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EuGH-Grundsatzurteil: EU-Ausländern darf Hartz4 verweigert werden! Urteil im Original auf Deutsch

FMW-Redaktion

Heute hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Grundsatzurteil gesprochen. Deutschland darf EU-Ausländern Hartz4-Zahlungen verweigern. Der exakte Grund dafür ist interessant. Auch veröffentlichen wir hier das Urteil im Original auf Deutsch.

EuGH Urteil zu Hartz4
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.
Foto: Cédric Puisney / Wikipedia (CC BY 2.0)

Der EuGH hat entschieden, dass ein EU-Mitgliedsstaat bei sich lebenden EU-Ausländern „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ verweigern darf, die nur im Land sind um hier Arbeit zu suchen. Zu diesen Leistungen gehört bei uns das Hartz4-System. Mit dieser Verweigerung verstoße ein Mitgliedsland NICHT gegen das Gebot der Gleichbehandlung gegenüber den eigenen Staatsbürgern. Der Hartz4-Topf wird ja nicht von Beitragszahlern direkt gespeist, sondern aus dem allgemeinen Steuerhaushalt. Würden z.B. die Arbeitnehmer (so unsere Interpretation) wie für die Arbeitslosenversicherung direkt eine „Hartz4-Versicherung“ von ihrer Lohnabrechnung abgezogen bekommen, hätte EU-Ausländer, die kurzzeitig hier gearbeitet haben, auch Anspruch auf Hartz4.

Worum ging es überhaupt? Eine Frau aus Bosnien hatte die schwedische Staatsangehörigkeit angenommen und wurde so EU-Bürgerin. Sie zog mit ihrer Familie wieder nach Deutschland und arbeitete hier einige Monate. Laut EU-Verträgen dürfen EU-Bürger sich in anderen EU-Staaten zwecks Arbeitssuche niederlassen. Sie müssen dort ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten.

Mutter und Tochter Alimanovic lebten seit 2010 in Berlin und arbeiteten insgesamt nur einige Monate, waren dann aber wieder arbeitslos und beantragten 2013 Hartz4-Leistungen, was ihnen verweigert wurde mit der Begründung sie seien EU-Ausländer und hätten daher keinen Anspruch auf Hartz4. Die ersten 6 Monate ihrer Arbeitslosigkeit erhielten sie sogar Hatz4, was danach aber eingestellt wurde. Diese Befristung von maximal 6 Monaten wurde heute vom EuGH als rechtens bestätigt. Als EU-Ausländer seien sie von Sozialhilfe ausgeschlossen, da sie mehr als 6 Monate arbeitslos waren. Deshalb hätten sie nur ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche!

Sie könnten also nur Ansprüche geltend machen, die sie ihm Rahmen ihrer vorigen Arbeit erworben haben (Arbeitslosenhilfe). Sie klagte dagegen, und die deutschen Gerichte, die bei diesem Thema immer schnell nervös werden, schoben die Verantwortung weiter nach Europa und baten den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg um eine grundsätzliche Klärung. Diese gab es heute: Abgelehnt!


Hier das Urteil im Originaltext des EuGH:

Ausländer, die nach Deutschland kommen, um Sozialhilfe zu erhalten, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, erhalten keine Leistungen der deutschen Grundsicherung1. Im Urteil Dano2 hat der Gerichtshof unlängst festgestellt, dass ein solcher Ausschluss bei Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die in einen anderen Mitgliedstaat einreisen, ohne dort Arbeit suchen zu wollen, zulässig ist. In der vorliegenden Rechtssache möchte das Bundessozialgericht (Deutschland) wissen, ob ein derartiger Ausschluss auch bei Unionsbürgern zulässig ist, die sich zur Arbeitsuche in einen Aufnahmemitgliedstaat begeben haben und dort schon eine gewisse Zeit gearbeitet haben, wenn Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten.

Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Jobcenter Berlin Neukölln und vier schwedischen Staatsangehörigen: Frau Alimanovic, die in Bosnien geboren wurde, und ihren drei Kindern, Sonita, Valentina und Valentino, die 1994, 1998 und 1999 in Deutschland zur Welt gekommen sind. Die Familie Alimanovic war 1999 von Deutschland nach Schweden gezogen und ist im Juni 2010 nach Deutschland zurückgekehrt. Nach ihrer Rückkehr waren Frau Nazifa Alimanovic und ihre älteste Tochter Sonita weniger als ein Jahr in kürzeren Beschäftigungen bzw. Arbeitsgelegenheiten tätig. Seither waren sie nicht mehr erwerbstätig. Der Familie Alimanovic wurden daraufhin für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis zum 31. Mai 2012 Leistungen der Grundsicherung bewilligt, nämlich Nazifa Alimanovic und ihrer Tochter Sonita Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Langzeitarbeitslose (Arbeitslosengeld II) und den Kindern Valentina und Valentino Sozialgeld für nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte. 2012 stellte die zuständige Behörde, das Jobcenter Berlin Neukölln, schließlich die Zahlung der Grundsicherungsleistungen mit der Begründung ein, dass Frau Alimanovic und ihre älteste Tochter als ausländische Arbeitsuchende, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, keinen Anspruch auf diese Leistungen hätten. Infolgedessen schloss das Jobcenter auch die anderen Kinder von den entsprechenden Leistungen aus.

In Beantwortung der Fragen des Bundessozialgerichts hat der Gerichtshof mit seinem heutigen Urteil entschieden, dass die Weigerung, Unionsbürgern, deren Aufenthaltsrecht in einem Aufnahmemitgliedstaat sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, bestimmte „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“3 zu gewähren, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe“4 darstellen, nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung5 verstößt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts von Personen dienen, die ihn nicht selbst bestreiten können, und beitragsunabhängig durch Steuermittel finanziert werden, auch wenn sie Teil eines Systems sind, das außerdem Leistungen zur Erleichterung der Arbeitsuche vorsieht. Er betont, dass diese Leistungen – ebenso wie in der Rechtssache Dano – als „Sozialhilfe“ anzusehen sind.

Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein Unionsbürger hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen wie den im Ausgangsverfahren streitigen eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats nur verlangen kann, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats die Voraussetzungen der „Unionsbürgerrichtlinie“6 erfüllt.

Für Arbeitsuchende wie im vorliegenden Fall gibt es – nach den Feststellungen des Gerichtshofs – zwei Möglichkeiten, um ein Aufenthaltsrecht zu erlangen:  Ist ein Unionsbürger, dem ein Aufenthaltsrecht als Erwerbstätiger zustand, unfreiwillig arbeitslos geworden, nachdem er weniger als ein Jahr gearbeitet hatte, und stellt er sich dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung, behält er seine Erwerbstätigeneigenschaft und sein Aufenthaltsrecht für mindestens sechs Monate. Während dieses gesamten Zeitraums kann er sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen und hat Anspruch auf Sozialhilfeleistungen.

Wenn ein Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat noch nicht gearbeitet hat oder wenn der Zeitraum von sechs Monaten abgelaufen ist, darf ein Arbeitsuchender nicht aus dem Aufnahmemitgliedstaat ausgewiesen werden, solange er nachweisen kann, dass er weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. In diesem Fall darf der Aufnahmemitgliedstaat jedoch jegliche Sozialhilfeleistung verweigern.

Schließlich weist der Gerichtshof noch einmal darauf hin, dass, wenn ein Staat eine Ausweisung veranlassen oder feststellen will, dass eine Person im Rahmen ihres Aufenthalts dem Sozialhilfesystem eine unangemessene Belastung verursacht, die persönlichen Umstände des Betreffenden berücksichtigt werden müssen7. Der Gerichtshof betont jedoch, dass eine solche individuelle Prüfung bei einer Fallgestaltung wie der hier vorliegenden nicht erforderlich ist, weil das in der „Unionsbürgerrichtlinie“ vorgesehene abgestufte System für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft (das das Aufenthaltsrecht und den Zugang zu Sozialleistungen sichern soll) selbst verschiedene Faktoren berücksichtigt, die die persönlichen Umstände der eine Sozialleistung beantragenden Person kennzeichnen. Der Gerichtshof stellt zudem klar, dass die Frage, ob der Bezug von Sozialleistungen eine „unangemessene Inanspruchnahme“ eines Mitgliedstaats darstellt, nach Aufsummierung sämtlicher Einzelanträge zu beurteilen ist.



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5 Kommentare

  1. Also erstmal. Für euch Politiker, damit ihr es auch versteht…-
    Jeder deutsche Staatsbürger hat das Recht, Hilfen zu beantragen…
    Wenn Außereuropäische Menschen in unser Land kommen, muß natürlich erstmal geprüft werden, ob ein Anspruch besteht.
    Ich finde, allen die auf der Flucht vor „Verfolgung und Krieg“ sind hier einen Weg zu bereiten ist nicht gut.
    Wo bleiben da die Menschen, die den Staat (das Land) wieder aufbauen.
    Das dürfte ja wohl klar sein wer sich da reinhängt…
    Aber hat die Geschichte nicht gezeigt, das sowas immer schief geht…
    Ob Amerika, Europa, Asien..
    Jeder will mit dem Arsch an die Wand kommen. Menschen sind da zweitrangig…
    Mein Aufruf an alle:
    Seid nicht so engstirnig. Denkt auch mal dran wie es uns geht. !!!!
    Gruß Daniel

    1. „Jeder deutsche Staatsbürger hat das Recht, Hilfen zu beantragen…“
      und ich führe weiter aus: …, ob man sie bekommt, entscheidet die Willkür[1].
      [1] kann durch ein beliebiges anderes Wort ersetzt werden, wie beispielsweise „Staat“ oder „zuständiger, sogenannter Beamter“

  2. Im vorletzten Absatz erkennt man allerdings wi(e)der, wie die gesamte EU an sich konstruiert ist: mutwillig inkonsistent. Wenn man umziehen (und immerhin noch bleiben) darf, dann aber keine Hilfen mehr bekommt, von was soll man sich dann am Leben halten?!! Luft und Liebe? Wurzeln und Blätter?
    Hier geht es gar nicht mehr um Wohlstand, sondern um das direkte Überleben in einer Noch-Wohlstandsgesellschaft, bei der man schon mutwillig von Gesetzeswegen ausgegrenzt wird und direkt werden _soll_. Hier wird eine systemische Kriminalisierung beziehungsweise Freitod von Menschen betrieben. Jetzt habe man die EU verstanden.

  3. Damit entsteht eine ausgesprochen interessante und unsinnige Situation, da dies dann wohl zu einer Benachteiligung von EU-Bürgern gegenüber Asylantragstellern aus aller Herren Länder führt, denn dieser erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, welche nach kürzlich erfolgter nationaler Rechtsprechung Asylbewerber sonstigen Bedürftigen (ALG-II-Empfängern etc.) annähernd gleichstellt. Nach Abschluss des Asylverfahrens bzw. nach 15 Monaten Aufenthalt, weiß ich aus eigener Anschauung, daß ein großer Teil der anerkannten, sowie der nichtanerkannten „Flüchtlinge“ auf die Hartz-4-Schiene kommt, da die vorhandenen Fähigkeiten zu einer Arbeitsaufnahme nicht ausreichen. Dies beinhaltet auch umfangreiche Integrationsangebote, auf die EU-Ausländer keinen Anspruch haben. In der Konsequenz werden dann wohl, Verzeihung, nordafrikanische Kameltreiber oder schwarzafrikanische Armutsflüchtlinge mit 3 Jahren Dorfschule besser gestellt sein als die Europäer, mit denen wir uns in einer sog. Rechts- und Werteunion befinden.
    Man kann nur jedem Griechen, Portugiesen oder Spanier, der hier her kommt empfehlen, sich eine nette Geschichte von Flucht und Vertreibung auszudenken und sich den Behörden als syrischer Freiheitskämpfer zu offenbaren um Asyl zu beantragen. Hinzu kommt, das falsche Angaben zur Herkunft oder zu Anspruchsgrundlagen im Asylsystem praktisch nicht strafrechtlich verfolgt werden. Wehe dem Inländer jedoch, der Wohn- oder Kindergeld unter Vortäuschung falscher Tatsachen zu erschleichen sucht!

    1. @m.sastre, hervorragender Kommentar von Ihnen! Das würde einen eigenen, ganzen Artikel von Ihnen nahelegen – hätten Sie dazu Lust? Das Thema ist extrem wichtig und weitreichend, und Sie scheinen tief in der Materie zu sein. Das wäre für alle eine Bereicherung, wenn Sie dazu bereit wären!

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