China fällt bei US-Staatsanleihen hinter Großbritannien zurück. Dahinter steckt keine Panik, sondern eine strategische Neuausrichtung – mit Folgen für die Finanzmärkte.
China verkauft US-Staatsanleihen
Im März hat das Vereinigte Königreich China als zweitgrößten Halter von US-Staatsanleihen abgelöst. Laut den aktuellen Daten des US-Finanzministeriums stiegen die britischen Bestände auf 779 Milliarden US-Dollar, während die chinesischen auf 765 Milliarden sanken. Damit steht London erstmals seit dem Jahr 2000 vor Peking in der Rangliste der größten ausländischen Gläubiger der Vereinigten Staaten.
Der Bedeutungszuwachs Großbritanniens in den Statistiken ist vor allem auf die Funktion Londons als globaler Finanzplatz zurückzuführen. Die Käufe und Verwahrungen in London stammen nicht vorrangig von der britischen Regierung, sondern von Banken, Versicherern, Pensionsfonds und Hedgefonds, die US-Staatsanleihen handeln oder in sogenannten Basis-Trades verwenden. Die britischen Zahlen bilden daher in erster Linie die Rolle Londons als Drehscheibe des globalen Kapitalverkehrs ab.
China parkt Anleihen zunehmend in Europa
Im Fall Chinas sieht das Bild differenzierter aus. Seit dem Höchststand im Jahr 2011, als Peking mehr als 1,3 Billionen US-Dollar in US-Staatsanleihen hielt, sind die offiziellen Bestände rückläufig. Der jüngste Rückgang ist Teil einer langfristigen Strategie zur Anpassung der Auslandsreserven. Allerdings weisen Analysten darauf hin, dass die offiziell gemeldeten Zahlen nicht das vollständige Bild zeigen.
Brad Setser, früherer US-Finanzbeamter und heute Analyst beim Council on Foreign Relations, sieht in den Daten vor allem eine Verlagerung der Verwahrung. China halte einen wachsenden Teil seiner US-Vermögenswerte nicht mehr bei US-Kreditinstituten, sondern über Drittstaaten wie Belgien und Luxemburg. Setser betont: „Ich sehe (noch) keine starken Anzeichen für eine Diversifizierung weg vom Dollar in den Jahren 2024 oder 2025.“Ein großer Anteil werde inzwischen über Euroclear und Clearstream abgewickelt.
Damit erscheine dieser Teil der chinesischen Bestände in der US-Statistik als europäisch.
Setser schreibt, dass die wahre Bewegung weniger im Rückzug aus dem Dollar, sondern vielmehr in einer Umschichtung innerhalb des Dollar-Portfolios liegt. China habe seinen Bestand an kurzfristigen US-Treasury Bills deutlich erhöht. Derzeit liegt er bei rund 100 Milliarden US-Dollar, im Vorjahr waren es unter 20 Milliarden. Der Anteil längerfristiger Anleihen sei entsprechend gesunken. Laut Setser spricht diese Entwicklung dafür, dass China die durchschnittliche Laufzeit seiner US-Bestände reduziert habe. Ziel sei es offenbar, im Krisenfall schneller reagieren zu können.
Auch die Schwankung im März relativiert sich bei genauer Betrachtung. Zwar gingen die Bestände im Vergleich zu Februar zurück, lagen aber immer noch über dem Niveau vom Januar. Ein abrupter Strategiewechsel ist nicht erkennbar. Setser schreibt dazu, dass er derzeit keine deutlichen Belege für eine breit angelegte Abkehr Chinas vom Dollar sieht. Vielmehr sei das Portfolio stärker taktisch gesteuert, mit Schwerpunkt auf Flexibilität und kurzfristiger Liquidität.
Erschwerend kommt hinzu, dass die „custodial adjustments“, also die statistischen Korrekturen für Drittstaatenverwahrung, zunehmend an Bedeutung gewinnen. Diese sind jedoch keine exakten Messungen, sondern beruhen auf Annahmen. Die kombinierte Größe der europäischen Verwahrzentren entspricht inzwischen den Beständen Japans. Auch Finanzplätze wie die Cayman Islands oder Frankreich verzeichnen Zuwächse, was zusätzlich für intransparente Besitzstrukturen sorgt.
Schuldenlast bringt US-Finanzstrategie ins Wanken
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen steht die US-Finanzpolitik weiter unter Beobachtung. Moody’s hat zuletzt das AAA-Rating für US-Staatsanleihen gestrichen, womit nun alle drei großen Ratingagenturen auf eine Herabstufung reagiert haben. Als Begründung wurden das wachsende Haushaltsdefizit, die steigende Verschuldung sowie politische Blockaden bei der Haushaltserstellung genannt.
Ein schleichender Rückzug oder eine Veränderung des Anlegerprofils, selbst ohne direkten Ausverkauf, kann die Refinanzierungskosten der USA erhöhen. Die Nachfrage nach US-Staatsanleihen bleibt zwar stabil, ist aber zunehmend auf spekulative oder kurzfristig orientierte Anleger angewiesen. Das Risiko von Volatilität bei den Renditen steigt entsprechend.
Für China bedeutet die veränderte Allokation der Reserven mehr strategische Flexibilität. In einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen – zuletzt durch neue US-Zölle auf chinesische Produkte – sichert sich Peking eine Ausgangsposition, die nicht so leicht unter Druck zu setzen ist. Gleichzeitig wächst der Einfluss chinesischer Staatsbanken im Ausland, etwa durch Finanzierungen und Infrastrukturinvestitionen. Diese Aktivitäten erscheinen nicht in den klassischen US-TIC-Daten, verändern aber langfristig die Kapitalverflechtungen.
Taktischer Umbau statt Abkehr vom US-Dollar
Großbritanniens Aufstieg in der Statistik ist ein technischer Effekt der Londoner Marktstruktur. Chinas Entwicklung spiegelt eine stille, aber gezielte Umstrukturierung der Reserven wider. Von einer echten Abkehr vom Dollar kann derzeit keine Rede sein. Die Bewegung erfolgt schrittweise, mit Fokus auf Flexibilität und Unabhängigkeit. Für die USA bleiben die Zahlen dennoch ein Warnsignal – denn die Stabilität der eigenen Finanzierung hängt immer stärker von Marktmechanismen ab, die sich nicht politisch steuern lassen.
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