Mit dem vermeintlichen Abflauen der Bankenkrise haben jene Mitglieder in der EZB wieder Auftrieb, die die Zinsen aufgrund der hohen Kerninflation weiter anheben wollen – aber vor allem Vertreter der Südländer fürchten eine Kredit-Klemme und warnen vor einem zu aggressiven Vorgehen der europäischen Notenbank. So der Portugiese Centeno und der Italiener Ignazio Visco. Wer wird sich durchsetzen – die geldpolitischen Falken oder doch die Tauben?
EZB-Ratsmitglied Visco: Kredit-Klemme droht – Vorsicht bei Zinsen angebracht
Die EZB sollte nach Ansicht von Ignazio Visco bei einer künftigen Erhöhung der Zinsen vorsichtig vorgehen – wie Blooomberg berichtet. Das italienische EZB-Ratsmitglied wies darauf hin, dass sich das Kredit-Wachstum verlangsamt habe, während Risiken für die Finanzstabilität im Gefolge der Bankenkrise fortbestünden.
Die Mitglieder des EZB-Rats sollten an ihrem Ansatz festhalten, von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden, sagte Visco im Interview mit Bloomberg TV. Hintergrund sei der Umstand, dass die Anhebung der Zinsen erst nach und nach die volle Wirkung entfalten.
“Wir haben jetzt keine Kredit-Klemme – wir haben eine Verringerung der Kredit-Vergabe für den Unternehmenssektor und eine erhebliche Verlangsamung der Kredit-Vergabe an die Haushalte, und das alles innerhalb weniger Monate”, konstatierte der Chef der Notenbank Italiens. “Die stark verzögerte Wirkung bedeutet, dass wir noch nicht alle Auswirkungen unserer geldpolitischen Maßnahmen sehen können. Deshalb schließe ich eine Anhebung der Zinsen nicht aus, doch ich denke, wir müssen umsichtig, vorsichtig und geduldig sein.”
EZB in der Klemme: zwei Risiken
Innerhalb des EZB-Rates gilt Visco als Taube. Klaas Knot aus den Niederlanden, der zu den Falken gehört, sagte diese Woche in einem Zeitungsinterview, dass die EZB nach der nächsten Sitzung am 4. Mai möglicherweise im Juni und Juli die Zinsen weiter anheben müsse.
Visco räumte ein, dass ein Verzicht auf eine weitere Erhöhung der Zinsen zum jetzigen Zeitpunkt auch mit Risiken verbunden sein könnte. Dies mindere jedoch nicht die Notwendigkeit der Vorsicht, fügte er hinzu.
“Es gibt zwei Risiken: Wenn wir zu wenig tun, könnte das Risiko bestehen, dass wir in Zukunft mehr tun müssen, was für die Wirtschaft teurer wäre”, führte er aus. “Wenn wir zu viel tun, könnten wir es übertreiben, vor allem jetzt, da wir einige Risiken für die Finanzstabilität erkennen — die zwar nicht direkt für den Euroraum relevant sind, aber es könnte zu Ansteckungseffekten und Risiken kommen.”
Der 73-jährige Chef der italienischen Zentralbank ist einer der Veteranen im EZB-Rat. Nach Knot ist er dessen zweitältestes Mitglied. Er wird auch der nächste sein, der ausscheidet, da seine zweite, nicht verlängerbare Amtszeit im Oktober endet. Dies bietet der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni und ihrer Rechts-Koalition die Möglichkeit, einen neuen Gouverneur nach ihren Vorstellungen auszuwählen.
FMW/Bloomberg
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