Heute um 14:15 Uhr hat die EZB ihre Entscheidung verkündet: Die Zinsen sinken um 0,25 Prozentpunkte. Der Einlagensatz ist damit zum siebten Mal nacheinander gesenkt worden, von 4,00 % auf jetzt 2,25 %. Hier finden Sie das Statement. Nachfolgend zeigen wir aktuelle Einordnungen von Analysten und Ökonomen.
EZB senkt Zinsen – laut ifo wegen US-Zollpolitik gerechtfertigt
Das ifo-Institut schreibt aktuell: Der Präsident des ifo Instituts Clemens Fuest befürwortet die heutige Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB). „Durch die unberechenbare Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump hat zuletzt das Risiko für einen wirtschaftlichen Abschwung zugenommen. Gleichzeitig dürfte das Inflationsrisiko zurückgehen“, sagt Fuest. Ausschlaggebend hierfür seien die jüngste Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar, der sinkende Ölpreis, sowie ein steigendes Güterangebot aus China als Folge der US-Zollpolitik. „Vor diesem Hintergrund ist der Schritt einer weiteren Zinssenkung durch die EZB richtig.“
Deutsche Bank
Mark Wall, Chief European Economist bei der Deutschen Bank, schreibt aktuell: Die Falken in der EZB haben es geschafft, die „restriktive“ Formulierung zu streichen und ihre Anerkennung für die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft gegenüber globalen Schocks zum Ausdruck zu bringen – ein Verweis auf Dynamiken wie das Horten von Arbeitskräften. Die vorausschauende Einschätzung der Wirtschaft impliziert jedoch einen erwarteten Schock durch Zölle, und die Charakterisierung der Unsicherheit als „außergewöhnlich“ deutet auf eine Offenheit für weitere geldpolitische Lockerungsmaßnahmen hin, sofern der Handelsschock anhält und sich in den Daten niederschlägt. Wir rechnen weiterhin mit einer weiteren Zinssenkung im Juni und einem Leitzins von 1,5 % zum Jahresende.
DIHK
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer schreibt: „Die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank um 25 Basispunkte ist gerade in diesen handelspolitisch schwierigen Zeiten ein wichtiges Signal für die deutsche Wirtschaft. Sie wird auch von den Märkten erwartet, weil sich ein wesentlicher Fixpunkt – die Entwicklung der Inflationsrate – in Richtung Zwei-Prozent-Ziel bewegt. Den Verunsicherungen auf den globalen Märkten aufgrund der erratischen Zollentscheidungen des US-Präsidenten können deutsche Unternehmen mithin besser begegnen, wenn sie günstiger an finanzielle Mittel kommen. Sie können so leichter in ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit investieren. Dass die Unternehmen in Deutschland wieder kräftiger investieren, hängt natürlich im wesentlichen Maße davon ab, ob die neue Bundesregierung jetzt die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen schnell und konsequent umsetzt. Trotz aller geo- und handelspolitischen Turbulenzen der letzten Wochen gilt: Viele Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland sind hausgemacht. Nur wenn sich die zukünftige Wirtschaftspolitik auf die Verbesserung der zentralen Wettbewerbsfaktoren konzentriert – schnellere und vor allem digitale Prozesse, wenig Bürokratie, günstigere Energie, niedrigere Steuern – können Unternehmen Zollstürmen ebenso trotzen wie einer möglichen globalen Konjunkturabkühlung. Die Bundesregierung sollte das von der EZB geöffnete Zeitfenster günstiger Finanzierungskonditionen konsequent nutzen, um schnell deutliche Impulse für mehr Wachstum und eine umfassende Modernisierung unseres Standorts zu setzen.“
Bankenverband
Der Bankenverband schreibt: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat heute zum sechsten Mal in Folge die Leitzinsen gesenkt. Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, hält diesen Schritt für vertretbar. Angesichts der zuletzt enorm gestiegenen Unsicherheiten – auch an den Kapitalmärkten – empfiehlt er in den kommenden Wochen einen vorsichtigeren Kurs der EZB.
„Die Geldpolitik sollte nicht zu stark auf kurzfristige Erwartungen reagieren. Ohnehin sind die mittelfristigen Auswirkungen der Handelskonflikte auf die Inflation im Euroraum derzeit noch völlig unklar“, erklärt Herkenhoff. „Darüber hinaus sind die Realzinsen – also die Zinsen abzüglich der Inflation – im Euroraum inzwischen wieder auf null gesunken. Auch dies mindert den Zinssenkungsdruck der EZB“, so der Hauptgeschäftsführer weiter. Spätestens jetzt sollten die europäischen Währungshüter den auf Zinssenkungen eingestellten ‚Autopiloten‘ ausschalten. Zudem könnte eine Zinspause in dieser Situation dazu beitragen, den Blick wieder stärker auf die mittel- bis längerfristige Entwicklung zu richten.
Commerzbank: EZB lässt neutralen Zins fallen
Dr. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, schreibt aktuell (Headline-Aussage): Auf den ersten Blick hat EZB-Präsidentin Lagarde auf der heutigen Pressekonferenz jede Vorabfestlegung vermieden. Allerdings ließ sie das zuvor häufig diskutierte Konzept des neutralen Zinses fallen, dessen Untergrenze die meisten Ratsmitglieder bei 2% sehen. Damit schürte sie die Phantasie, dass die EZB ihren Einlagensatz deutlicher senken könnte. Wir sehen in unserem Hauptszenario noch zwei Zinsschritte auf 1,75%. Wenn Trump am Ende aber dauerhaft zu den reziproken Zöllen von 20% zurückkehrte, wäre ein niedrigerer Leitzins wahrscheinlich.
Bloomberg zeigt Bankenaussagen
Bloomberg berichtet aktuell wie folgt: Die Europäische Zentralbank hat die Leitzinsen wie erwartet zum siebten Mal seit Juni gesenkt und auf die erhöhte Unsicherheit aufgrund der zunehmenden Handelsspannungen verwiesen, die das Vertrauen der privaten Haushalte und Unternehmen mindern dürften. Mit der Senkung des Einlagensatzes um einen Viertelprozentpunkt auf 2,25% bestätigten die Währungshüter die nahezu einhellige Erwartung von Bloomberg befragter Ökonomen. In den geldpolitischen Beschlüssen der Zentralbank wird die Geldpolitik nun nicht länger als “restriktiv” bezeichnet. Im folgenden Kommentare zu den Entscheidungen von Bankvolkswirten aus dem deutschsprachigen Raum:
Ulrich Kater, Chefvolkswirt, DekaBank
Wenn schon die US-Notenbank unsicher ist, wie auf die Politik Donald Trumps zu reagieren ist, dann kann sich die Europäische Zentralbank hier umso mehr zurückhalten und sich auf die europäischen Belange konzentrieren. Das Preisbild ist zwar weiterhin nicht frei von Schatten, etwa im Bereich der Dienstleistungen, es gibt den heutigen Zinsschritt dennoch her. Aktuell haben die konjunkturellen Risiken für den Euroraum zugenommen. Noch ist es zu früh, hieraus Konsequenzen für die europäische Geldpolitik abzuleiten. Im Gegensatz zur Fed befindet sich die EZB in deutlich ruhigerem Fahrwasser.
Andreas Bley, Chefvolkswirt, BVR
Ich halte die heutige Zinssenkung der EZB für vertretbar. Die ohnehin schwache Konjunktur wird durch die US-Zölle zusätzlich belastet, entsprechend haben sich die geldpolitischen Parameter verschoben. Zusammen mit den preisdämpfenden Effekten des stärkeren Euro, der gesunkenen Energiepreise und der gestiegenen Unsicherheit dürfte der Inflationsdruck zurückgehen. Dennoch sollte die EZB in den kommenden Monaten vorsichtig agieren und sich nicht zu sehr von kurzfristigen Entwicklungen leiten lassen. Die expansivere Fiskalpolitik, insbesondere das deutsche XXL-Finanzpaket, könnte langfristig zu einem höheren neutralen Zins und zusätzlichem Preisdruck im Euroraum führen. Eine Zinspause wäre daher in den kommenden Monaten ratsam, um die langfristigen Auswirkungen besser abschätzen zu können.
Carsten Mumm, Chefvolkswirt, Donner & Reuschel
Die EZB zeigt sich zuversichtlich, dass sich die Inflation nachhaltig nahe des Zielwerts von 2% einpendeln wird. Zwar besteht nach wie vor ein erhöhter Lohndruck, der allerdings immer stärker durch die Margen der Unternehmen kompensiert wird, also nicht preisniveautreibend wirkt. Ansonsten fällt in der Pressemitteilung der starke Fokus auf bestehende, vor allem aus Handelskonflikten resultierende Wachstumsrisiken auf und lässt weitere Leitzinssenkungen in den kommenden Monaten erwarten. Die schwache Wachstumsdynamik und die Kombination aus deutlich aufgewertetem Euro sowie gesunkenen Rohölpreisen könnte die April-Inflation kurzfristig sogar unter das Zielniveau drücken. Zudem dürfte der neutrale Zins derzeit eher unterhalb der Marke von 2% p.a. liegen und kann als erstes Ziel der EZB-Zinssteuerung angesehen werden. Eine Zinssenkungspause ist daher aus heutiger Sicht nicht wahrscheinlich, denn potenziell preistreibend wirkende fiskalische Investitions- und Ausgabenprogramme kommen erst mittelfristig zum Tragen.
Reinhold Rickes, Chefvolkswirt, Deutscher Sparkassen- und Giroverband
Mit der heutigen siebten EZB-Leitzinssenkung in Folge setzen wir Europäer ein klares Zeichen in Richtung US-Dollar: Eine starke Währung — der Euro hat seit Ankündigung der “Trumpzölle“ Anfang April weiter an Wert gewonnen — begrenzt den Import von Inflation. Zudem ermöglicht der weiterhin intakte Prozess der Disinflation im Euroraum diesen vorsichtigen Zinsschritt. Damit werden die Zinskosten für Unternehmen und Verbraucher in der Tendenz erleichtert. Wenn es jetzt noch gelingt, die neuen Spielräume für Verschuldung begleitet von Bürokratieabbau und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren wirklich in die Stärkung der europäischen Investitionskraft umzumünzen, emanzipiert sich der Euro weiter im Weltwährungssystem.
Ulrike Kastens, Volkwirtin Europa, DWS
Die Europäische Zentralbank hat auf die zunehmenden Konjunkturrisiken und die Gefahr sich verschlechternder Finanzierungsbedingungen im Euroraum mit einer erneuten Senkung des Einlagensatzes auf nunmehr 2,25% reagiert. Datenabhängigkeit steht zwar weiterhin im Vordergrund, doch dürfte sich der Disinflationstrend in den kommenden Monaten durch die Entlastung bei den Energiepreisen und durch die Aufwertung des Euro weiter verstärken. Damit bleibt die Tür für weitere Zinssenkungen weiter deutlich geöffnet.
Christian Lips, Chefvolkswirt, NordLB
Angesichts der massiven Abwärtsrisiken für die globale Wirtschaft war die heutige Zinssenkung folgerichtig und dürfte auch noch nicht die letzte Senkung gewesen sein. Die Folgen der Handelsverspannungen sind zwar nicht absehbar, für Europa dürfte aber kurzfristig der negative Nachfrageschock dominant sein. Dies erleichtert der EZB auch die Entscheidung, bei Bedarf stabilisierend gegen ungerechtfertigte, ungeordneten Marktdynamiken vorzugehen.
Die Handelskonflikte und die hohe Unsicherheit über die weitere Entwicklung bestimmen derzeit alles. Dies zeigt sich auch in der Streichung der Einschätzung im Statement, ob das Zinsniveau aktuell (noch) restriktiv wirke bzw. in welchem Ausmaß. Dies darf nicht missverstanden werden als Absage an weitere Zinssenkungen. Wegen der hohen Unsicherheit bleibt die EZB bei ihrem graduellen Ansatz und entscheidet über geldpolitische Maßnahmen von Sitzung zu Sitzung. Angesichts des veränderten Makroumfelds ist mit einer Fortsetzung der geldpolitischen Lockerung der EZB zu rechnen.
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