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EZB-Klausur in Sintra auf der Zielgerade des Zinserhöhungszyklus

Die EZB veranstaltet ab heute ihr Sintra-Treffen. Man befindet sich auf der Zielgeraden des Zinserhöhungszyklus. Jetzt wird es knifflig.

Die Ratsmitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) haben diese Woche in dem malerischen portugiesischen Bergdorf Sintra Gelegenheit, ihre Differenzen persönlich beizulegen — vor allem jene über die Frage, wann sie ihre Zinserhöhungskampagne zu Ende bringen sollen. Seit ihrer letzten Klausur haben sie die Zinssätze um 400 Basispunkte angehoben (im TradingView Chart sehen wir EZB-Leitzins und Einlagenzins seit Herbst 2020). Doch nun sind sich Präsidentin Christine Lagarde und ihre Kollegen unsicher, wie viel sie noch tun müssen, um die Inflation auf den Weg zurück zu 2 % zu bringen.

EZB-Zinsen im Verlauf seit Herbst 2020

EZB-Zinsen: Weitere Anhebung im Juli – und dann?

Eine weitere Anhebung im Juli ist so gut wie sicher. Bloomberg berichtet: Die Frage ist, ob danach eine Pause angebracht ist, um die immer noch nicht vollständig entfalteten Auswirkungen der bisherigen Straffung der Geldpolitik zu bewerten — oder ob nach der Sommerpause weitere Maßnahmen erforderlich sind, um die hartnäckige Kerninflation anzugehen.

“Die beiden Schlüsselelemente der Debatte sind die zeitliche Verzögerung der Geldpolitik, auf die die Tauben hinweisen werden, und die Tatsache, dass die Kerninflation sehr hartnäckig bleibt, was die Falken anführen werden”, sagte Mohit Kumar, ein Volkswirt bei Jefferies. “Es ist ein sehr schmaler Grat, wer gewinnt”.

Die jüngsten Anzeichen konjunktureller Schwäche in der Eurozone — die bereits eine leichte Rezession erlebt hat — dürften ihnen dabei Kopfzerbrechen bereiten. Die meisten Ökonomen gingen zuletzt davon aus, dass die Anhebung des Einlagensatzes auf 3,75 % im Juli die letzte Zinserhöhung der EZB sein werde. Nachdem jedoch die Projektionen für die mittelfristige Teuerung in diesem Monat leicht nach oben korrigiert wurden, rechnen immer mehr mit einem weiteren Schritt von einem Viertelpunkt auf der nächsten Sitzung im September. Auch die Märkte tendieren zu diesem Szenario. Über den September hinaus will allerdings bislang nur der belgische Gouverneur Pierre Wunsch weiter straffen.

Bloomberg Economics dazu sagt: “Die straffe Geldpolitik wird in diesem Jahr zu einer Wirtschaft am Rande der Stagnation führen, und die hartnäckige Kerninflation bedeutet, dass eine Zinssenkung nicht vor Mitte 2024 zu erwarten ist.”
—Jamie Rush und Maeva Cousin. Gesamte Analyse hier.

“Der Fokus liegt auf der Kernrate, weil hier die größte Unsicherheit herrscht, aber auch, weil sie am wichtigsten ist, um die Gefahr einer höheren längerfristigen Dynamik in den Griff zu bekommen”, so Dirk Schumacher, Ökonom bei Natixis. “Wenn die Kernrate in den nächsten drei Monaten sinkt, werden die Tauben sagen, dass alle Bedingungen erfüllt sind”, um Zinserhöhungen zu verhindern.

Blick auf die Kerninflation

Das könnte sich als eine hohe Hürde für die EZB erweisen. Aufgrund des Basiseffekts durch das 9-Euro-Bahnticket im vergangenen Jahr in Deutschland wird die Kerninflation von Juni bis August in die Höhe getrieben, wie sich voraussichtlich schon diese Woche in den Inflationszahlen zeigen wird. Eine starke Tourismussaison und eine rekordverdächtig niedrige Arbeitslosigkeit werden nach Ansicht von DWS-Ökonomin Ulrike Kastens den Preisanstieg ebenfalls nach oben drücken. “Ich sehe nicht viel Spielraum für eine Abschwächung der Kerninflation unter 5%, wenn ich mir die Dienstleistungen und die anstehenden Projekte ansehe”, sagte sie. “Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Löhnen stechen im Moment andere Argumente aus.”

Entwicklung der Inflation in den USA, UK und Eurozone

EZB lädt Notenbanker nach Sintra ein

Über dieses und andere Themen werden ab heute in Sintra — der Euro-Version des jährlichen Treffens der Federal Reserve in Jackson Hole — Fed-Chef Jerome Powell, der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, und der Gouverneur der Bank of Japan, Kazuo Ueda, sprechen. Auf der Tagesordnung des Treffens stehen Themen wie Angebotsschocks, Fiskalpolitik und die immer noch aufgeblähte Bilanz der EZB. Es wird auch eine Debatte über die Wirtschaftsprognosen geben, die weit daneben lagen, als die Wiedereröffnung nach der Pandemie und Russlands Angriff auf die Ukraine die Preise in die Höhe trieben.

Die meiste Aufmerksamkeit wird jedoch der Frage gelten, wo sich die Zinssätze im Euroraum einpendeln werden. Die letzte Bloomberg-Umfrage unter Volkswirten ergab zwar, dass die EZB genau die richtige Dosis an Straffung vornimmt — doch die letzte Phase des Zyklus könnte noch die schwierigste werden. “Bis jetzt war es ziemlich einfach, Geldpolitik zu betreiben”, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel vor kurzem. “Jetzt beginnt die Kunst der Geldpolitik.”

FMW/Bloomberg

EZB-Präsidentin Christine Lagarde
EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Photographer: Alex Kraus/Bloomberg


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