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EuGH Hartz 4-Urteil: Das Paradoxon „EU-Ausländer“ vs „EU Nicht-Ausländer“

Von Claudio Kummerfeld

Am Dienstag entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Verweigerung Deutschlands, EU-Bürgern dauerhaft Hartz 4 zu zahlen, rechtens ist. Seitdem kochen die Gemüter hoch, auch in Kommentaren und Lesermails an uns. Es stellt sich die Frage: Was ist gerecht? Wer sollte wirklich Anspruch haben? Und ist ein NICHT EU-Ausländer der „bessere“ Antragsteller? Einige Gedanken im Nachhinein…

Kein Hartz 4 für EU-Ausländer

Am Dienstag fiel das Grundsatzurteil des EuGH, dass eine ursprünglich bosnische Bürgerin, die dann die schwedische Staatsangehörigkeit erlangte und somit EU-Bürgerin wurde, als EU-Ausländerin in Deutschland keinen Anspruch auf Hartz 4 hat. Sowieso klar war schon seit letztem Jahr, dass EU-Ausländer, die noch nie hier gearbeitet haben, keinen Anspruch auf Hartz 4 haben. In diesem Fall ging es aber darum, dass die Klägerin „kurzzeitig“ gearbeitet hatte, und daraus einen Anspruch herleitete. Sie erhielt nach aktuell geltendem Recht in Deutschland für die ersten 6 Monate Hartz 4, danach war Schluss. Das sollte aber dauerhaft verlängert werden – und genau diese Verlängerung über die ersten 6 Monate hinaus hat der EuGH verweigert. Der EuGH erwähnte auch nichts davon, dass zukünftig eine Einzelfallprüfung notwendig sei. In dem EU-feindlichen Klima, das in vielen Mitgliedssaaten ohnehin immer mehr aufkommt, scheint der EuGH den Ländern mit den höchsten Sozialleistungen wohl helfen zu wollen „Sozialtourismus“ zu vermeiden – so kann man es durchaus als eindeutige Botschaft verstehen. Denn zwischen Ländern wie Deutschland und Griechenland gibt es da ein Gefälle runter auf 0 Euro Sozialhilfe.

Hier unser Originalartikel zu dem EuGH-Urteil vom Dienstag.

Das Paradoxon

Wäre die Klägerin immer noch bosnische Staatsbürgerin geblieben und hätte in Deutschland einen realen Asylgrund geltend gemacht, der sie zum Aufenthalt berechtigen würde, hätte sie nach 15 Monaten Anspruch auf vollumfängliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gehabt. Und diese Leistungen sind praktisch auf Augenhöhe mit den Hartz4-Zahlungen, wie es auch die jüngste deutsche Rechtsprechung forderte. Sind „NICHT EU-Ausländer“, die nach Deutschland kommen, von der sozialen Absicherung her besser dran als EU-Ausländer? In der Tat, denn sie haben wie vorher beschrieben Anspruch auf Hartz 4-ähnliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – hier ein Auszug aus einer offiziellen Verlautbarung der Bundesregierung:

„Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Urteil vom 18. Juli 2012 die Geldleistungen für Asylbewerber für verfassungswidrig erklärt. Diese seien für den Lebensunterhalt von Asylbewerbern seien unzureichend und nicht nachvollziehbar. Asylbewerber bekamen durchschnittlich 225 Euro monatlich. Das Bundesverfassungsgericht forderte, dass das menschenwürdige Existenzminimum transparent und nachvollziehbar festgesetzt sowie Abweichungen begründet werden müssten. Mit dem 2012 ergangenen Urteil gab es eine Übergangsregelung, in der monatlich 362 Euro gezahlt wurden. Daraufhin überarbeitete die Bundesregierung das Asylbewerberleistungsgesetz. Danach sollen Flüchtlinge 352 Euro monatlich bekommen, durchschnittlich 127 Euro mehr als vor dem Gerichtsurteil. Die Kosten für Wohnung und Heizung werden zusätzlich übernommen.“

EU-Ausländer vs Nicht EU-Ausländer?

EU-Ausländer, die nachweisen, dass sie gearbeitet haben, haben auf Hartz 4 (abgesehen vom selbst erwirtschafteten Arbeitslosengeld-Anspruch) nur maximal 6 Monate Anspruch. Was könnte nach „Gerechtigkeitsmaßstäben“ der Grund dafür sein?

Man suche hier am Besten im grundsätzlichen Wohlstandsgefälle zwischen dem Kontinent Europa und Afrika/Naher Osten, denn aus diesen Regionen stammen ja fast 100% der Asylbewerber. Und in der Tat ist das allgemeine Lebenshaltungsniveau in Griechenland und Portugal immer noch deutlich höher als in Somalia oder Afghanistan. Also geht der deutsche Gesetzgeber und jetzt auch der EuGH generell davon aus, dass EU-Bürger, wenn sie bei uns keine Arbeit finden, wieder in ihr Land zurückkehren und dort vom Sozialstaat (Portugal, Schweden) gestützt werden. Diese Argumentation ist durchaus logisch und nachvollziehbar.

Denn die Freizügigkeit in der EU beruht darauf sich den Ort seines Lebens frei aussuchen zu können, solange man dort seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann. Das war der bisherige Hauptstreitpunkt. Hätte der EuGH bestätigt, dass sich diese Freizügigkeit für EU-Bürger auch auf Sozialleistungen erstreckt, könnte in der Tat eine Sogwirkung entstehen, da es ja auch in der EU ein enormes Gefällte gibt (wie vorhin schon angesprochen).

Der anerkannte Asylbewerber in Deutschland hat so gesehen den „monetären“ Vorteil, dass er, wenn er bei uns keine Arbeit findet, vom Staat die Grundsicherung zum Lebensunterhalt erhält („die Würde des Menschen ist unantastbar“), da er ja aufgrund von Verfolgung und Krieg eben nicht wie ein EU-Bürger in sein Heimatland zurückkehren kann, um dort eine staatliche Unterstützung zu erhalten.

Ein Leser schrieb uns als Kommentar „Man kann nur jedem Griechen, Portugiesen oder Spanier, der hier her kommt empfehlen, sich eine nette Geschichte von Flucht und Vertreibung auszudenken und sich den Behörden als syrischer Freiheitskämpfer zu offenbaren um Asyl zu beantragen“.

Es gibt die beiden großen Meinungsblöcke. Die einen sagen „keine Sozialleistungen für Ausländer, egal woher sie kommen“. Die anderen sagen „für alle Ausländer dieselben Sozialleistungen wie für Deutsche“, also Hartz4. Deutschland wie auch der EuGH unterscheiden da nach dem Wohlstandsgefälle Europa vs Nicht-Europa. Wer aus der EU kommt, wird so angesehen, dass er in seiner EU-Heimat die notwendige Unterstützung erhalten soll.

Interessant wird sein, ob trotz höchstrichterlicher Klärung in Luxemburg (EuGH) noch jemand vor das deutsche Bundesverfassungsgericht ziehen und sich dort auf Artikel 1 des Grundgesetzes berufen wird. Dann müsste das Gericht offiziell feststellen, dass Europa eine Wohlstandssphäre darstellt und der in Deutschland dauerhaft arbeitslose EU-Ausländer seine Menschenwürde dadurch erhält, dass er in sein Heimatland zurückkehrt, wo er eine Grundversorgung erhält. Das wäre die letzte „grundsätzlich“ zu klärende Frage vor einem Gericht zu dem Thema.




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