für alle reicht. Eine Marktbereinigung ist überfällig, doch sie erfolgt quälend langsam. Zahlreiche neue Autohersteller sind bereits aus dem Wettbewerb unfreiwillig ausgeschieden, aber es gibt noch immer zu viele Anbieter. Insolvenzen setzen Arbeiter frei, die der Arbeitsmarkt derzeit nicht aufnimmt, was Städte und Provinzen verzweifelt zu vermeiden suchen.
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Der innerchinesische Markt schluckt nur eine begrenzte Zahl an Autos, während ausländische Märkte Handelsbarrieren errichten, um sich vor der chinesischen Autoflut zu schützen. Die Lage wird dadurch durch verschärft, dass sich China weigert, Hersteller von Verbrennerautos sterben zu lassen, deren Schließung noch mehr Arbeitslose auf den Markt spülen würde.
Disruption bedeutet, dass innovative Unternehmen die alten verdrängen, doch genau lassen die Kommunen, Städte, Provinzen und auch die Zentralregierung nicht zu, denn das sind vor allem die staatlichen Unternehmen, die eh schon eine aufgeblähte Belegschaft haben. Dazu kommt der Konsument, der, geschwächt durch die Immobilienkrise und Wohlstandsverluste, nur zu rabattierten Autos greift. China steht vor einer bitteren Wahl: Entweder lässt es einige Hersteller sterben, oder die gesamte Branche riskiert den Kollaps.
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