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EZB: „Draghi der Diktator von Europa?“

Von Claudio Kummerfeld

Am letzten Mittwoch stürmte eine mit falschem Presseausweis ausgestattete Frau während der EZB-Pressekonferenz in Frankfurt das Rednerpult, sprang auf den Tisch, warf Konfetti (#confettigate) und Draghi´s Papiere durch die Luft. Während sie von Aufpassern überwältigt wurde, rief sie „Stoppt die EZB-Diktatur„. Auf ihrem T-Shirt stand „End the ECB Dick-Tatorship“. Faktencheck. Was stand im DIN A4-Blatt, dass sie verteilte, und ist Mario Draghi wirklich der Diktator von Europa?

EZB-Chef-Mario-Draghi-beim-World-Economic-Forum
EZB-Chef Mario Draghi beim World Economic Forum
Foto: World Economic Forum / Wikipedia (CC BY-SA 2.0)

Josephine Witt

Bei der Aktion handelte es sich um die „Aktivistin“ Josephine Witt, die sich selbst als „Ex-Femen-Aktivistin“ und aktuell als „Freelance-Aktivistin“ bezeichnet.

Sie sorgte bereits 2013 im vollbesetzten Kölner Dom für Aufsehen, als sie splitternackt auf den Altar sprang und die Anwesenden beim Gottesdienst störte. Auch war sie eine der Femen-Frauen, die 2013 versuchten Wladimir Putin und Angela Merkel bei der Hannover Messe zu stören – und sie wurde 2013 wg. einer Nacktaktion für Femen in Tunesien verhaftet und saß dort mehrere Wochen im Gefängnis. Für Ihre Aktion im Presseraum der EZB bekommt die Josephine Witt natürlich schnell einen aufbrausenden Applaus im Netz und bei allen in Europa, die ihre Wut über ihre schlechte persönliche Lage auf irgendjemanden projizieren wollen.

Wenn man sich die Aktionen von Frau Witt anschaut, könnte man scherzhaft sagen sie hat zu viel Freizeit. Aber anscheinend ist es so, dass Frau Witt EXPERTIN ist, egal worum es gerade geht. Sie weiß anscheinend immer, wo gerade ein Unrecht geschieht, gegen das niemand protestiert und fühlt sich berufen als Speerspitze des Protests in Erscheinung zu treten. Es ist unglaublich, welches Multitalent man sein muss. Nicht nur Theologie-Expertin, sondern auch Expertin für Zentralbanken, Inflation und Zinssätze. Hut ab.

Bei einem Blick in das Twitter-Account von Josephine Witt könnte man ihr (natürlich tun wir dies nicht) unterstellen, sie hätte diese Aktion bei der EZB gemacht um endlich mal für sich selbst so richtig Aufmerksamkeit zu bekommen. Allein zu ihrem eigenen „Auftritt“ bei der EZB hat sie bei Twitter ganze 38 Tweets geschrieben oder von Zeitungen/Journalisten retweetet, sogar aus USA und Japan ist was dabei. Hier Beispiele:

Dass es bei der Aktion nicht wirklich um einen ernsthaften Protest oder Inhalte geht, sondern eher darum ein paar Sekunden Glanz und Aufmerksamkeit zu bekommen sowie darum „Einfach dagegen zu sein“, kann man hier sehen.

Die EZB-Diktatur

Aber schauen wir uns doch mal die Thesen und Argumente an, die Frau Witt zu bieten hat, warum Mario Draghi also der „Diktator von Europa“ sein soll. Gerade aus den ersten Zeilen erkennt man, dass es Frau Witt um „den Kampf gegen das Unrecht, gegen die Unterdrückung, gegen Armut“ geht. Mit Fakten, warum Mario Draghi wen genau wie unterdrückt, kann Frau Witt in ihrer Schrift nicht punkten. Es heißt anfangs drei Mal „we own our own lives“ (wir besitzen unsere eigenen Leben), und diese Leben seien kein Spielchip in einem Spiel usw. Sie erinnere die EZB daran, dass es keinen Gott gebe, aber „Menschen hinter diesen Leben“, und wenn Herr Draghi herrsche, statt zu dienen, würde er den Aufschrei der Menschen lauter und deutlicher hören. Und weil die EZB in ihrer „autokratischen Hegemonie“ verharre durch Überwachung von Staaten, würde man radikale Antworten finden.
EZB Diktatur

Foto des Protestbriefs von Josephine Witt
Foto: Twitter @josephine_witt

An keiner Stelle hat die gute Frau Witt erwähnt, dass Staaten wir Irland, Portugal und Griechenland von EU und EZB Gelder annahmen, weil sie sonst die Gehälter ihrer Beamten und Renten nicht mehr hätten zahlen können. Wer Geld annimmt, muss auch die damit verbundenen Bedingungen akzeptieren. Das war schon immer so, egal in welchem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem – anders kann es gar nicht funktionieren. Selbst die kommunistischen Länder haben sich während des kalten Krieges untereinander kein Geld geschenkt, sondern Waren gegen Geld getauscht bzw. Kredite gegeben unter bestimmten Voraussetzungen.

Danach kommen noch drei vier Sätze über die Arroganz der EZB usw. Leider muss man sagen, wenn man versucht diese Anklageschrift inhaltlich und faktenbasiert zu analysieren: Es handelt sich hierbei um eine „Ich bin gegen Alles“-Esotherikschrift von Frau Witt.

Puhhhhhh… doch keine EZB-Diktatur

Sorry Frau Witt, aber wir müssen nach Durchsicht ihres schriftlich dargelegten Vorwurfs sagen: Mario Draghi ist kein Diktator. Hätten wir ein gutes Argument gefunden, könnten wir uns ihrer Meinung anschließen, aber das ist nun mal nicht möglich. Das Dokument scheint der verzweifelte Versuch zu sein, ein Unrecht zu konstruieren, gegen das vorgegangen werden muss. Man kann z.B. das sogenannte „Quantitative Easing“ (Geldschwemme / Gelddrucken) der EZB mit guten Gründen kritisieren, aber mit bloßer argumentativer Kritik bekommt man keine weltweite Aufmerksamkeit als „Freelance-Aktivistin“. Da muss einerseits ein provokanter aufsehenerregender Auftritt her, und dazu noch eine aufsehenerregende These, und diese lautet wohl „Draghi der EZB-Diktator„.

Der einzige annähernd inhaltliche Vorwurf in dem Blatt, den man besprechen kann, ist die „Überwachung von Staaten“ durch die EZB. Aber wie schon vorher geschrieben: es ist ganz normal und nicht anders möglich: wer Geld als Kredit entgegennimmt , muss akzeptieren, dass daran Bedingungen geknüpft sind. Niemand hat Griechenland und andere Länder mit vorgehaltener Waffe gezwungen die Gelder anzunehmen.

Hätte Frau Witt in ihrem Aufruf einen konkreten Vorschlag gemacht, z.B. wie wir einen in unserem Artikel „Warum Blockupy vor dem falschen Gebäude demonstriert hat“ beschrieben haben, hätte man sagen können „Hut ab, da ist ja was Konkretes dahinter bei dem Protest“.

Unser Vorschlag: Frau Witt möge doch bitte eine zweite Schrift aufsetzen, mit ihren ganz konkreten geldpolitischen Vorschlägen, wie man mit Griechenland verfahren soll (Staatsbankrott erklären?). Dann möge aber auch bitteschön sie diejenige sein, die den Rentnern und Beamten in Griechenland erklärt, warum am 01.05.2015 kein Geld mehr aus dem Bankautomaten kommt, wenn sie ihre Gehälter und Renten abheben wollen.


Ach ja… für den Fall man könnte das Team von finanzmarktwelt.de verdächtigen, all zu EZB-freundlich eingestellt zu sein: wir empfehlen diesen Artikel.



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