Ist ein Notenbanker in Amt und Würden, kann er sich quasi zu gar nichts äußern. Das gebietet seine Funktion als „Hüter von Stabilität und Geld“. Selbst zu Geldpolitik, Währungskursen und Inflation äußern sich Notenbanker stets nur extrem verschachtelt, zurückhaltend und allgemein. Bloß keine klaren Meinungen, bloß nie zu sehr auf etwas festlegen. Das gilt für Mario Draghi, und natürlich auch für seine Nummer 2, den Vize-Präsidenten der EZB Vitor Constancio.
Er ist aber Ende Mai aus seinem Amt bei der EZB ausgeschieden. Dieses Tätigkeitsende scheint eine Art große Erleichterung für Vitor Constancio zu sein. Endlich kann er seine Meinungen frei äußern, egal zu welchem Thema. Und wie Donald Trump auch, macht er davon Gebrauch den Kurznachrichtendienst Twitter fleißig zu nutzen. Bis Ende Mai gab es nur drei kurze Tweets. Seit Anfang Juni gab es 74 neue Tweets.
Vorab muss man eines beachten: Es handelt sich hierbei nicht um ein verifiziertes Twitter-Account. Also kann man nicht mit 100% Sicherheit sagen, dass Vitor Constancio auch wirklich selbst hinter diesen Tweets steht. Aber die Tatsache, dass noch keine Dementis folgten, und dass Branchenbeobachter die Tweets für authentisch halten, deuten doch auf die Echtheit des Kontos hin. Auch gibt es keine auffälligen, satirischen oder beleidigenden Tweets, die ein Fake-Account-Betreiber posten würde. Schauen wir mal, was er bisher so alles dachte, aber als EZB-Vize nicht sagen konnte oder wollte. Hier die interessantesten Tweets.
Da wäre zum Beispiel die Idee, dass alle Bürger direkt bei der jeweiligen Notenbank ein Konto haben. Das wäre der Tod für die Gewinnmargen der Geschäftsbanken! Aber Constâncio meint, dass man darüber diskutieren müsse.
Sandbu (from the FT) now favours a 100% reserve banking system and central bank deposit accounts for all citizens with no IT glitches and with full "electronic transfer and debit card facilities" ( no need for private bank deposits) Is this becoming serious? Needs a full debate
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 4, 2018
Das italienische Wirtschaftswachstum sei schon seit Jahrzehnten schwach. Auch schon vor dem Euro-Eintritt habe es nicht gut ausgesehen.
Indeed, Italy’s growth has been relatively weak for several decades and long before the euro. After decades of strong performance after the II WW this is a mystery that my italian friends have been unable to explain to me. https://t.co/k8jq0INk1E
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 9, 2018
Den ESM solle man nicht stärken, wenn seine Entscheidungen letztlich weiterhin im deutschen Bundestag gefällt werden. Ohhhhh, würde so jemals ein amtierender Notenbanker reden? Aber nein, das ist er ja nun nicht mehr.
Great https://t.co/Gh03dEdktM ebook on redesigning the Institutions of European https://t.co/QgrVJsFbj8.
Much to agree with and several disagreements, e.g. no strengthening of the ESM if it remains intergovernamental with all major decisions taken ultimately in the Bundestag— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 13, 2018
Im Vergleich zu dem Bitcoin – oder Tulpen-Crash sei der Börsencrash von 1929 nun ein winziger Klacks gewesen. Zumindest kann man seine Meinung daraus ableiten, dass er diesen Chart postet.
The greatest folly around what non-economists techno-fanatics considered as a “currency” . A chart by Bank of America Merrill Lynch. pic.twitter.com/0oXaN5jnwp
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 15, 2018
Die Krise der Emerging Markets prallt gegen die Zinsanhebungen der US-Notenbank.
EM crisis clashes with Fed hawkishness https://t.co/TYgiwsaW1G via @financialtimes
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 18, 2018
Constancio regt sich massiv darüber auf, dass öffentliche Investitionen in Europa in den letzten Jahren sogar rückläufig sind, obwohl die Staaten sich zu Negativrenditen verschulden könnten.
Negative net public investment 2013-17 – at a time when the government could borrow at negative nominal rates! Seems one of the most shortsighted fiscal policies I have seen anywhere in a long time. Stunning. https://t.co/aWZMc1MY7E
— Erik Fossing Nielsen (@ErikFossing) June 19, 2018
Constancio retweetet den DIW-Chef Fratzscher, der dem Nobelpreisträger Stiglitz widerspricht. Denn anders als Stiglitz es sage, würde Italien durch einen Euro-Austritt nicht profitieren. Noch gebe es eine Lähmung bei EU-Reformen, und Deutschland sei auch nicht der Teufel.
Dear @JosephEStiglitz , you are wrong: neither will Italy benefit from exiting the euro, nor is there EU reform paralysis (esp. vs US), nor is Germany the devil.
Euro reforms require a sensible balance of risk sharing & reduction, solidarity & rules.https://t.co/i0j9QzWILs #in— Marcel Fratzscher (@MFratzscher) June 17, 2018
Es gebe keine Brexit-Dividende für die Briten. Constancio verweist auf eine Studie, dass der Brexit die Briten viel Geld kosten werde, und das schon vor dem Start des Brexit.
There is no ‘Brexit dividend’. According to new CER analysis, Brexit is now damaging the public finances by £440 million a week. https://t.co/QLXRRClEB3 via @cer_eu
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 23, 2018
The FT, averaging estimates, shows the loss so far is £469 million per week. Industry warnings ( not just Airbus) about divesting in the UK, indicate that the losses will continue to increase. That is the devastation of nationalistic populism. https://t.co/RcpJqwM12u
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 24, 2018
Inspiriert durch Donald Trump könne die Welt sich auf den Weg zurück in die 1930er-Jahre machen.
Inspired by Trump, the world could be heading back to the 1930s | Jonathan Freedland https://t.co/4Ky0TFlhQS
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 23, 2018
Constancio retweetet der Unicredit-Chefvolkswirt mit seiner Meinung, dass 95% der EU-Bürger seit Euro-Einführung mehr Einkommenszuwachs hatten als 95% der US-Bürger.
Mindbogglingly wrong to call euro a tragedy. What type of counterfactual do you have in mind?
95% of the Eurozone population have had stronger income growth than 95% of the US population since the euro’s birth. Apart from the richest 5%, who would have been better off elsewhere? https://t.co/DobAeX9MhN— Erik Fossing Nielsen (@ErikFossing) June 22, 2018
Er freut sich über die Ankerkennung durch die BIS (unser Artikel dazu hier) für die „Leistung“ der Notenbanken zur Stützung der Konjunktur.
Nice quote of recognition from the new BIS chief:“The historically low, even negative, interest rates and exceptionally large central bank balance sheets..have provided.. support for the global economy and contributed to the gradual convergence of inflation towards objectives“ https://t.co/nPwdbbGDhX
— Vitor Constâncio (@VMRConstancio) June 24, 2018
Vitor Constancio. Foto: Chatham House / Wikipedia (CC BY 2.0)
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Aber da war doch nun auch nichts kontroverses bei.