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Geldpolitik EZB mit Rekord-Zinsanhebung – was die Experten von 8 Banken dazu sagen

Die EZB hebt die Zinsen um 75 Basispunkte an. An dieser Stelle zeigen wir dazu die aktuellen Aussagen von 8 verschiedenen Banken.

EZB-Tower in Frankfurt

Rekord! Die EZB hat alle drei Zinssätze um jeweils 0,75 Prozentpunkte angehoben (hier der komplette Text mit allen Details). War das der richtige, kraftvolle Schritt im Kampf gegen die Inflation? Oder geht man damit zu weit, und verschärft eher noch die anrollende Rezession in Europa, weil durch stark steigende Zinsen die Kreditkosten für Unternehmen steigen? In diese Richtung geht zumindest die Meinung von Robin Brooks vom Institute of International Finance, die er in den letzten Tagen öffentlich vehement vertreten hatte. Die EZB-Entscheidung ist nun 50 Minuten her. An dieser Stelle drucken wir die Kommentare zur Entscheidung ab, die von den Volkswirten von acht verschiedenen Banken aus dem deutschsprachigen Raum abgegeben wurden, zusammengetragen von Bloomberg.

Gunter Deuber, Chefvolkswirt, Raiffeisen Bank International

Die EZB liefert nun Zinsanhebungen im Sauseschritt. Zur Debatte stand heute wohl eine Anhebung um 50, 75 oder sogar 100 Bp. Nach den jüngsten Auftritten von EZB-Notenbänkern wären “nur” 50 Bp eine negative Überraschung gewesen und hätten am Markt wohl Fragen aufgeworfen. Der heutige Zinsschritt strahlt dagegen Entschlossenheit aus.

Mit der Verschärfung der Gangart lässt sich die EZB aber die Tür zu entschiedeneren Zinsschritten weiter offen. Dies passt zum Ende August in Jackson Hole von der EZB-Direktorin Schnabel in den Raum gestellten „robusten Kontrollansatz“ bei der Inflationsbekämpfung.

Nicht nur das Ausmaß des heutigen Zinsschrittes ist für die Eurozone historisch, sondern auch das Timing. Man muss weit in die Geschichte zurückblicken, um rasche Zinsanhebungen bei einem gleichzeitigem Konjunkturabschwung zu finden. Somit ist aber auch das Drehbuch klar. Anders als in den 1970er Jahren soll nicht zu lange zugewartet werden, sodass sich die hohe Teuerung dann in den Erwartungen festfrisst.

An eine Reduktion der Anleihebestände – wie es die Fed vorzeigt – traut sich die EZB noch nicht heran. Im Gegenteil, die Zinsstraffung wird sogar mit zusätzlichen und gezielten QE Initiativen begleitet. Die Abweichungen vom Kapitalschlüssel bei den Staatsanleihekäufen haben sich in den letzten Wochen massiv erhöht.

Jochen Intelmann, Chefvolkswirt, Hamburger Sparkasse

Die EZB hat die Markterwartungen erfüllt, indem sie alle drei Leitzinsen um 75 Basispunkte erhöhte. Sie scheint bestrebt zu sein, möglichst rasch in den Zielbereich zu gelangen. Denn aktuell werden die Zinserhöhungen noch überwiegend von Beifall begleitet, weil sie die Inflationsängste dämpfen. Sollten die Quartalswachstumsraten des BIP im Winterhalbjahr aber erst einmal negativ geworden sein, dürfte der Gegenwind für eine restriktive Geldpolitik immer stärker werden. Alles richtig gemacht.

Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt, IKB

Die heutige Erhöhung der Zinsen um 75 Bp, die vom Markt erwartet wurde, bedeutet nur eine marginale Straffung – reale Zinsen bleiben tief negativ. Auch wird die EZB erhöhtem Druck auf die Fiskalpolitik der Eurozone durch ihr Fragmentierungsprogramm TPI gegensteuern.

Die Zinspolitik ist weiterhin von einem effektiven und spürbar dämpfenden Einfluss auf den Inflationsprozess weit entfernt. So muss die EZB bei ihren Inflationsprognosen weiter darauf vertrauen, dass es eher Rohstoffpreise und vor allem eine allgemeine Konjunktureintrübung sind als eine spürbar straffere Zinspolitik, warum die Inflationsrate nachlassen wird.

Soll das Risiko der Inflationsprognosen vor allem mittelfristig ausgeglichen sein, muss sich die EZB so schnell wie möglich von ihrer immer noch expansiven Geldpolitik verabschieden. Deshalb ist für die verbleibenden zwei EZB-Treffen in diesem Jahr von weiteren Zinserhöhungen um jeweils mindestens 50 Bp auszugehen.

Behält die EZB den eingeschlagenen Pfad der zügigen Zinsstraffung bei, wird sich auch das Abwertungsrisiko des Euro wieder relativieren. Bundrenditen haben weiter Luft nach oben.

Christian Lips, Chefvolkswirt, NordLB

Nach den vielen Stimmen aus dem Rat, die angesichts des nochmals verschlechterten Inflationsumfeld mehr oder weniger offen für einen großen Zinsschritt von 75 Bp plädiert hatten, konnte der Rat heute kaum noch hinter dieser Forderung und den entsprechenden Markterwartungen zurückbleiben. Alles andere wäre wohl als zögerlich interpretiert worden, und hätte Zweifel an der Entschlossenheit genährt und den Euro weiter unter Druck gesetzt.

Die neuen Projektionen spiegeln das sich verschlechternde gesamtwirtschaftliche Umfeld. Nach einem überraschend gut verlaufenen ersten Halbjahr dominieren mit Blick auf die Konjunktur im Winter klar die Abwärtskräfte. Die konjunkturelle Abschwächung und das steigende Rezessionsrisiko wird aber aus geldpolitischer Sicht weiterhin von dem massiven Inflationsdruck dominiert.

Die erneut erhebliche Aufwärtskorrektur der Projektionen zur Inflationsrate verdeutlichen das Dilemma der Notenbank. Die Energiekrise schiebt die europäische Wirtschaft in Richtung Stagflation, eine wahrhaft unangenehme Konstellation für die Geldpolitik.

Die Falken haben sich im Rat durchgesetzt, nachdem sie die Tagung in Jackson Hole clever genutzt hatten, den neuen Kurs abzustecken. Es ist zu begrüßen, dass die EZB ein klares Signal der Entschlossenheit sendet. Mit weiteren Zinsschritten auf den kommenden Sitzungen verlässt sie auch im Tempo angemessen den bislang noch viel zu akkomodierenden geldpolitischen Kurs. Mit dem Frontloading kann sie wieder vor die Kurve gelangen.

Michael Holstein, Chefvolkswirt, DZ Bank

Die EZB hat sich zum größten Zinsschritt ihrer Geschichte durchgerungen. Die Entscheidung hatte sich seit einigen Tagen abgezeichnet, denn angesichts der galoppierenden Inflationsraten war im EZB-Rat das Lager der Tauben immer kleiner geworden. Gleichzeitig hat die EZB für die kommenden Meetings weitere Zinserhöhungen angekündigt, abhängig von der Entwicklung des wirtschaftlichen Umfelds. Nicht einmal mehr die EZB selbst erwartet auf mittlere Sicht das Erreichen ihres Inflationsziels von 2%.

Die außergewöhnlich hohe Leitzinsanhebung ist zu begrüßen. Sie kommt spät, denn die EWU-Wirtschaft befindet sich bereits auf dem Weg in die Rezession. Nun muss die EZB eine mögliche Verschärfung des konjunkturellen Abschwungs riskieren, um den Inflationsauftrieb abzubremsen. Für die Notenbank ein Dilemma – doch ein längeres Zuwarten wäre sicher noch teurer als ein beherztes Gegensteuern.

Jens-Oliver Niklasch, Senior Economist, Landesbank Baden-Württemberg

Ein klarer Sieg für die Falken im EZB-Rat. Angesichts der Inflationsdaten war dies auch höchste Eisenbahn. Bemerkenswert ist der starke Anstieg der Projektionen für die Inflationsrate. Wurden die Modelle der EZB nachkalibriert? Oder hat man die Prognosen im Lichte der jüngeren Vergangenheit mit einem Risikoaufschlag versehen?

In jedem Fall ist begrüßenswert, dass im Euro-Tower anscheinend ein ungeschminkter Realismus Einzug gehalten hat. Die EZB entscheidet nun von Meeting zu Meeting und das ist gut so. Der natürliche Feind der Notenbank ist nun einmal die Inflation und darauf konzentriert sie all ihre Kräfte.

Reinhold Rickes, Chefvolkswirt, Deutscher Sparkassen- und Giroverband

Die EZB hat geliefert. Dieser kräftige zweite Schritt kann aber erst der Anfang sein. Ein Blick in die USA in Richtung Fed lehrt uns, dass noch mindestens zwei weitere kräftige Schritte folgen sollten. Und dies, obwohl die Rezessionsglocken im Euroraum im lauter Leuten. Dennoch gilt es heute mehr denn je Kurs gegen die deutlich zu hohe Inflation mit Raten um die 10% zu halten. Weitere Schritte müssen anlässlich der nächsten EZB-Pressekonferenzen folgen bis das Leitzinsniveau mindestens deutlich über 2% liegt.

Felix Herrmann, Chefvolkswirt, Aramea Asset Management

Die Anhebung um 75 Basispunkte heute dürfte letztlich für den EZB-Rat alternativlos gewesen sein. Hätte sich die EZB für einen kleinen Schritt entschieden, wäre wohl nicht nur der Euro auf Tauchstation gegangen (und hätte so die Inflation weiter angefacht), sondern auch die Sorgen davor, dass die Zentralbank das Inflationsproblem nicht ernst genug nimmt, wären nochmals stark gestiegen. Mit der Erwartung im Hinterkopf, dass die Inflation in der Eurozone im vierten Quartal knapp zweistellig werden könnte, wollte man offenbar vermeiden, sich im Herbst gleich wieder weit hinter der Kurve wiederzufinden.

Angesichts der unausweichlichen Rezession in der Eurozone über das Winterhalbjahr dürfte der Zinsanhebungsschritt heute auch Ausdruck des Versuchs seitens der EZB sein, bis Jahresende so viele Straffungsschritte wie möglich unterzubekommen.

Weiterhin steht vor dem Hintergrund der deutlichen schlechteren konjunkturellen Lage in der Eurozone jedoch zu erwarten, dass sich die EZB früher als FED über ein Ende der geldpolitischen Straffung Gedanken machen muss. Der Markt preist aktuell eine „Terminal Rate“ von 2,13%. Dieser Wert erscheint aus heutiger Sicht realistisch zu sein.

FMW/Bloomberg



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2 Kommentare

  1. Ach so, und mit diesen Zinsschritten kriegen wir dann den Ölpreis (ich habe Ölheizung) runter ? und die Gasheizer denken ebenso. Der Ölpreis sinkt ja auf dem Weltmarkt, nur hier im Lande ? mehr als doppelt soch im Einkauf wie Dez. 2021. Und mehr als 3x so hoch wie 2020. Und der Strompreis wird dann auch sinken, oder ? Denn diese machen die Inflationstreiber aus, ebenso wie im Euroraum die Euroschwäche.
    Aber wenn sie 100 oder 125 BP angehoben hätten, dann würden ja die armen Aktionäre leiden, die sich dann gezwungen sähen endlich zu verkaufen. Denn wenn ich mir nach einem Einbruch den Chart ansehe wie er wieder steigt und als Ziel die 13.000 hat frag ich mich warum überall von Rezession gesprochen wird und es sollen Unternehmen aufhören (Insolvenz) oder Produktionen drosseln. Auch der Einzelhandel soll leiden. Die Börsianer sind immer noch bullisch drauf. Wachstum, Wachstum ohne Ende. Anscheinend bedenken sie nicht das die Grünen immer mehr das Sagen haben und die sind gegen Wachstum (natürlich sagen sie das nicht). Nachhaltigkeit ist das Zauberwort. Ist inflationär geworden.

  2. Die 0.75% waren eine reine Pflichtuebung, um das „vergruente“,
    aber verlorene (Amateur) Gesicht aufzuhuebschen!

    Denn hinter dem Ruecken ist eh kein Platz mehr. Das ist keine „grosse“ Entschlossenheit,
    sondern nicht mehr, und nicht weniger, als eine durch reale Fakten, erzwungene Notwendigkeit!
    Der man nun doch irgendwie, wenn auch nur widerwillig, nachgegeben hat.

    Um ein wirkliches „Zeichen“ zu setzen, waere 1% angesagt gewesen.

    Die Stellungnahmen von Madame La Garde, sollte man in Zukunft besser weglassen!
    Das kann ein Praktikant, mindestens genauso gut.
    Sie macht naemlich aus 0.75%, in drei Saetzen (!), gleich wieder 0,25%!

    Mit TPI, der Schuldenfinanzerung (nicht nur des des Club Med),
    und eine gruen-ideologisch politisierte Agenda, eigentlich nicht mehr, als viel Rauch um Nichts!
    Die in der Mehrzahl, fast Kritiklosen, eher lobenden, Banker-Kommentare
    bestaetigen eigentlich nur die bekannte, und desolate Situation.
    Aber im „Kokon“ ist es anscheinend immer noch ganz gemuetlich.

    Diese Art von Rueckwaertsgang, mit angezogener Handbremse, reicht noch nicht mal dazu,
    die „neue“ Weich-Waehrung zu stuetzen, geschweige denn zu staerken.
    „Prinzip Hoffnung“!
    Auf ein moegliches US Wirtschafts- und Dollar Debakel?
    Schon oft erhofft, oder befuerchtet. Aber nie eingetreten.

    Mal sehen, wer diesmal wieder den laengeren Atem hat.
    Ob „Demorats“, oder „Trumptards“, spielt da, nebenbei bemerkt, ueberhaupt keine Rolle!

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