Im Ringen um wirtschaftliche und geopolitische Deutungshoheit im Handelskrieg gegen die USA setzt China auf Worte, um seine Taten zu untermauern. Am Mittwochabend veröffentlichte der Staatsrat der Volksrepublik ein umfassendes Weißbuch über die wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA. Was auf den ersten Blick wie ein technisches Regierungsdokument erscheint, ist in Wahrheit ein strategisches Kommunikationsinstrument – rhetorisch ausgefeilt, ideologisch aufgeladen und mit globaler Wirkung kalkuliert.
China gegen USA: Peking kämpft um die Deutungshoheit
Im Zentrum steht der Versuch, China als stabilen, regelorientierten Global Player zu inszenieren – im scharfen Kontrast zu den USA, die als erratisch, hegemonial und protektionistisch dargestellt werden. Die Botschaft ist klar: Nicht China gefährdet die Weltwirtschaftsordnung – sondern Washington mit dem Handelskrieg.
WTO, Regeln, Normen: China und seine multilaterale Inszenierung
Das Dokument richtet sich gezielt an internationale Organisationen wie die WTO, an aufstrebende Schwellenländer und an wirtschaftlich verunsicherte Drittstaaten. China bemüht sich, bestehende Narrative umzudrehen – und sich als Verteidiger multilateraler Normen zu präsentieren. Begriffe wie „Gleichbehandlung“, „Vertragskonformität“ und „multilaterale Zusammenarbeit“ ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Papier.
Die USA hingegen erscheinen als destabilisierende Kraft. Im Vorwort wird ihnen „einseitiger Protektionismus“ vorgeworfen, der die globale Stabilität gefährde. Im Gegenzug beschreibt sich China als „größter Beitragender zum globalen Wachstum“. Diese Selbstbeschreibung soll Vertrauen schaffen – insbesondere bei Staaten, die sich von der US-Ordnung entfremdet fühlen und den Handelskrieg ablehnen.
TikTok, Handel, Agrar: Vorwürfe gegen die USA
Das Weißbuch arbeitet mit systematischer Kontrastkommunikation. Die Argumentationsstruktur ist simpel, aber wirksam: China hält sich an internationale Regeln – die USA nicht. Ob Agrarhandel, Pandemie-Ausnahmen oder Technologietransfer: Die USA erscheinen als unzuverlässiger Vertragspartner.
So verweist das Dokument darauf, dass China selbst unter COVID-Bedingungen Agrarprodukte aus den USA importierte, während Washington angeblich bilaterale Verpflichtungen unterlief. Im Bereich Technologie wird der US-Umgang mit Unternehmen wie TikTok als Ausdruck willkürlicher Protektion dargestellt – ein Bruch mit der eigenen Marktlogik, so der Vorwurf.
Diese Strategie, einen moralischen Spiegel vorzuhalten, ist ein typisches Muster der chinesischen Außenkommunikation.. Sie zielt auf das Publikum im Globalen Süden – Länder, die zwischen den Machtblöcken lavieren und nach Alternativen zur westlich dominierten Ordnung suchen.
Wirtschaftliche Verflechtung als strategische Waffe
Gleichzeitig inszeniert sich China als wirtschaftlich unverzichtbarer Partner. Mit beeindruckenden Zahlen – etwa einem Anstieg der US-Exporte nach China um über 600 Prozent seit 2001 – wird das „Win-Win“-Narrativ bedient. China sei nicht Bedrohung, sondern Absatzmarkt. Besonders US-Agrarproduzenten, Technologiekonzerne und Investoren sollen erkennen: Eine wirtschaftliche Entkoppelung würde in erster Linie ihnen selbst schaden.
Diese Argumentation ist bewusst emotional aufgeladen, richtet sich aber auch rational an Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik. China verknüpft strategisches Kalkül mit wirtschaftlichem Charme – und bleibt dabei jederzeit offen für Kooperation, aber zu seinen Bedingungen.
China: Starke Marken, starke Botschaft für das Inland
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Das Weißbuch zielt nicht nur auf das Ausland, sondern auch auf die eigene Bevölkerung. Es ist ein Werkzeug der politischen Selbstvergewisserung. Indem China sich als regelkonform, reformbereit und offen präsentiert, stärkt es das Vertrauen der eigenen Eliten – besonders in der urbanen, wirtschaftsnahen Mittelschicht.
Beispiele wie die Zulassung westlicher Finanzdienstleister, das Durchsetzen von Patentrechten oder Reformen im Bereich geistiges Eigentum zeigen: China will beweisen, dass es marktwirtschaftlich agiert – allerdings auf souveräne Weise.
Auch der gezielte Verweis auf Agrarimporte aus den USA dient doppelt: außenpolitisch als Beweis für Vertragstreue, innenpolitisch als Signal wirtschaftlicher Souveränität.
Handelskrieg China-USA: Weißbuch bereitet Eskalationen strategisch vor
Besonders deutlich wird die strategische Ausrichtung des Weißbuchs in seinen Hinweisen auf mögliche künftige Eskalationen. Die Sprache ist kalkuliert vorsichtig – aber inhaltlich klar: Sollte es zum Entzug von Handelsprivilegien oder neuen Zöllen kommen, liege die Schuld bei den USA.
Mit juristischen Verweisen auf Vertragsartikel, etwa im Phase-One-Abkommen, wird ein Rahmen geschaffen, in dem China im Ernstfall als Opfer agiert. Diese Form der antizipierenden Rhetorik ist typisch für das chinesische Eskalationsmanagement: Der eigentliche Konflikt wird sprachlich vorweggenommen, die eigene Reaktion moralisch abgesichert. Peking signalisiert Handlungsspielraum – nutzt ihn aber noch nicht aus. Das ist nicht Deeskalation, sondern strategische Geduld.
Das Weißbuch ist weit mehr als ein diplomatisches Signal. Es ist ein kommunikativer Baustein für den nächsten Akt im Konflikt mit den USA – rhetorisch klug konstruiert, international abgestimmt und innenpolitisch verwertbar. China versucht, geopolitische Koalitionen zu verschieben – weg von Washington, hin zu einer multipolaren Ordnung mit Peking als regulierendem Zentrum. Besonders mit Blick auf den Globalen Süden wird klar: Der Kampf um die wirtschaftliche Deutungshoheit hat längst begonnen – und er wird nicht nur, aber auch mit Worten geführt.
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