ETF gelten seit geraumer Zeit als der Standard-Tipp beim Aktien-Investment. Diese börsengehandelten Fonds bilden in den meisten Fällen einen Index oder einen Rohstoff passiv nach. Das heißt, der Fondsmanager trifft in der Regel keine eigenen Entscheidungen, sondern kauft stumpf den abgebildeten Basiswert ein. Da der Fondsmanager kein eigenes Research betreibt, sind diese börsengehandelten Fonds besonders günstig. Zudem ermöglicht der Börsenhandel der Anteilsscheine schnelle und ebenfalls günstige Ein- und Ausstiege aus dem Fonds während der üblichen Börsenhandelszeiten. Die meisten Banken bieten den kostengünstigen Erwerb in Sparplänen an. Die Summe der Vorteile führte dazu, dass inzwischen Billionen US-Dollar in ETFs gebündelt wird. Doch damit kommen auch einige gravierende, nicht zu verhindernde Nachteile zum Tragen.
Ich erinnere mich noch an die Zeit vor, während und kurz nach der 2008er Finanzkrise. Damals schon, immerhin auch bereits 25 Jahre nach dem Start des ersten ETF, galten ETF als der Renner, wenn es um möglichst einfaches und sicheres Investieren ging. Wenn Risiko zur Sprache kam, dann ging es in der Regel vor allem um die Replikationsmethode und das Kontrahenten-Risiko. Also das Risiko, das aus der Wahl des ETF-Anbieters und aus dem Handelspartner des ETF erwächst. Es war die Zeit, als AIG am Rande des Abgrunds stand. AIG war gleichzeitig ein wichtiger Player auf dem Markt für Swaps. Und Swaps wurden damals und auch heute von zahlreichen ETFs genutzt, um den Basiswert abzubilden.
Verdutzt stellten Anleger damals fest, dass ihr Gold-ETF gar kein Gold enthielt, sondern zum Beispiel japanische Staatsanleihen. Die Fondsgesellschaft hatte lediglich mit einem Handelspartner, zum Beispiel AIG, ein Swap-Geschäft abgeschlossen, bei dem der Fonds die Rendite der japanischen Staatsanleihen gegen die Rendite von Gold tauschte. Blöd, wenn dann der Swap-Partner in der Krise in die Insolvenz rutscht, in der die Anleger von der Gold-Performance profitieren wollten.
Aktien bilden inzwischen ETF ab, doch es sollte umgekehrt sein
Empfohlen wurden und werden daher ETFs, die den Basiswert physisch replizieren. Das heißt, ein Öl-Fonds soll Öl und keine Staatsanleihen kaufen, ein Gold-ETF und ein DAX-ETF gefälligst die Aktien des deutschen Leitindex. Ein Jahrzehnt lang wähnten sich Anleger in Sicherheit, wenn sie physisch replizierende ETFs erwarben. Dank der physischen Abbildung des Basiswerts ist die Rendite sicher und der Fonds kann dank großer Liquidität jederzeit an der Börse verkauft werden.
Das war eine trügerische Sicherheit, wie die aktuelle Krise zeigt. Schon seit Jahren warnten einzelne Stimmen, dass die Marktmacht der ETFs inzwischen so groß geworden ist, dass die Basiswerte den ETF und nicht der ETF die Basiswerte abbildet. Die heutige Situation ist mit 2008 keinesfalls vergleichbar. 2007 gingen die ETFs weltweit mit lediglich 807 Milliarden US-Dollar Fondsvermögen ins Jahr 2008. 2019 waren es 6.181 Milliarden US-Dollar und das war eine Steigerung um ein gutes Drittel binnen eines Jahres. Gut 2/3 dieses Vermögens sind in ETFs für US-Aktien investiert. Es ist nicht nur so, dass ETFs inzwischen größere Mittelzuflüsse verzeichnen als aktiv gemanagte Portfolien. Nein, die Anleger ziehen netto sogar Kapital aus dem aktiven Management ab und schichten in passives Management um.
Die Marktmacht der ETFs führt nun dazu, dass massenhafte Käufe zum Beispiel der S&P 500 ETFs die Preise aller im S&P 500 enthaltenen 500 Aktien gleichermaßen steigen lassen. Und bei Fondsabflüssen fallen alle Aktien gleichermaßen. Die CBOE gibt seit einem Jahrzehnt den S&P 500 Implied Correlation Index heraus. Er gibt an, in welchem Umfang die Renditeverteilung der 500 Aktien im S&P 500 Index miteinander korreliert ist. Auffällig ist ein Tief von nur 13% im Januar 2017. Das war der Monat, in dem die S&P 500 ETFs in Summe im Wesentlichen weder Zu- noch Abflüsse verzeichneten, sich also marktneutral verhielten.
Massenhafte ETF-Investments verstärken Boom & Bust Zyklen
Der Kauf von Aktien mittels Index-ETFs führt dazu, dass auch Schrott-Unternehmen ansehnliche Kurssteigerungen erfahren. Während ein aktiver Manager ein Unternehmen mit schlechter Bilanz oder einer Verlusthistorie meiden würde, kaufen passiv gemanagte ETFs diese Aktien unbesehen und ohne Rücksicht darauf, ob sie fundamental gesehen kaufenswert sind oder nicht. Passives Investieren verringert somit den Preisfindungsmechanismus der Börse. Relevanter ist, ob eine Aktie in einem häufig gekauften Index enthalten ist und weniger, ob das Unternehmen gut wirtschaftet.
In Boomphasen führt das passive Investieren dazu, dass unabhängig vom Geschäftsverlauf praktisch alle in großen Indizes enthaltenen Aktien steigen. Und in Korrekturen fallen auch fast alle Aktien unabhängig vom Geschäftsverlauf. Die in guten Börsenzeiten konstant hohe Nachfrage nach Aktien von Schrott-Unternehmen ist krisenverstärkend. Denn diese Unternehmen bleiben dank Zugang zum Kapitalmarkt länger am Markt, als sie es tun würden, wenn noch Menschen die Aktienauswahl übernehmen würden. In der Krise sieht sich der Markt dann mit einer ganzen Reihe an Zombie-Unternehmen konfrontiert, die alle auf einmal den Zugang zum Kapitalmarkt verlieren, weil ETFs Mittelab- statt zuflüsse verzeichnen.
ETFs fungieren zudem trendverstärkend. Aktive Portfoliomanager würden höchstwahrscheinlich in der Endphase eines Booms auf Aktienkäufe verzichten und sogar Aktien verkaufen, da ihrer Analyse zufolge eine Überbewertung besteht. Diese ersten Verkäufe wirken preisdämpfend. Umgekehrt kaufen aktive Portfoliomanager im Crash die ihrer Ansicht nach günstigen Aktien, was den Preisabsturz auffängt. In einer Welt, in der mehr als 50% des in den Markt strömenden Kapitals passiv angelegt wird, fehlt dieses Korrektiv. Ein ETF kauft nicht im Crash nach. Und ein ETF verkauft nicht in der Hausse. Die Sparplan-Käufer der ETFs tun es auch nicht – schließlich haben sie sich für passives Sparplan-Investment entschieden. Was passive ETF-Käufer in vielen Fällen jedoch tun, ist der Panikverkauf in der Krise.
Die Liquidität von ETFs fehlt möglicherweise ausgerechnet in Krisen
Doch es kommt noch schlimmer. Das hohe Handelsvolumen von ETFs suggeriert Anlegern eine Liquidität, die ausgerechnet dann verlorengehen könnte, wenn sie am dringendsten gebraucht wird: in der Krise. Trocknet die Liquidität aus, weil sich in der Krise Marktteilnehmer zurückziehen und nicht mehr handeln, kann es zu signifikanten Abweichungen zwischen dem Handelswert eines ETF und seinem NAV, dem Net Asset Value, kommen. Der NAV ist der innere Wert eines jeden Anteilsscheins, also die kombinierten Handelswerte der vom Anteilsschein repräsentierten Aktien oder Rohstoffe. Theoretisch sollte der Handelswert eines ETF-Anteilsschein stets den inneren Wert reflektieren.
Steigt die Nachfrage nach einem ETF, würden Authorized Participants, also Banken und Brokerhäuser, ETF-Anteile im Auftrag der Fondsanbieter kreieren. Kauft ein Anleger zum Beispiel Anteilsscheine am S&P 500, dann würde der Authorized Participant die 500 Aktien des S&P 500 kaufen, die gewünschten Anteilsscheine erschaffen, dem Anleger verkaufen und der Fondsgesellschaften die gekauften Aktien übereignen. In der Krise, wenn Anleger Anteilsscheine verkaufen, würde das Gegenteil geschehen. Die Authorized Participants kaufen die Anteilsscheine an, reichen sie an die Fondsgesellschaft weiter, bekommen dafür im Tausch die Aktien und verkaufen diese. Angebot und Nachfrage nach den Anteilsscheinen wären so immer im Gleichklang. Käme es zu Abweichungen zwischen dem Preis des Anteilsscheins und der NAV, würden die Authorized Participants dafür belohnt werden, diesen Prozess verstärkt durchzuführen. Denn dann wären für sie risikofreie Gewinne zu erzielen.
Die Preise von ETFs bilden nicht mehr die Basiswerte ab
Doch in der jüngsten Krise kam es gleich bei einer ganzen Reihe von ETFs zu bemerkenswerten Abweichungen zwischen dem Börsenpreis der Anteilsscheine und der NAV. Die ETFs bildeten nicht mehr die Wertentwicklung der Basiswerte nach. Teilweise waren sie deutlich günstiger als die NAV, teilweise deutlich teurer. Bestes Beispiel dafür ist der USO ETF, der den Preis des nächstfälligen Future-Kontrakts für Erdöl der Sorte WTI abbilden soll. So zahlten Anleger am 20. April 7,8% Aufpreis auf die NAV. Grund war, dass so viele ETF-Anteile nachgefragt wurden, dass die bei der Börsenaufsicht vorregistrierten Anteilsscheine aufgebraucht waren und solange keine neuen kreiert werden konnten, wie keine abermalige Registrierung abgeschlossen war.
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Danke für Ihre hervorragende Zusammenfassung ! – Bei allen Vorteilen der ETF wachsen die Risiken für den Gesamtmarkt mittlerweile erschreckend schnell.
Man denke nur an die immensen Mengen an ETF, welche beispielsweise von der Japanischen Zentralbank gehalten werden.
Ein kleine Ergänzung zu Ihren Ausführungen: Die Index-ETF, zum Beispiel auf den S&P, enthalten nicht alle 500 Werte, sondern meist nur einen repräsentativen Anteil. Der kontinuierlich erfolgende Transaktionaufwand sowie der Trackingfehler wäre sonst kaum zu bewältigen.
Diese Beschränkung führt wiederum zur Übergewichtung grosser Werte.
Mein Fazit:
Ein Investment in Index-ETF mit dem Ziel eines in der Zukunft liegenden Tradinggewinnes mag sinnvoll sein, sofern man sich der Schwankungsbreite gegenwärtig ist und diese akzeptiert.
Ein Investment in ETF mit dem Ziel Cashflow zu generieren (Dividendenstrategie, Rentenergänzung ..) macht immer weniger Sinn.
In diesem Ziel kommt man an Investments in soliden Einzelwerten anhand fundamentaler Unternehmensanalyse nicht vorbei.
Dass auch dies kein Hexenwerk ist, wäre einen Beitrag von Ihnen wert :-)
Danke nochmals, herzliche Grüsse
Pingback: The unrecognized risks of trend investments! | En24 News
Auf FMW wurde schon mehrmals auf die Problematik dieses Produkts hingewiesen. ( müsste eigentlich als Kriegsmaterial eingestuft werden.Beim Eingeben des Begriffs ETF auf dem Archiv von FMW tauchen regelmässig Berichte auf.
Zwei möchte ich hervorheben.
ETF- Massenvernichtungswaffe oder smarte Anlagelösung? ( von Zipfel Hannes) v.5.9.2019
ETFs Tickende Zeitbombe! von M. Fugmann
Die Problematik sehe ich hauptsächlich bei den synthetischen ETFs die nur den Index abbilden aber die Aktien nicht hinterlegt sind, also ein Derivat mit Hebelwirkung.
DIe Zündschnur dieser Bombe wurde von den Notenbanken schon mehrmals verlängert
WAR DA NICHT ETWAS MIT ÖL WO VIELE DERIVATE DEN MARKT ÜBERSCHWEMMTEN.
Alle in diesem Artikel angeführten Argumente gegen ETFs wurden von Gerd Kommer ausführlich und nachvollziehbar widerlegt.
Einen Öl ETC mit einem Aktien ETF gleichzusetzen und somit Risiken einer Fondspleite für alle ETFs zu begründen – mit Verlaub – das ist entweder naiv ahnungslos oder vorsätzlich manipulativ.