Der deutsche Aktienmarkt könnte vor turbulenten Zeiten stehen. Während sich der DAX nur knapp unter seinen Rekordständen bewegt, wächst die Skepsis unter Anlegern. Die hohen Bewertungen vieler Aktien werfen die Frage auf, ob die Kursrallye tatsächlich von nachhaltigem Gewinnwachstum getragen wird – oder ob der Markt einer gefährlichen Überhitzung entgegensteuert.
Der DAX ist inzwischen „teuer“
Die Bewertungen deutscher Aktien haben das historische Durchschnittsniveau weit überschritten. Einige Anleger sind daher der Meinung, dass sich die massiven Konjunkturmaßnahmen in den Unternehmensgewinnen niederschlagen müssen, bevor die Rekordrallye des DAX neuen Schwung gewinnen kann.
Der deutsche Leitindex DAX ist in diesem Jahr um 21 % gestiegen, nachdem Bundeskanzler Friedrich Merz Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben in Höhe von Hunderten von Milliarden Euro versprochen hatte. Der Referenzindex wird derzeit mit dem 16-fachen des erwarteten Gewinns gehandelt. Das liegt über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre von 13 und stellt fast den höchsten Aufschlag gegenüber europäischen Vergleichswerten seit 2009 dar.

„Ich bin vorsichtig gegenüber der Neubewertung, die in ganz Deutschland stattgefunden hat”, sagte Will McIntosh-Whyte, Fondsmanager bei Rathbones Asset Management. Er hat die rasanten Kursgewinne im DAX genutzt, um Gewinne mitzunehmen. Die Gefahr, wie er es ausdrückt, bestehe nun darin, dass die Bewertungen einen übertriebenen Optimismus hinsichtlich des Gewinnwachstums widerspiegeln.
Analysten erwarten, dass der Gewinn pro Aktie der DAX-Mitglieder bis 2025 um etwa 4 % steigen wird. Laut Daten von Bloomberg Intelligence liegt dies weit über dem Wert aller anderen westeuropäischen Referenzindizes. Die Outperformance dürfte sich im nächsten Jahr mit einem Gewinnanstieg von 14 % fortsetzen und damit sogar die Prognosen für den S&P 500 übertreffen.
Der DAX übertrifft sie alle
In diesem Jahr hat der DAX sowohl den paneuropäischen Stoxx Europe 600 als auch den S&P 500 hinter sich gelassen und mehrere Rekordhöhen erreicht. Dieser Aufschwung ist größtenteils auf vier Aktien zurückzuführen. Das Rüstungsunternehmen Rheinmetall AG, der Industriegigant Siemens AG, der Versicherer Allianz SE und die Deutsche Bank AG sind für etwa die Hälfte der Gewinne verantwortlich. Knapp außerhalb dieser Gruppe verzeichnete der Zementhersteller Heidelberg Materials AG einen Anstieg von mehr als 70 %.
„Die Aktienkurse mehrerer Unternehmen im DAX sind wahllos gestiegen, obwohl sie nur begrenzt in Deutschland engagiert sind”, sagte Marcel Stötzel, Portfoliomanager bei Fidelity International. „Beispielsweise erzielen Heidelberg Materials und Siemens nur einen kleinen Teil ihrer Umsätze im Inland. Es besteht das Risiko, dass diese Unternehmen geringere Gewinne erzielen als vom Aktienmarkt erwartet, wenn ein Konjunkturimpuls bereits eingepreist ist.“
Es gibt zunehmend Anzeichen dafür, dass die DAX-Bullen ihre Begeisterung gedämpft haben. Der Aufschwung ist seit Anfang Juni weitgehend ins Stocken geraten, da die Anleger neue Impulse, wie den Nachweis eines realen Gewinnwachstums, suchen. Seit Wochen bewegt sich der Index in einer Seitwärtsrange zwischen 24.000 und 24.500 Punkten, die er aktuell nach unten aufzulösen versucht.
Besser auf den MDAX setzen?
Die jüngste Umfrage von Bloomberg unter Strategen ergab, dass diese bis zum Jahresende einen Rückgang des DAX um 0,8 % auf durchschnittlich 23.854 Punkte erwarten. Das Team der Deutschen Bank ist mit einer Prognose von 26.000 Punkten am optimistischsten. Es schränkt jedoch ein, dass es den MDAX-Index für Mid-Cap-Aktien bevorzugt und sich vor allem für Unternehmen mit hoher Deutschland-Exposure begeistert, die direkt von den Konjunkturmaßnahmen profitieren dürften.
„Auch wenn dies wie eine nicht nachhaltige Rallye erscheinen mag, ist es doch nur der Beginn einer längeren Aufholjagd“, sagte Maximilian Uleer, Stratege bei der Deutschen Bank, über die Outperformance von Aktien, die eher auf den Binnenmarkt ausgerichtet sind. „Die Rallye könnte jedoch eine Pause einlegen, bis wir eine erste Bestätigung dafür haben, dass die deutschen Staatsausgaben zu mehr Geschäft für diese Unternehmen führen.“ Ein Anstieg der Aufträge könnte laut Uleer beispielsweise im vierten Quartal eintreten.
Stephan Bauer von Metzler Capital Markets erwartet ebenfalls, dass die Konjunkturmaßnahmen einen großen Einfluss auf kleinere und mittlere Aktien am deutschen Aktienmarkt haben werden, da diese einen höheren Anteil ihres Umsatzes im Inland erzielen als DAX-Unternehmen. Er geht davon aus, dass diese Gruppe im nächsten Jahr und im Jahr 2027 ein EPS-Wachstum von mehr als 20 % erzielen wird.
Erhöhte Vorsicht und Diversifikation
Dennoch birgt es Risiken, in Erwartung einer Flut staatlicher Investitionen auf Aktien zu setzen.
Die Regierung hat für die nächsten zwölf Jahre Ausgaben in Höhe von bis zu 500 Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte vorgesehen. Skeptiker vermuten jedoch, dass ein Teil dieser Gelder eher als Ersatz für die Haushalte der Bundesländer verwendet werden könnte, anstatt zusätzliche Investitionen anzukurbeln.
Und obwohl Infrastruktur in diesem Jahr ein wichtiges Thema für Anleger war, macht die Unsicherheit darüber, wie die Ausgaben letztendlich verteilt werden, eine Vorhersage ihrer Auswirkungen auf die Gewinne schwieriger. Es könnte sich lohnen, internationaler zu investieren.
„Kleine und mittelständische Unternehmen sind nach wie vor anfälliger für wirtschaftliche Veränderungen im Inland“, sagte Ulrich Urbahn, Leiter der Multi-Asset-Strategie und des Researchs bei Berenberg. Angesichts der hohen Bewertungen in einigen Sektoren und der Abhängigkeit von inländischen Konjunkturmaßnahmen seien derzeit erhöhte Vorsicht und eine selektive Positionierung ratsam. Aktien von Unternehmen mit größerer Marktkapitalisierung und breiterer globaler Präsenz sind aufgrund ihrer diversifizierten Einnahmen möglicherweise weniger risikobehaftet.“
Teure Rüstungsaktien
DAX-Mitglieder erzielen über 80 % ihrer Umsätze außerhalb Deutschlands. Auch das kann sich jedoch als zweischneidiges Schwert erweisen. Jede Schwäche des globalen Wachstums könnte die Gewinne von Exporteuren, wie dem aktuell angeschlagenen Automobilsektor, beeinträchtigen.
„Wir bevorzugen derzeit die USA und Asien gegenüber Europa, da wir uns über die überhöhten Bewertungen im Verteidigungssektor Sorgen machen“, sagte Haig Bathgate, Chief Executive Officer von Callanish Capital. „Außerdem sind wir besorgt über das Wirtschaftswachstum, das sich offensichtlich negativ auf mittelständische und kleine Unternehmen auswirken würde.“
Es gibt einen weiteren Grund zur Vorsicht gegenüber dem hoch bewerteten deutschen Verteidigungssektor: Die Anleger warten darauf, dass die Auftragsbücher ihren Optimismus einholen. Ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine würde zudem Zweifel an weiteren Kursgewinnen dieser Aktien nach ihrer starken Rallye aufkommen lassen.
„Gewinnüberraschungen werden immer unwahrscheinlicher“, sagte Bauer von Metzler. „Wir sehen weiterhin Aufwärtspotenzial für diese Aktien, vorausgesetzt, die Unternehmen liefern konsequent die erwarteten Verbesserungen.“
FMW/Bloomberg
Kommentare lesen und schreiben, hier klicken