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Ohne russisches Naphtha keine moderne Chip-Fertigung Drohnenkrieg in Russland trifft US-Chipversorgung

Taiwan importiert Milliarden an russischem Naphtha

Foto: Bloomberg

Die Ukraine attackiert verstärkt Raffinerien in Russland: Das schwächt Moskaus Treibstoffversorgung und bedroht zugleich die US-Chipversorgung durch taiwanesische Halbleiter.

Drohnenkrieg in Russland trifft US-Chipversorgung

Innerhalb von zwei Monaten hat die Ukraine ihre Drohnenoffensive gegen die Ölindustrie in Russland  ausgeweitet, um die Finanzierung des Krieges zu schwächen. Mindestens 16 von 38 Raffinerien wurden getroffen. Rund 17 Prozent der russischen Verarbeitungskapazität fallen dadurch für mehrere Wochen oder sogar Monate aus. Die Folgen zeigen sich bereits: An den Tankstellen im Land bilden sich lange Schlangen, da die Produktion von Benzin und Diesel empfindlich eingeschränkt wurde. Russland sah sich inzwischen gezwungen, den Export verarbeiteter Erdölprodukte zu stoppen. Rosneft warnte zusätzlich, dass aufgrund der begrenzten Lagerkapazitäten auch die Rohölförderung reduziert werden müsse. Die Auswirkungen reichen jedoch weit über den russischen Binnenmarkt hinaus. Denn die ukrainischen Angriffe bedrohen ebenfalls die Versorgung der USA mit taiwanesischen Halbleitern.

Ohne Naphtha keine moderne Chip-Fertigung

Zu den verarbeiteten Erdölprodukten gehört auch Naphtha. Es handelt sich um ein zentrales petrochemisches Vorprodukt, das in zahlreichen Bereichen eingesetzt wird. Aus Naphtha werden Lösungsmittel, Spezialkunststoffe und Reinigungsmittel hergestellt, die in der Halbleiterfertigung unverzichtbar sind. Ohne verlässliche Lieferungen geraten essenzielle Produktionsprozesse ins Stocken. Dies betrifft die Lithografie, die Fertigung von Chipgehäusen und die Herstellung von Materialien für Leiterplatten.

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Für Taiwan, das etwa 60 Prozent der weltweiten Halbleiter produziert und bis zu 95 Prozent der modernsten Chips herstellt, ist die kontinuierliche Versorgung mit Naphtha daher von strategischer Bedeutung. Genau an dieser Stelle spielen die russischen Lieferungen eine zentrale Rolle.

Taiwan importiert Milliarden an russischem Naphtha

Obwohl Taiwan sich an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligt, gilt dies nicht für Naphtha. Eine Untersuchung des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Zusammenarbeit mit der Environmental Rights Foundation (ERF) in Taiwan und der russischen Organisation Ecodefense verdeutlicht die Entwicklung. Während die staatliche Chinese Petroleum Corporation (CPC) auf Lieferungen von russischem Naphtha verzichtet, hat die die private Formosa Petrochemical Corporation (FPCC) ihre Abhängigkeit drastisch gesteigert. Vor der russischen Invasion lag ihr Anteil bei 9 Prozent, inzwischen bezieht sie rund 90 Prozent ihres Naphthas aus Russland. Damit ist Taiwan zum weltweit größten Abnehmer aufgestiegen. Damit ist die FPCC sogar der größte einzelne Käufer russischen Naphthas überhaupt. Seit Kriegsbeginn summierten sich die Importe auf 4,9 Milliarden US-Dollar (etwa 4,7 Milliarden Euro).

Russland Naphtha-Share

Das bedeutet, dass ein erheblicher Teil der weltweiten Chipproduktion inzwischen auf russischem Rohstoff basiert.

Ukraine schwächt Russland – und Amerikas Chipversorgung

Die ukrainischen Angriffe auf Raffinerien verschärfen die geopolitische Dimension erheblich. Jeder Drohneneinschlag in Rjasan, Nischni Nowgorod oder Ust-Luga schwächt nicht nur Moskaus Einnahmen, sondern löst auch Instabilitäten auf den internationalen Naphtha-Märkten aus.

Die USA untersuchten Ende 2023 die Abhängigkeit ihrer Wirtschaft von ausländischen Halbleitern. Nach den Berechnungen der International Trade Commission stammen 44,2 Prozent der Logik-Chips, 24,4 Prozent der Speicher-Chips und 1,0 Prozent der analogen Chips direkt aus Taiwan. Zusätzlich bezieht die USA 33 Prozent ihrer Logik-Chips aus Malaysia, die in Wahrheit von Taiwan geliefert werden. Somit stammen etwa 77 Prozent aller amerikanischen Logik-Chips letztlich vom Inselstaat.

Wenn die Naphtha-Versorgung unterbrochen wird, stellt der Mailiao-Komplex keine Lösungsmittel, Reinigungsmittel und Spezialkunststoffe mehr her. Infolgedessen reduziert Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ebenso wie andere Hersteller ihre Produktion. Das Resultat wäre ein Ausbleiben taiwanesischer Halbleiterlieferungen in die gesamte Weltwirtschaft und in die Vereinigten Staaten.

Die Handelskommission betonte in ihrem Bericht, dass lediglich etwa 5 Prozent der Chips durch US-Produktionen ersetzt werden könnten. Gleichzeitig würden die Preise um etwa 59 Prozent steigen. Eine solche Entwicklung hätte weitreichende Folgen für die gesamte amerikanische Industrie. Betroffen wären die Automobilproduktion, die Computerbranche und nicht zuletzt auch der militärische Sektor.

Die Achillesferse der Vereinigten Staaten liegt daher nicht nur in der Straße von Taiwan, sondern ebenso im Naphtha-Tank von Mailiao.

Südkoreas Beispiel: Erfolgreich ohne russisches Naphtha

Die Abhängigkeit von Russland ist keineswegs unvermeidlich. Es stehen ausreichend Alternativen zur Verfügung, etwa aus Algerien, dem Nahen Osten, Europa oder Nordamerika. Südkorea hat diesen Weg beschritten. Vor Beginn des russischen Angriffskrieges war das Land in hohem Maß auf russisches Naphtha angewiesen. Es diente als Grundlage für die petrochemische Industrie und die Herstellung von Olefinen wie Propylen.

Nach Kriegsbeginn und der Einführung des G7-Preisdeckels von 45 US-Dollar (etwa 42,4 Euro) pro Barrel reduzierte Südkorea seine Einfuhren aus Russland drastisch. Ausschlaggebend war die Sorge, gegen Sanktionen zu verstoßen.

Im März des vergangenen Jahres leitete die Regierung in Seoul eine Untersuchung ein, ob russisches Naphtha über Drittstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Malaysia, Singapur oder Tunesien ins Land gelangt war. Obwohl solche Lieferungen formal möglich gewesen wären, entschieden sich die großen Raffinerien bewusst gegen weitere Käufe aus Russland.

Stattdessen verlagerte Südkorea seine Lieferketten erfolgreich. Heute stammen die wichtigsten Mengen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Algerien und Katar. Diese Anbieter füllten die entstandene Lücke, ohne die petrochemische Industrie des Landes zu gefährden. Damit hat Seoul seine Abhängigkeit vollständig beendet und bewiesen, dass eine Diversifizierung auch in einem komplexen Markt realisierbar ist.

Ohne Diversifizierung droht Erpressbarkeit

Das Beispiel Naphtha verdeutlicht, wie eng globale Lieferketten miteinander verwoben sind. Zugleich zeigt es, dass ein Ausstieg aus russischen Rohstoffen machbar ist. Die Ukraine hat mit den Angriffen auf Raffinerien einen empfindlichen Nerv getroffen. Moskau verliert Einnahmen, an den Tankstellen herrschen Engpässe, und die Regierung ist nicht in der Lage, ihre Energieinfrastruktur zuverlässig zu schützen.

Es ist schlicht unmöglich, sämtliche Raffinerien durch die Luftabwehr lückenlos zu schützen. Die Drohnen verursachen derzeit vergleichsweise geringe Schäden. Mit der Eigenentwicklung „Flamingo“ steht jedoch eine deutlich leistungsfähigere Waffe bereit, in deren Reichweite praktisch alle Raffinerien in Russland liegen Zudem sprechen Indizien dafür, dass die Vereinigten Staaten dem Einsatz von HIMARS auf russischem Territorium zugestimmt haben. Vor diesem Hintergrund nimmt die Bedrohung für Putins Raffinerien weiter zu. Solange die Formosa Petrochemical Corporation nahezu ausschließlich russisches Naphtha bezieht, wächst damit zugleich das Risiko für die Chipproduktion in Taiwan.

Südkorea hat vorgemacht, dass es Alternativen gibt. Wer seine Abhängigkeit nicht reduziert, läuft Gefahr, erpressbar zu werden. Für Taiwan und seine westlichen Partner ist dies eine deutliche Warnung.



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2 Kommentare

  1. Wenn die Rohstoffmacht Russische Föderation auf den internationalen Märkten nicht entsprechend zur Verfügung steht, kann sich dies auf den Ölpreis auswirken. Daran ändert auch Russophobie nichts.

  2. Daran hätten Obama und Biden vielleicht auch schon denken sollen. Witzig, dass man davon vorher nie was gehört hat? Mir ist das neu.
    Es passt aber genau: Eine kleine Insel irgendwo, die die ganze Welt braucht. Sollte das nicht aufgrund natürlicher Gegebenheiten alternativlos sein, wieder eine strategische Meisterleistung!
    Ich sage immer wieder: Hätten Menschen in der Steinzeit so getan wie wir heute, sie wären ausgestorben.

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