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Strukturelle Probleme EZB wird die Zinsen senken – Aber hilft das der Wirtschaft?

EZB wird die Zinsen senken - Aber hilft das der Wirtschaft?
Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Foto: Alex Kraus/Bloomberg

Bei der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank am Donnerstag dürften EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihre Kollegen die nächste Zinssenkung verkünden. Angesichts der rückläufigen Inflation und der anhaltend schwachen Wirtschaft im Euroraum gilt eine Senkung der Zinsen um 25 Basispunkte als so gut wie sicher. Allerdings stellt sich die Frage, ob eine Zinssenkung der schwächelnden Konjunktur wirklich neuen Schwung verleiht. Auch innerhalb der EZB wird darüber gestritten, inwieweit Zinssenkungen die Wirtschaft ankurbeln können.

Zinsen werden weiter sinken

Vertreter der Europäischen Zentralbank sind sich einig, dass niedrigere Zinsen notwendig sind, um die schwächelnde Wirtschaft in der Region anzukurbeln. Umstritten ist jedoch, wie stark sie tatsächlich helfen können, so ein Bericht von Bloomberg.

Einige Notenbanker, vor allem aus den Südstaaten, drängen auf rasche Zinssenkungen, um Verbraucher zum Konsum und Unternehmen zu Investitionen zu bewegen. Andere sind vorsichtiger und meinen, Herausforderungen wie hohe Energiekosten und Fachkräftemangel seien nicht Aufgabe der Geldpolitik.

Je nachdem, wer sich durchsetzt, wird die EZB am Donnerstag die Zinsen zum vierten Mal um einen Viertelpunkt senken. Da die Inflation weitgehend besiegt ist, setzen die Anleger darauf, dass die EZB die Kreditkosten im nächsten Jahr auf ein Niveau senken wird, das die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln dürfte.

Wirtschaftsschwäche: Konjunkturell oder strukturell?

„Im EZB-Rat gehen die Meinungen darüber auseinander, inwieweit die aktuelle Konjunkturschwäche konjunkturell oder strukturell bedingt ist“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg. „Diese Debatte wird entscheidend für die Entscheidung sein, ob der neutrale Zinssatz unterschritten wird oder nicht. Tatsächlich ist es eine Mischung aus beidem, was bedeutet, dass die EZB ihren Teil dazu beitragen muss. Zinssenkungen sind aber kein Allheilmittel für die Wirtschaft.

Zwar hat sich das Wachstum in der Eurozone im dritten Quartal unerwartet beschleunigt, doch deuten die jüngsten Daten auf eine erneute Abschwächung hin. Auch der Gegenwind wird stärker – von der Rückkehr Donald Trumps und möglichen Handelszöllen über den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten bis hin zu den politischen Krisen in Frankreich und Deutschland, den größten Volkswirtschaften der Eurozone.

Wirtschaft des Euroraums wächst im dritten Quartal um 0,4 Prozent

Vorteile niedrigerer Zinsen

Deutschland, das Schwergewicht des verarbeitenden Gewerbes, steht im zweiten Jahr in Folge vor einer Schrumpfung und im Februar vor vorgezogenen Neuwahlen. Frankreich, die Nummer 2 in der Eurozone, leidet unter seinen eigenen politischen und fiskalischen Turbulenzen.

Vor diesem Hintergrund hat eine Zinssenkung der EZB klare Vorteile: Sinkende Zinskosten für die privaten Haushalte und eine geringere Attraktivität des Sparens dürften den privaten Konsum ankurbeln, der gerade erst erste Lebenszeichen von sich gibt.

Günstigere Kredite könnten auch die Unternehmen zu Investitionen anregen – insbesondere die Häuslebauer, deren sinkende Gewinnmargen ihre Ausgabenspielräume einschränken.

„Vor allem in Zeiten des politischen Vakuums wäre es ein Signal des Vertrauens, wenn die einzige quasi-föderale Institution der Eurozone ihre Handlungsfähigkeit und -bereitschaft unter Beweis stellen würde“, sagt Gilles Moec, Chefökonom der Axa-Gruppe.

Der Gouverneur der italienischen Zentralbank, Fabio Panetta, ist einer der lautesten Befürworter einer raschen Lockerung der Geldpolitik und schließt nicht aus, sich auf expansives Terrain zu begeben.

„In der jetzigen Phase sollten wir uns mehr auf die Trägheit der Realwirtschaft konzentrieren“, sagte er letzten Monat und warnte, dass die gedämpfte Binnennachfrage dazu führen könnte, dass die Inflation das Ziel von 2% verfehlt.

Risiken zu starker Senkungen

Eher restriktiv eingestellte Politiker wie EZB-Direktorin Isabel Schnabel warnen jedoch davor, dass Zinssenkungen nicht wirksam sein könnten, wenn die Probleme, die sie lösen sollen, auch struktureller Natur sind. Solche Schwächen sind vielfältig und umfassen eine niedrige Produktivität, eine abnehmende Wettbewerbsfähigkeit, eine ungünstige demografische Entwicklung und eine mangelnde Finanzintegration.

„Wenn Unternehmen aus anderen Gründen als der Geldpolitik nicht investieren, kann eine Senkung der Zinsen unter das neutrale Niveau die Investitionen nicht ankurbeln“, sagte Schnabel im November gegenüber Bloomberg. „Um das zu erreichen, braucht man strukturelle Maßnahmen.“

In einer solchen Situation könnten die Kosten des Wechsels sogar die Vorteile überwiegen, da sie „wertvollen politischen Spielraum“ verschlingen, der zur Abfederung künftiger Schocks benötigt werden könnte, sagte sie.

Finnlands Olli Rehn argumentierte, dass die Unterscheidung zwischen strukturell und zyklisch „nie ganz klar“ sei.

„Auch wenn die längerfristigen Wachstums- und Wettbewerbsherausforderungen Europas nicht durch geldpolitische Instrumente gelöst werden können, wissen wir, dass Investitionen von vielen Faktoren angetrieben werden, nicht zuletzt von der Gesamtnachfrage, die natürlich von den finanziellen Bedingungen beeinflusst wird“, sagte er. Nach den jüngsten Angebotsschocks sollte eine Lockerung der finanziellen Bedingungen dazu beitragen, „Narbeneffekte bei den Investitionen zu vermeiden, die für längerfristige Produktivitätssteigerungen erforderlich sind“.

Wie weit senkt die EZB?

Von Bloomberg befragte Ökonomen gehen davon aus, dass sich die Zinsen bei 2 % einpendeln werden – ein Niveau, das weder als wachstumshemmend noch als wachstumsfördernd gilt. Die Märkte hingegen erwarten zumindest eine große Zinssenkung, die die Zinsen um einen Viertelpunkt unter dieses Niveau drücken wird.

Ob der Einlagensatz, der derzeit bei 3,25 % liegt, von der EZB unter das neutrale Niveau gesenkt wird, ist vielleicht die umstrittenste Frage. Wie Panetta sagte auch der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau im November, er schließe „einen solchen Schritt in der Zukunft nicht aus, wenn das Wachstum der Wirtschaft gedämpft bleibt und die Inflation unter das 2%-Ziel zu fallen droht“.

Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, hat jedoch erklärt, er sehe derzeit kein „signifikantes Risiko“, dass die Inflation unter 2% fallen könnte, was eine expansive Politik in naher Zukunft rechtfertigen würde.

Das ist der Kampf, der in den kommenden Monaten ausgefochten werden wird, auch wenn die meisten Ökonomen eher zu denjenigen gehören, die eine Mischung aus konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen sehen und die Grenzen der Geldpolitik betonen – und auch befürchten, dass die EZB erneut überfordert sein könnte.

Zinssenkungen „werden nicht auf magische Weise alle strukturellen Probleme lösen“, sagte Katharine Neiss, Chefvolkswirtin für Europa bei PGIM Fixed Income. „Sie müssen Hand in Hand gehen mit Strukturreformen und einer ergänzenden Fiskalpolitik. Wir brauchen also wirklich ein einheitliches und kohärentes Politikpaket.

FMW/Bloomberg



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5 Kommentare

  1. Fa die EZB doe Zinsen nur per Gießkannenprinzip hebt und senkt hat sie enorm großen Schaden angerichtet! Ein gezieltes und differenziertes agieren hätte uns helfen können, aber so ist die EZB zu einem der größten Risiken für die Wirtschaft Europas mutiert.
    Einfach irre, wie stumpfsinnig und weltfremd hier agiert wird!

  2. Das Rumfummeln an der Zinsschraube sollte mal eine Weile beendet werden!

  3. 👍👍👍

  4. Schönredner sind Nichtwisser oder Lügner

    Da gibt’s wieder totale Falschmeldungen von Schönredner- Profis. Psychologie spielt mit und eine kleine Zinssenkung erhöht nicht den Konsum im Umfeld von Entlassungen und Schocknachrichten. Die Leute sparen eher wieder. Genauso investieren Firmen nicht mehr wenn viele entlassen müssen und nicht wissen was die Industrie- Massenmörder morgen wieder anstellen. Ja sie investieren höchstens in den Umzug ins Ausland.

  5. Nur dumm, dass ichs am eigenen Leib erlebt habe, was die krasse Zinssteigerung für Zwischenfinanzierungen, bzw. in der Industrie sowieso variable Kredite bedeutet hat. Wir sind einigermaßen ruiniert und viele Firmen konnten diesem Schwachsinn auch nichts entgegensetzen.
    Sorry, aber Betroffene wissen, was die EZB für ein Sauhaufen ist!

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