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Coronakrise: Wird in Südeuropa weniger gearbeitet als in Nordeuropa?

Die Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat werden einige Kritiker der EU-Rettungspakete gegen die Coronakrise wieder einmal bestätigen und Diskussionen um gemeinsame Schuldenprogramme zur Bekämpfung von Covid-19 anfachen: Die Nordländer in der EU arbeiten länger als der Süden. Es gibt seit jeher dazu Vorurteile, hier die Zahlen der Statistikbehörde.

Der Vergleich Norden versus Süden

Die Übersichten von Eurostat lassen keinen Zweifel daran: Die Lebensarbeitszeit liegt in den nördlichen Staaten Europas durchschnittlich tatsächlich höher als in den südlichen Ländern. Natürlich gibt es hierzu ein paar Sonderfaktoren wie Arbeitslosigkeit und kulturelle Unterschiede (Rolle von Männern und Frauen), die Differenzen sind teilweise aber doch sehr deutlich. Und das dürfte im Rahmen der Rettungsmaßnahmen zur Bewältigung der Coronakrise für Diskussionen sorgen!

Hier eine kleine Übersicht der Lebensarbeitszeiten, zusätzlich aufgeschlüsselt nach Männern und Frauen:

Island 47,8 Jahre Männer – 43,7 Jahre Frauen
Schweiz 44,6 (M) – 40,4 (F)
Niederlande 43,3 (M) – 38,5 (F)
Schweden 42,9 (M) – 38,2 (F)
Dänemark 41,7 (M) – 38,6 (F)
Deutschland 41,1 (M) – 38,1 (F)
Großbritannien 41,5 (M) – 36,9 (F)
Portugal 39,6 (M) – 35,3 (F)
Irland 40,7 (M) – 33,9 (F)
Österreich 39,8 (M) – 33,8 (F)
Frankreich 37,0 (M) – 33,1 (F)
Griechenland 36,6 (M) 30,7 (F)
Spanien 37,4 (M) – 31,6 (F)
Luxemburg 36,0 (M) – 31,6 (F)
Belgien 35,4 (M) – 29,6 (F)
Italien 36,4 (M), 27,3 (F)

Insgesamt betrachtet arbeiten die Deutschen damit derzeit im Schnitt 39,1 Jahre ihres Lebens. Weniger als Schweizer oder Nordländer, aber deutlich länger als Spanier oder Franzosen (35 Jahre), Griechen (33) oder Italiener mit 32 Jahren. Damit verbringen Letztere insgesamt prozentual mit 58 Prozent auch weniger ihrer Lebenszeit aktuell am Arbeitsplatz, auch deshalb, weil sie nach Eurostat derzeit auch noch um eine 2,5 Jahre längere Lebenserwartung haben als Deutsche.

Coronakrise: Der Hemmschuh Arbeitslosigkeit

Italien hat es nicht geschafft, sich nach der Finanzkrise wirtschaftlich zu erholen, schlimmer noch, man dürfte in der jetzigen Rezession infolge der Coronskrise auf den Stand von vor mindestens 20 Jahren zurückfallen. Durch die hohe Arbeitslosigkeit, speziell bei der Jugend, die schon Ende 2019 bei etwa 29 Prozent lag, gibt es auch wenig durchgehende Erwerbsbiogaraphien. Wann gab es in Italien in den letzten 10 Jahren eine Jugend-Arbeitslosenquote unterhalb der 10 Prozentmarke?

Dennoch: Auch wenn Italien ein offizielles Renteneintrittsalter wie Deutschland aufweist, gehen viele Italiener vor diesem Datum in Rente.

Das Problem Arbeitslosigkeit ist natürlich nicht nur auf Italien beschränkt, auch in Spanien und insbesondere Griechenland gibt es permanent Mangel an Jobs, auch unter den gut Ausgebildeten.

Das Sonderthema Wohlstand

Damit kommen wir zu einer Konstellation, die für einige Verwunderung sorgt. Italien hat eine sehr hohe Staatsverschuldung, ein hohe Arbeitslosenrate, aber dennoch ein hohes Volksvermögen. Trotz der großen ökonomischen Schwierigkeiten des letzten Jahrzehnts liegt das Pro-Kopf-Vermögen der Italiener immer noch über dem der deutschen Bürger. Man wohnt auch erheblich öfter in eigenen vier Wänden als der Deutsche, trotz seiner deutlich längeren Lebensarbeitszeit.

Dies ist ein Punkt, den auch Dr. Stelter immer wieder anspricht, in seinem Buch „Das Märchen vom reichen Land“ und zuletzt in seinem Interview in dieser Woche. Wobei wir wieder beim Aufregerthema Hilfsprogramme für die EU-Staaten wären.

Fazit

Es ist wohl das große Zukunftsthema: die Lebensarbeitszeit. In der Phase der Not und der Solidarität infolge der Wirtschaftseinbrüche durch die Coronakrise werden die Unterschiede in den EU-Ländern wieder hochgespült. Der Ruf nach Strukturreformen wird laut bleiben, aber durch den Einsatz der EZB vermutlich wieder verhallen. Aber trotz Coronakrise läuft eine Entwicklung weiter, die alle Staaten betreffen wird, die Zunahme der Lebenserwartung. Ende des 19. Jahrhunderts lag diese auch in Deutschland noch unter 50 Jahren, seit geraumer Zeit steigt sie um 2,5 Jahre pro Jahrzehnt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein nicht unerheblicher Teil der heute geborenen Kinder die Chance hat 100 Jahre alt zu werden. In Deutschland leben bereits über 16.500 Hundertjährige (Zahlen von 2017), im Jahr 2000 waren es noch nicht einmal 6000 und die Zahl soll sich pro Dekade mindestens verdoppeln.

Ruhestand mit 60 und dann 100 werden, das dürfte mit unserem heutigen Vorsorgesystem nicht zu stemmen sein.

Rettung in der Coronakrise und die Frage der Lebensarbeitszeit



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