So klar hört man es selten: ein hohes EZB-Mitglied sagt, dass Schluss ist mit der Anhebung der Zinsen – und deutet für das nächste Jahr sogar Zinssenkungen an. Dieses EZB-Mitglied ist der französische Notenbank-Chef Villeroy – und ein Blick auf Frankreichs Schulden zeigt, warum der französische Notenbanker durchaus ein Interesse haben könnte an sinkenden Zinsen!
Unser Nachbarland ist nämlich mit mehr als 100% seines BIPs verschuldet. Aber problematischer ist fast noch, dass die (meist staatsnahen) großen französischen Unternehmen massiv verschuldet sind. Zählt man Staatsveschuldung, Schulden der Haushalte und vor allem die Unternehmensschulden zusammen, ist Frankreich in Relation zu seinem BIP sogar stärker verschuldet als Griechenland.
Daniel Stelter hat es so formuluiert: „Frankreich ist der Schuldensünder der EU. Deshalb liegt es im strategischen Interesse der dortigen Politik, zu einer Schulden- und Transferunion zu kommen und die EZB zur Monetarisierung einzuschalten“.
EZB-Direktoriumsmitglied Villeroy: Schluss mit Anhebung der Zinsen – 2024 könnte sie fallen
Unter dieser Voraussetzung gewinnen die Aussagen von Villeroy schon deshalb an Brisanz, weil Bundesbank-Chef Nagel derzeit ziemlich genau das Gegenteil sagt. Er schließt eine weitere Anhebung der Zinsen explizit nicht aus und will die Zinsen lange hoch lassen.
Ganz anders sein französischer Kollege Villeroy. Die EZB sei jetzt noch nicht bereit, eine Senkung der Zinsen in Erwägung zu ziehen, sondern wird die Frage irgendwann im Laufe des Jahres 2024 prüfen, sagte der Gouverneur der Bank von Frankreich, Francois Villeroy de Galhau laut Bloomberg.
„Wenn es keinen Schock gibt, sind Zinserhöhungen jetzt vorbei“, so Villeroy auf einer Konferenz in der Nähe von Paris. „Die Frage einer Senkung der Zinsen kann sich stellen, wenn es im Jahr 2024 soweit ist, aber nicht jetzt: Wenn ein Mittel wirksam ist, muss man geduldig genug sein, was seine Dauer angeht“.
Villeroy sagte, dass die Daten der Eurozone vom Donnerstag, die eine deutliche Verlangsamung der Inflation gezeigt hatten, darauf hindeuten, dass der Prozess der Disinflation „noch schneller als erwartet verläuft“, vor allem im Dienstleistungssektor, wie die Bank von Frankreich mitteilte.
„Dies gilt insbesondere für den Dienstleistungssektor“, heißt es in den Kommentaren der Bank von Frankreich. „Es könnte eine mehrmonatige Pause geben, aber dies stützt unsere Prognose, dass die Inflation bis spätestens 2025 in Richtung 2% zurückkehren wird, sofern es keine externen Schocks gibt“, sagte er.
Wird Frankreich abgestuft?
Dabei droht Frankreich heute eine Rating-Abstufung durch S&P Global. Ein Jahr, nachdem Präsident Emmanuel Macron gewarnt wurde, dass die Kreditwürdigkeit Frankreichs einer genaueren Prüfung unterzogen wird, wird die Möglichkeit einer Herabstufung immer größer.
Angesichts einer Verschuldung von 110% des Bruttoinlandsprodukts werden die von S&P Global Ratings festgelegten Kriterien für die Beibehaltung der AA-Bewertung auf die Probe gestellt. Für den heutigen Freitag, fast genau 12 Monate nach der Ankündigung eines negativen Ausblicks, ist eine Aktualisierung des Ratinngs geplant.
Gestern veröffentlichte Daten hatten gezeigt, dass die französische Wirtschaft im dritten Quartal unerwartet geschrumpft ist. Eine Rating-Herabstufung könnte der Präsidentschaft Macrons, der sich seit seinem Amtsantritt 2017 an Zusagen für wirtschaftliche Reformen und fiskalische Korrektheit gehalten hat, einen weiteren Schlag versetzen.
FMW/Bloomberg
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