Indizes

Wirtschaft taumelt - und die Börsen feiern Darum warnen Experten vor Europas paradoxer Aktien-Rallye

Darum warnen Experten vor Europas paradoxer Aktien-Rallye
Aktien-Analyse. Grafik: Ktasimar - Freepik.com

Es scheint paradox: Die Wirtschaft in Europa taumelt und die Makrodaten zeichnen ein düsteres Bild von den konjunkturellen Aussichten, vor allem in Deutschland, der größten Volkswirtschaft im Euroraum, dennoch markieren die europäischen Aktienmärkte, allem voran der Dax neue Rekordstände. Die Hiobsbotschaften mehren sich und die Wirtschaft taumelt. Davon unbeirrt schnellen die Kurse der Aktien immer weiter empor, angetrieben von sinkenden Zinsen der Zentralbanken und einem weitreichenden Stimulus-Paket in China. Ein schwaches wirtschaftliches Umfeld in Europa steht jedoch in krassem Gegensatz zu den Allzeithochs an den Aktienmärkten. Aus diesem Grund warnen die Börsenexperten von Goldman Sachs und BlackRock vor zu viel Euphorie, denn Europas Aktienmarkt-Rallye steht unter keinem guten Stern.

Aktienmärkte vor Widerständen

Die europäischen Aktienmärkte müssen eine Reihe an Hürden überwinden, um ihre Rallye 2024 fortzusetzen, nachdem sie in der abgelaufenen Woche ein weiteres Rekordhoch erreicht haben.

Vermögensverwalter von Goldman Sachs, BlackRock und Northern Trust Asset Management warnen, dass die Anleger auf wachsende Risiken aufgrund der schwachen Konjunktur in der Eurozone und deren Auswirkungen auf die Unternehmensgewinne vorbereitet sein sollten. Die US-Wahlen sorgen für zusätzliche Unsicherheit.

Die Aktienmärkte müssen sich laut den Experten auf ein unbeständiges letztes Quartal einstellen, da eine scheinbar unaufhaltsame Rallye in der ersten Jahreshälfte in den letzten drei Monaten in Schwankungen mit Höhen und Tiefen übergegangen ist. Und obwohl Chinas lang erwartete Stimulierungsmaßnahmen für neuen Schwung sorgen, liegt die Messlatte für bedeutende Gewinne bei den Aktien hoch – wahrscheinlich zu hoch.

Aktien sind „im Moment sehr fragil“, so Helen Jewell, Chief Investment Officer für fundamentale Aktien in Europa, dem Nahen Osten und Afrika bei BlackRock. „Die US-Wahlen sind unglaublich schwer einzuschätzen, und die makroökonomischen Aussichten in der Eurozone sind unsicher. Diese fragilen Aktienmärkte werden anhalten, bis wir einen genaueren Ausblick auf das Jahr 2025 erhalten“, sagt sie.

Kluft zwischen Makrodaten und Aktienkursen

Ein schwaches wirtschaftliches Umfeld in Europa steht in krassem Gegensatz zu einem Allzeithoch der Aktienmärkte der Region. Während die Ängste vor einer globalen Rezession nachgelassen haben, weil die Anleger wieder mehr Vertrauen in das US-Wachstum haben, ist die Wirtschaftstätigkeit im Euroraum in diesem Monat geschrumpft. Zudem prognostizieren führende Wirtschaftsinstitute eine Schrumpfung in Deutschland in diesem Jahr. Damit dürfte die größte Volkswirtschaft der Eurozone das zweite Jahr hintereinander in einer milden Rezession verharren – schon im vergangenen Jahr war das BIP um 0,1 Prozent gefallen.

Aktienmärkte: Große Kluft zwischen Makrodaten und Aktien
Makroindikatoren sind gesunken | Economic Surprise Index ist negativ und die Kluft zu Aktien riesig

In dieser Woche senkte Northern Trust seine Europa-Allokation von „übergewichten“ auf „neutral“ und begründete diesen Schritt mit den besorgniserregenden makroökonomischen Aussichten.

„Die Wirtschaftsdaten sehen ziemlich wackelig aus“, sagte Anwiti Bahuguna, Chief Investment Officer of Global Allocation bei dem 1,2 Billionen Dollar schweren Vermögensverwalter, gegenüber Bloomberg TV. „Die Inflation geht zurück, aber nicht schnell genug, um zu glauben, dass es eine sehr starke Erleichterung an der Zinsfront geben wird. Es ist kein Ort, an dem man derzeit ein großes Risiko eingehen sollte.“

Unternehmensgewinne

Die Gewinne des dritten Quartals, die Mitte Oktober anstehen, werden für die Beurteilung der Auswirkungen des schwächeren Wachstums auf die Verbrauchernachfrage entscheidend sein.

Nach Angaben von Bloomberg Intelligence sind die Erwartungen für die Gesamtjahresgewinne seit Januar um 2,8 % gesunken. Dennoch halten einige Anleger selbst diese Schätzungen für zu hoch, was die Voraussetzungen für weitere Herabstufungen schafft.

In Europa sinken die Gewinne - Hilft das China-Stimulus-Paket?
Europäische Gewinne wurden größtenteils herabgestuft | Die Gewinne des dritten Quartals werden im Mittelpunkt stehen, da die Zweifel an der Wirtschaft wachsen

„Die Positionierung unseres Fonds ist nicht sehr aggressiv“, sagte Nicolas Simar, leitender Aktienfondsmanager bei Goldman Sachs Asset Management. „Kurzfristig gibt es wenig Spielraum für eine wesentliche Verbesserung der Gewinne“.

Simar warnte insbesondere vor den Aussichten für Konsumgüterunternehmen, die von der rückläufigen Nachfrage in Schlüsselmärkten wie China betroffen sind.

US-Wahlen sind ein Unsicherheitsfaktor

Die US-Präsidentschaftswahlen könnten im Falle eines Wahlsiegs von Donald Trump erhebliche Auswirkungen auf die europäischen Gewinne haben.

Der republikanische Kandidat hat pauschale Einfuhrzölle von 10 % und höhere Abgaben auf in China hergestellte Waren vorgeschlagen. Sollte dies zu einem „ausgewachsenen Handelskrieg“ führen, würde dies das regionale Gewinnwachstum im „hohen einstelligen Bereich“ belasten, so die Barclays-Strategen.

Deutsche und italienische Aktien sowie Sektoren für Investitionsgüter, Automobile, Getränke, Technologie und Chemikalien seien am meisten gefährdet.

Die politischen Umwälzungen in Frankreich belasten ebenfalls die Aktienmärkte im Euroraum, wobei Paris in diesem Jahr schlechter abschneidet als die wichtigsten Konkurrenten, da die Anleger das Vertrauen in die Überlebensfähigkeit der neuen Regierung verlieren.

Auch die technischen Indikatoren stellen die europäischen Aktienmärkte auf die Probe. Frühere Höchststände im Stoxx 600 Europe Index haben sich als hartnäckige Widerstandspunkte erwiesen. Der Index war zuletzt viermal in Folge an dem charttechnischen Widerstand gescheitert.

Europäische Aktienmärkten stehen vor großen Hürden, sagen BlackRock und Goldman
Europäische Aktien testen wichtigen Widerstand | Stoxx Europe 600 hat seit Mai keinen größeren Ausbruch mehr geschafft

Aktien steigen wegen China-Effekt

Das Paket von Konjunkturmaßnahmen in China könnte genau das sein, was der Stoxx 600 braucht, um seine Jahresendrallye zu starten, da die Unternehmen etwa 8 % ihrer Einnahmen in dem asiatischen Land erzielen.

Marktstrategen von Barclays und Citigroup sagten, dass Chinas Schritte die Aussichten für so genannte zyklische Aktien – Bergbauunternehmen, Automobilhersteller und zyklische Konsumgüter – aufhellen, die im dritten Quartal größtenteils hinter den defensiven Werten zurückgeblieben waren. Ein Korb, der europäische zyklische Aktien abbildet, stieg in dieser Woche um 3,2 %, während der Indikator für defensive Werte unverändert blieb.

Dennoch waren die Versprechungen eines Aufschwungs in China in der Vergangenheit wenig überzeugend, da die versprochenen Konjunkturmaßnahmen nicht zu einem nennenswerten Aufschwung führten. Während sich die jüngsten Maßnahmen wahrscheinlich längerfristig auf die lokalen Vermögenswerte auswirken werden, sind die Auswirkungen auf den chinesischen Verbraucher in der Zukunft fraglich, so Bahuguna von Northern Trust.

Zyklische Aktien in China und Europa im Gleichschritt
Europäische zyklische Werte bewegen sich im Gleichschritt mit China

Trübe Aussichten

Das macht auch die Aussichten für die europäischen Luxusgüterhersteller trüber. Der Sektor, der bis zu einem Fünftel seines Umsatzes in China erwirtschaftet, hat darunter gelitten, dass der Abschwung die Käufer zu Discount-Marken drängt, und selbst die jüngsten Konjunkturmaßnahmen werden daran vorerst nichts ändern.

Der Stoxx 600 Automobiles & Parts Index verzeichnete in dieser Woche den stärksten Anstieg seit November. Der Sektor ist nach dem Energiesektor der zweitschlechteste in Europa in diesem Jahr und wird teilweise durch die Handelsspannungen zwischen Europa und China im Zusammenhang mit Elektrofahrzeugen belastet.

Gilles Guibout, Leiter für europäische Aktien bei Axa IM in Paris, sagte, dass die Auswirkungen der jüngsten chinesischen Maßnahmen noch abzuwarten seien.

„Es ist noch zu früh, um das jetzt zu sagen“, sagte er. „Aber letztendlich werden die anstehenden Gewinne der Unternehmen den Markttrend bestimmen.“

FMW/Bloomberg



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage