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Das große Paradoxon am deutschen Arbeitsmarkt

FMW-Redaktion

Die Zahl unbesetzter Lehrstellen in Deutschland steigt aktuell auf ein 20 Jahres-Hoch. Die Zahl unbesetzter Arbeitsstellen steigt ganz aktuell laut Bundesagentur für Arbeit auf den Rekordwert von 640.131 Stellen. Gleichzeitig haben wir offiziell 2,74 Mio Arbeitslose (tatsächlich 3,5 Mio). Wenn der deutsche Staat dieses „Gap“ nicht schließen kann, wie will er es dann überhaupt schaffen Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt vermitteln? Ein Überblick…

Offene Stellen
Bei der Bundesagentur von Arbeitgebern gemeldete Stellen, die nicht besetzt werden. Jetzt ein neuer Rekord bei 640.131. Grafik: Bundesagentur für Arbeit

Wir zitieren aus dem jüngst veröffentlichten Berufsbildungsbericht der Bundesregierung:

„Die Zahl der unbesetzten Berufsausbildungsstellen ist 2015 erneut gestiegen. Zum Ende des Ausbildungsjahres 2014/2015 registrierte die Bundesagentur für Arbeit (BA) noch 40.960 unbesetzte Berufsausbildungsstellen, 3.859 (+10,4 %) mehr als im Vorjahr. Seit 2009 hat die Zahl der gemeldeten unbesetzten Berufsausbildungsstellen erheblich zugenommen (2009: 17.255; 2010: 19.605; 2011: 29.689; 2012: 33.274; 2013: 33.738; 2014: 37.101; 2015: 40.960). Zuwächse bei den unbesetzten Berufsausbildungsstellen verzeichneten sowohl Westdeutschland als auch Ostdeutschland (vergleiche Tabelle 1). In Westdeutschland stieg die Zahl der unbesetzten Berufsausbildungsstellen auf 33.411 (+3.050 bzw. +10,0 % verglichen mit 2014, +18.930 bzw. +130,7% verglichen mit 2009). Ostdeutschland verzeichnete einen Anstieg auf 7.482 (+825 bzw. +12,4 % verglichen mit 2014, +4.838 bzw. +183,0 % verglichen mit 2009). Die Ergebnisse zeigen, dass es für viele Betriebe zunehmend schwieriger wird, ihre angebotenen Ausbildungsstellen zu besetzen.9 Dabei gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen
Wirtschaftszweigen und Berufen.“

Auch das Statistische Bundesamt bestätigt, dass in 2015 mit 516.000 Verträgen noch nie so wenig junge Menschen die klassische duale Berufsausbildung angefangen haben. Dies mag eine Folge des Demographiewandels sein. Wir fragen uns: Warum lässt man z.B. 30jährige Langzeitarbeitslose, die aufgrund ihres Alters nicht mehr für eine Berufsausbildung in Frage kommen, nicht einfach zu für eine Berufsausbildung? Ist doch egal, ob jemand 20 oder 30 ist. Die Arbeitslosen sind doch da! Und die freien Lehrstellen auch! Oder könnte ansonsten bitte die Politik offiziell verkünden, dass die Masse der Langzeitarbeitslosen faul ist und keine Lust auf Arbeit & Ausbildung hat? Das wäre mal eine klare Ansage, die WIR so aber nicht unterschreiben könnten.

Die Zahl aller unbesetzter Arbeitsstellen, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind, lag im April auf einem Rekordwert von 640.131 Stellen. Das sind 88.536 mehr als im April 2015. Im März 2016 waren es noch 634.516, im Februar 613.885. Auch der obige Chart zeigt eine jahrelange Entwicklung bergauf. Die Wirtschaft hat also offensichtlich eine enorme Nachfrage nach Arbeitskräften, aber seit Jahren passiert nichts. Die Arbeitslosenquote sinkt indes im Rahmen der normalen Frühjahresbelebung von 6,5% im März auf jetzt 6,3%. Auf die Zahl bitte (worauf wir immer bestehen) 30% draufrechnen, dann kommt man der tatsächlichen Arbeitslosenquote in Deutschland schon ziemlich nahe.

In ersten Modellprojekten beginnen jetzt einzelne Flüchtlinge Berufsausbildungen, dies aber idR ohne jahrelange Schulbildung in Deutschland. Viele sind teilweise erst 2 Jahre in Deutschland. Sie bringen vielleicht Arbeitserfahrung aus ihrer Heimat mit, aber die grundlegenden schulischen Kenntnisse fehlen oft. D.h. in den nächsten Monaten und Jahren werden vermehrt Flüchtlinge in die duale Ausbildung starten ohne grundlegende Kenntnisse wie Deutsch sprechen oder schreiben. Dies muss dann während der laufenden Ausbildung irgendwie nebenbei erlernt werden. Das heißt nichts anders als: Der Standard der Berufsausbildung wird wohl sinken – oder besser gesagt „sinken müssen“, wenn man eine bedeutende Anzahl an jungen Flüchtlingen in Ausbildung bringen will – oder man schickt als Alternative hunderttausende junge Menschen im Alter von 16, 18 oder 20 Jahren erst mal noch jahrelang in die Schule für einen regulären Haupt- oder Realschulabschluss. Haben sie die Zeit dazu, haben die Lehrbetriebe die Zeit dazu, kann der deutsche Staat so viel Zeit aufbringen, oder will er das überhaupt?

Kommen wir zum wichtigsten Teil des Paradoxons, nochmal zusammengefasst. 2,74 Millionen Arbeitslose (tatsächlich eher 3,56 Mio) sind vorhanden, gleichzeitig aber 640.131 offene Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Bereits letzten Monat hat die Bundesagentur ausdrücklich darauf hingewiesen, dass derzeit die größte Nachfrage nach Arbeitskräften vorherrscht bei einfachen Tätigkeiten wie z.B. dem Wachschutz in Flüchtlingseinrichtungen, für die man sicher keine 3jährige Berufsausbildung benötigt. Warum also, so die alles entscheidende Frage, gibt es bei so vielen Arbeitslosen und offensichtlich massenweise Angeboten an einfachen Tätigkeiten Monat für Monat immer mehr Stellen, die angeboten aber nicht besetzt werden? Wir hatten diese Thematik vor einem Monat in ähnlicher Form schon einmal angesprochen, aber das Paradoxon wird größer, und aufgrund des Angebots einfacher Tätigkeiten ist die Frage nicht geklärt, warum diese Stellen nicht mit bereits vorhandenen Langzeitarbeitslosen besetzt werden können.

Wir vermuten mal: Der Hauptgrund wird in der Unfähigkeit der Behörde liegen „Angebot und Nachfrage“ zusammenzubringen. Vielleicht holt man sich ein paar gute Ratschläge bei Börsianern, denn die wissen, wie man Angebot und Nachfrage am besten zusammenführt. Denn am Ende steht eine Transaktion, ein Geschäftsabschluss. Und genau das wollen doch eigentlich (?) alle, eine Jobvermittlung, und alle sind zufrieden…




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5 Kommentare

  1. „Wir vermuten mal: Der Hauptgrund wird in der Unfähigkeit der Behörde liegen „Angebot und Nachfrage“ zusammenzubringen. “

    Da wird was dran sein.
    Und ansonsten: Ich zähle mich seit geraumer Zeit nicht mehr zu den deutschen Schlafschafen und bin mir bewusst geworden, dass wir bei den verschiedensten Themen krass hinters Licht geführt werden, um nicht zu sagen belogen werden.
    Warum sollte das also bei den Arbeitsmarktstatistiken nicht auch so sein?
    Ist wahrscheinlich einzureihen in den „Lügenkomplex Fachkräftemangel“.

  2. Wie war das damals mit den Green-card-Indern?Erst wollten Sie nicht,dann kamen einige,dann wurde das zärtliche Pflänzchen Aufschwung schon wieder zertreten!Von den Gewekschaften,sagen immer die Arbeitgeber!Bei uns in AB ist davon zumindest ein Tadsch-Mahal-Restaurant übriggeblieben!

  3. Nein, der wahre Grund ist, dass wir uns mit Hartz4 und Mindestlohn ein Sozialsystem leisten welche in direktem Wettbewerb zu den offenen bzw. zu besetzenden Stellen im Niedriglohnbereich stehen! Es „lohnt“ sich für diese Gruppen nicht wirklich arbeiten zu gehen – ganz einfach.

  4. An die Redaktion:
    Ich nehme zwar an, dass ich ein klein bisschen in der Lage bin,
    manche Ungereimtheiten bruchstückhaft zu erkennen. Aber es tut immer wieder gut zu sehen, wie Sie regelmäßig auf solche Themen aufmerksam machen.
    Danke

    @Wolfgang Koch
    Wenigstens mal etwas Positives, wenn es auch nur ein kleiner Lichtblick ist.

  5. Hallo! Darf ich einen Teil des Geheimnisses lüften:

    1. zunächst mal zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit — Bewacherberufe dieser Art benötigen eine spezielle Qualifikation , eine Art Gewerbeschein, außerdem hat DE daraus tatsächlich auch eine 3jährige duale Ausbildung schon gemacht, es reicht aber ein $ X Schein der IHK, aber diese Quali fehlte einigen Asylbewachern, was wieder zu Problemen führte, Skandale in Zeitungen z.B. war das

    2. das duale Ausbildungswesen kennt keine Erwachsenenausbildung , wird nur als Jugendausbildung verstanden – daher keine Ausbildung Älterer, dann müsste man es wie im Ausland stärker von den Betrieben wegentwickeln und entkoppeln, denn die wollen immer Frischfleisch sozusagen haben, Erstausbildung, leicht formbar… jung, flexibel, anspruchslos….

    3. sollte DE sich mal stärker überlegen, wie man den Niedriglohnsektor leert, da einfacharbeit für Flüchtlinge ohne Schulabschluss benötigt wird, folglich müssen jene im Niedriglohnsektor nun weiter qualifiziert werden, womit DE sich aber schwer tun wird, da 25% im Niedriglohnsektor festhängen…

    4. ist das dualsystem viel zu unflexibel, daher kommt evtl. der Fachkräftemangel, es wird z.B. viel Verkauf/Büro ausgebildet, also eher billige Berufe, aber in Hochwertigen ist Ausbildung eben zu teuer, so kommt es später dann zu den Problemen, z.B. gibt es massenhaft arbeitslose Verkäufer und Büro-X, zeitgleich sind das aber die meisten Ausbildungsstellen!!! Also auch am Bedarf vorbei qualifizieren

    5. in Warteschleifen und Übergangssystem parken noch 260 000 Jugendliche ohne Ausbildung

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