In den letzten Tagen rückt eine vorher weitgehend unbekannte deutsche Firma in den Fokus: Drägerwerk mit Sitz in Lübeck. In Zeiten von Covid-19 gibt es durch die Störung von Lieferketten und den staatlich verordneten Lockdown eigentlich nur Verlierer. Eigentlich, denn es gibt auch Gewinner, die die Gesellschaft braucht, weil sie dringend benötigtes Gerät produzieren. Wie zum Beispiel eben die Lübecker Firma Drägerwerk, der deutsche Produzent von Beatmungsgeräten. Ein Interview mit dem Vorstandschef des Unternehmens, Stefan Dräger, gibt ein wenig Einblick in die aktuelle Lage.
Die Beurteilung der Lage durch den Vorstand von Drägerwerk
Der Vorstand der Firma Drägerwerk, Stefan Dröger, ist derzeit ein gefragter Mann. Nicht erst seit bekannt wurde, dass die Bundesregierung 10.000 Beatmungsgeräte bei einem der weltweit wichtigsten Hersteller für diese lebenswichtigen Geräte aus der Intensiv- und Notfallmedizin bestellt hat.
In allen Medien wurde berichtet, dass es insbesondere in Norditalien durch das Fehlen von Beatmungsgeräten zu extremen Entscheidungen der Mediziner gekommen war, bei welchem Patienten man mit welcher Überlebenschance die zu wenigen lebenserhaltenden Beatmungsgeräte einsetzen musste.
Der Run auf die Produkte der Firma begann aber schon im Januar. Hierzu der Verstandschef Stefan Dräger: „Bei den Atemschutzmasken zog die Nachfrage im Januar exponentiell an, wobei die aber nur einen kleinen Teil unseres Umsatzes ausmachen. Bei den Beatmungsgeräten, die die deutlich stärkere Sparte darstellen, ging es dann im Februar richtig los. Zu diesem Zeitpunkt lagen aus China schon so viele Bestellungen vor wie wir sie sonst im ganzen Jahr haben. Wir haben dann die Produktion verdoppelt.“
Bei der Frage nach dem weltweiten Bedarf für diese Produkte antwortete Stefan Dräger in dem Interview mit der Welt: „Allein bei den Beatmungsgeräten übersteigt die Nachfrage das weltweite Angebot derzeit um das Zehnfache. Bei den Schutzmasken um das 100-fache.“
Während man in Deutschland bis vor Kurzem über 28.000 einsatzfähige Beatmungsgeräte und eine entsprechende Kapazität an Notfallbetten in den Krankenhäusern verfügte, sind es in Italien nur 10.000 und in Großbritannien 8000.
Die Firma Drägerwerk wird mit Anfragen aus aller Welt überhäuft. Dabei sei es gar nicht so einfach eine Entscheidung zu fällen, welches Land den Zuschlag der begrenzten Gerätschaften bekommen soll – vor allem aus menschlicher Sicht. Besondere Sorge bereiten dem studierten Elektrotechniker die USA ausgerechnet die führende Wirtschaftsnation der Welt. Dort gebe es bei dem dramatischen Anstieg von Infektionen Anschaffungsaufträge von 100.000 Geräte, dies sei aber schätzungsweise die Kapazität aller Hersteller weltweit für ein gesamtes Jahr. Anders als bei Atemmasken könne man nicht einfach andere Produzenten wie Automobilhersteller rasch mit der Lieferung der komplizierten Beatmungsgeräte beauftragen. Dräger habe mit dem Produktionsvorstand von Daimler gesprochen. Alleine die Umstellung der Produktion würde Monate dauern.
Da kann man ja einmal gespannt sein, ob es Donald Trumps Einsatz mittels Notgesetzen schafft, den US-Mobilhersteller General Motors bereits bis Ende April dazu zu bringen, diese notwendigen Geräte zu produzieren und an die Krankenhäuser auszuliefern.
Die Lage in Deutschland
Deutschland ist zunächst einmal mit 28.000 einsatzfähigen Geräten (noch) gut positioniert und die Lieferung der bestellten 10.000 Geräte würde über das Jahr hinweg erfolgen. Kurzfristig wäre es eine Möglichkeit ausrangierte Geräte zu reaktivieren oder wenn es ganz eng wird, andere Maschinen zu nutzen, wie zum Beispiel Notfall-Beatmungsgeräten aus den Krankenwagen.
Aber etwas anderes treibt den Unternehmenschef um:
Wenn die weltweiten Lieferketten zusammenbrechen, bekommt am Ende niemand mehr auch nur ein Beatmungsgerät. Auch Drägerwerk braucht für die Herstellung Produkte aus den USA, Asien und sogar Neuseeland.
Dräger: „Es wäre eine sehr große Bedrohung für die Menschheit, wenn durch Exportstopp-Maßnahmen einzelner Länder die weltweiten Lieferketten durchbrochen werden.“
Der Aktienkurs von Drägerwerk
Obwohl schon längere Zeit bekannt ist, dass ein großer Mangel an Beatmungsgeräten weltweit herrscht, stieg die Aktie erst von Mitte März so richtig an. Auch bei FMW hatten wir in Artikeln (10. März: Coronavirus: Die Gewinner der Krise) auf die wirtschaftlichen Gewinner der Pandemie hingewiesen und auch den Lübecker Medizintechnikkonzern Drägerwerk genannt. Der Aktienkurs hat sich von Mitte März bis gestern mehr als verdoppelt (auf 108 €) und gehörte auch gestern zu den Gewinnern. Damit ist die Aktie allerdings mit einem KGV von 70 nicht mehr ganz billig – und man arbeitet bereits an der Kapazitätsgrenze ohne die Möglichkeit einer kurzfristigen Produktionsausweitung.
Fazit
Auch wenn die Digitalisierung unaufhaltsam voran schreitet, braucht man auch die herkömmliche Produktion von Maschinen wie zum Beispiel jetzt Beatmungsgeräte aus dem Land des Automobil- und Maschinenherstellers Deutschland. So ungewöhnlich es für manchen klingen mag, in diesem Fall ist made in Germany nach wie vor gefragt.
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