Die Nuklearmächte Indien und Pakistan geraten zunehmend in eine Eskalationsspirale.
Zwei Wochen nach einem tödlichen Angriff auf Touristen in der Region Kaschmir am 22. April hat Indien bekanntgegeben, eine “präzise und zurückhaltende” Reaktion auf sogenannte “Terrorlager” im benachbarten Pakistan durchgeführt zu haben. Pakistan erklärte wiederum, in einer Vergeltungsaktion fünf indische Jets abgeschossen zu haben.
Dieser Konflikt dürfte für jeden, der mit der Geschichte der Beziehungen zwischen Indien und Pakistan vertraut ist, keine große Überraschung sein, wie Bloomberg berichtet.
Der Indien-Pakistan-Konflikt: Der Beginn
Sein Ursprung liegt im Jahr 1947 — als aus dem vormaligen Britisch-Indien in einer gewaltsamen und blutigen Teilung Indien und Pakistan wurden.
Seitdem liegen die beiden Länder im Streit und die Spannungen eskalierten gelegentlich in bewaffnete Konflikte. Im Mittelpunkt dessen steht Kaschmir — ein Gebiet im Himalaya, das beide Länder in seiner Gesamtheit für sich beanspruchen, während sie jeweils nur Teile davon regieren.
Warum misstrauen sich Indien und Pakistan?
Bei der Unabhängigkeit wurden die Länder entlang religiöser Grenzen geteilt. Pakistan wurde überwiegend muslimisch, während sich Indien für eine säkulare Demokratie für seine überwiegend hinduistische Bevölkerung entschied. Die von den Briten gezogenen neuen Grenzen entwurzelten fast 14 Millionen Menschen und führten zu religiös motivierten Gewalttaten, bei denen bis zu eine Million Menschen ums Leben kamen.
Seitdem haben die beiden Länder Kriege geführt — zwei davon um Kaschmir, dazwischen gab es zahlreiche Gefechte. Pakistans Führung betrachtet Indien seit der Teilung als existenzielle Bedrohung. Manche glauben, Indien hege immer noch Hoffnung, die Teilung rückgängig zu machen.
Indische Geheimdienste bringen eine Reihe von Terroranschlägen zwischen 2001 und 2019 mit Pakistan in Verbindung. Der ehemalige pakistanische Premierminister Imran Khan kündigte an, militante Gruppen einzudämmen, scheiterte jedoch. Die zivile Staatsführung hat wenig Einfluss auf die Außen- und Sicherheitspolitik, die weitgehend der Armee und dem zentralen Geheimdienst Inter-Services Intelligence vorbehalten ist.
Spannungen in Kaschmir eskalieren
Was ist das Besondere an Kaschmir? Zum Zeitpunkt der Teilung warben Indien und Pakistan um die verschiedenen Königreiche des Subkontinents (die nur indirekt von den Briten regiert wurden), sich ihren jungen Nationen anzuschließen. Der hinduistische Herrscher des mehrheitlich muslimischen indischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir — einer Region von etwa der Größe Großbritanniens mit heute rund 12 Millionen Einwohnern — zögerte. Pakistan unterstützte eine Invasion durch irreguläre Kämpfer, Indien intervenierte und die beiden Länder kämpften bis zur Pattsituation.
Heute stehen sie sich entlang einer 740 Kilometer langen De-facto-Grenze gegenüber, die als Kontrolllinie bekannt ist und zu den am stärksten militarisierten Zonen der Welt gehört. Zu der Region gehören auch zwei Gebiete, die von China kontrolliert und von Indien beansprucht werden.
Neu-Delhi wirft Islamabad vor, militante Kämpfer in Kaschmir zu unterstützen. Pakistan hingegen behauptet, die indische Regierung misshandle die Muslime in Kaschmir, und bezeichnet die militanten Kämpfer als Freiheitskämpfer. Die indische Regierung aber erklärt, dass sie vom pakistanischen Militär ausgebildet seien und finanziert würden und dass ihre Anführer weiterhin frei in Pakistan leben.
Im Jahr 2019 verschärfte Neu-Delhi seine Kontrolle über Kaschmir, indem es Verfassungsgarantien aufhob und zahlreiche zusätzliche Soldaten in die Region entsandte. In den letzten Jahren ist das für seine dramatischen Berglandschaften und üppigen Täler bekannte Gebiet wieder bei Touristen beliebt geworden.
Was ändert sich durch den Anschlag vom 22. April?
Indien fuhr seine diplomatischen Beziehungen zu Pakistan innerhalb von 14 Stunden nach dem Anschlag herunter, während Pakistan indischen Flugzeugen den Zugang zu seinem Luftraum untersagte und den grenzüberschreitenden Handel einstellte.
Die Schließung des pakistanischen Luftraums zwingt indische Fluggesellschaften zu stundenlangen Umwegen für Flüge in Richtung Westen, was ihre Betriebskosten erhöht. Die Aussetzung des Handels mit Indien dürfte jedoch kaum Auswirkungen haben, da dieser ohnehin relativ gering war: Nach Angaben des Handelsministeriums in Neu-Delhi importierte Indien im Fiskaljahr 2023/24 Produkte im Wert von 2,88 Millionen Dollar (2,54 Millionen Euro) aus Pakistan. Die Exporte in das Nachbarland beliefen sich dagegen auf insgesamt 1,2 Milliarden Dollar. Die Besucherzahlen in Kaschmir dürften derweil zurückgehen.
Besorgniserregender ist, dass Indien ein wichtiges Abkommen zur Wasseraufteilung — den Indus-Wasservertrag — ausgesetzt hat, was langfristig schwerwiegende Folgen für Pakistan haben könnte.
Was ist der Indus-Wasservertrag?
Der Vertrag regelt die Verteilung des Wassers aus sechs Flüssen, die aus dem Himalaya fließen und wichtige Quellen für die Bewässerung fruchtbarer Böden in beiden Ländern sowie für die Stromerzeugung sind. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis er in den 1960er Jahren unter Vermittlung der Weltbank formalisiert wurde. Der Vertrag gewährt beiden Ländern die Nutzung von jeweils drei Flüssen und enthält eine detaillierte Karte, aus der hervorgeht, wie jedes Land die Ressourcen des anderen nutzen darf und wie nicht.
Laut Muhammad Khalid Idrees Rana, Sprecher der pakistanischen Indus River System Authority, sank die Wassermenge nach der Ankündigung Indiens, den Vertrag auszusetzen, um fast 90% unter die übliche Menge, die nach Pakistan fließt. Eine langfristige Umleitung des Wassers könnte die Landwirtschaft im Norden Pakistans zerstören.
Die Möglichkeiten Neu-Delhis, das Wasser umzuleiten, sind derzeit begrenzt, da die erforderliche Infrastruktur fehlt. Mit der Aussetzung des Vertrags könnte Indien jedoch kleinere Projekte am Flussufer realisieren, die sonst der Zustimmung Pakistans bedürften. Um die Wasserzufuhr nach Pakistan stärker zu beeinträchtigen, müsste Indien Milliarden Dollar in den Ausbau seiner Speicherkapazitäten investieren.
Der Vertrag sei nach Angaben Pakistans verbindlich und man reagiere mit “aller Härte” auf Verstöße. Im Falle eines Streits oder Vertragsbruchs können beide Länder externe Vermittler, einen “neutralen Experten” oder ein Schiedsgericht hinzuziehen.
Pakistan ist auf Wasser aus Indus-Flusssystem angewiesen
Könnten Indien und Pakistan also wirklich wieder in den Krieg ziehen?
Ein umfassender Krieg an mehreren Fronten würde mit jahrzehntelangen Präzedenzfällen brechen. Die Regierungen beider Länder sind sich der Gefahren einer Eskalation bewusst. Zudem haben die Weltmächte sie in der Vergangenheit davon überzeugt, von Feindseligkeiten Abstand zu nehmen, da sie sich des Risikos bewusst sind, dass beide Seiten zu ihren Atomwaffen greifen könnten.
In den Kriegen von 1947 und 1965 wurden Tausende Menschen getötet. Seitdem blieben die Konflikte eher begrenzt. Die Kämpfe in der Region Kargil in Kaschmir endeten 1999 nach knapp drei Monaten, nachdem die USA intensiven Druck auf Pakistan ausgeübt und mit der Streichung von Krediten des Internationalen Währungsfonds für Islamabad gedroht hatten.
Die Auseinandersetzungen der letzten Jahre waren sogar noch kurzlebiger. Im Jahr 2019 flog Indien erstmals seit Jahrzehnten Luftangriffe innerhalb der pakistanischen Grenzen — doch selbst nach einem Luftkampf konnten beide Länder die Spannungen rasch entschärfen.
Wie stehen die Aussichten für eine Versöhnung zwischen Indien und Pakistan?
Eine substanziellere Annäherung erscheint unwahrscheinlich. Unter der Führung des hindu-nationalistischen Premierministers Narendra Modi hat Indien seine Haltung gegenüber Pakistan verschärft und erklärt, Friedensgespräche nur dann aufzunehmen, wenn Pakistan gegen militante Gruppen innerhalb seiner Grenzen vorgeht, die die Sicherheit Indiens bedrohen.
Selbst wenn Pakistans Zivilregierung die Feindseligkeiten begraben wollte, müsste sie zunächst das Militär überzeugen. Dieses hatte solche Schritte bisher konsequent abgelehnt. Das pakistanische Militär hatte in der Vergangenheit angedeutet, den Transit durch den Norden des Landes von Afghanistan und Zentralasien nach Indien zu gestatten, zog dieses Angebot jedoch zurück, nachdem Modi 2019 die Verfassungsgarantien für Kaschmir aufgehoben hatte. Seitdem hat Pakistan erklärt, dass Friedensgespräche erst nach einer Rücknahme dieser Entscheidung stattfinden könnten.
Die strategische Pattsituation zwischen den USA und China könnte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die Motivation zur Verbesserung der Beziehungen nachgelassen hat. In den letzten Jahren hat sich Indien den USA angenähert. Pakistan hingegen — historisch gesehen ein Partner Washingtons in Sicherheitsfragen – hat sich in Richtung Peking orientiert, nachdem China im Rahmen seiner Belt-and-Road-Initiative (BRI) Milliarden in die Infrastruktur des Landes investiert hat.
FMW/Bloomberg
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Außenminister Seyed Abbas Araghchi besucht aktuell Indien in Sachen bilaterale Themen sowie regionale und internationale Entwicklungen./Quelle: irna.ir.
Der 47. US-Präsident Donald John Trump meldet einen Waffenstillstand. In der Tagesschau am 10.05.25 heißt es, es gebe Meldungen, wonach Pakistan gegen die Waffenruhe verstößt.