Die Europäische Zentralbank (EZB) wird nächste Woche die Botschaft verkünden, dass die Zinsen noch für einen längeren Zeitraum hoch bleiben werden – und das trotz der steigenden Risiken für die Konjunktur. Das erwarten von Bloomberg befragte Volkswirte. Die Befragten rechnen nicht mit weiteren Zinserhöhungen und gehen davon aus, dass der EZB-Rat im Januar bestätigen wird, dass der Höchststand der Zinssätze erreicht wurde. Sie erwarten die erste Zinssenkung im September 2024. Davor schon dürften die Währungshüter den Bilanzabbau beschleunigen.
EZB wird Wirkung abwarten
Die EZB hat den Einlagensatz in 10 aufeinanderfolgenden Schritten auf einen Rekordwert von 4% gebracht. Präsidentin Christine Lagarde hat signalisiert, dass der Rat nun erstmal die Wirkung dieser beispiellosen geldpolitischen Straffung abwarten werde. Diese Haltung wurde durch die jüngste Talfahrt bei Anleihen und den Krieg zwischen Israel und Hamas verstärkt, deren Auswirkungen die sich ohnehin schon verschlechternden wirtschaftlichen Aussichten der Eurozone weiter eintrüben.
“Die Entwicklungen seit der September-Sitzung haben die Wachstumsaussichten für die Eurozone verschlechtert, aber auch die Inflationsrisiken erhöht, da die Ölpreise in die Höhe geschossen sind”, sagte Carsten Brzeski, leitender Ökonom bei ING. “Vor dem Hintergrund höherer Anleiherenditen und geopolitischer Spannungen scheint eine Zinspause bei der Sitzung nächste Woche beschlossene Sache zu sein.”
Etwas mehr als 60% der Befragten gaben an, dass die Abwärtsrisiken für das Wachstum seit der EZB-Sitzung im September zugenommen haben. Was die Inflation angeht, hat sich der Ausblick aus Sicht der meisten Befragten jedenfalls nicht verbessert. Obwohl sich die Preissteigerungen im letzten Monat deutlich verlangsamten und der Lohndruck möglicherweise nachlässt, bleiben die Inflationserwartungen weiterhin hoch.
Märkte mit Einschätzung
Einige Ökonomen sehen allerdings den Druck durch die wirtschaftliche Flaute die Oberhand gewinnen. “Der nachlassende Inflationsdruck in Verbindung mit der sich ausweitenden und vertiefenden Konjunkturschwäche deutet darauf hin, dass das Motto ‘höher für länger’ nicht sehr lange Bestand haben wird”, so Nerijus Maciulis, Chefvolkswirt der Swedbank. Er rechnet mit der ersten Zinssenkung im April — früher als die meisten Kollegen — und geht davon aus, dass der Einlagensatz der EZB bis März 2025 wieder auf 2 % fallen wird.
Die Finanzmärkte rechnen mit einer längeren Periode erhöhter Zinssätze. Die Renditen für Bundesschätze — die zweijährigen deutschen Staatsanleihen, die am empfindlichsten auf geldpolitische Veränderungen reagieren — liegen bei etwa 3,2% und damit nicht weit von ihrem höchsten Stand seit 15 Jahren entfernt. Die Geldmärkte preisen eine erste Zinssenkung um einen Viertelpunkt bis Juli ein und eine weitere bis Ende nächsten Jahres.
Abbau der Anleihe-Halde bei der EZB
Während die Zinssätze auf Eis liegen (Leitzins aktuell 4,5 %), diskutieren die Währungshüter bei der EZB über Optionen für den rascheren Abbau der Anleiheberge, die sie im Rahmen vergangener Konjunkturprogramme aufgehäuft haben. Den drastischsten möglichen Schritt — aktive Verkäufe der Anleihen — erwartet nur etwa ein Drittel der Befragten, weniger als bei der letzten Umfrage. Ein sanfterer Übergang ergibt sich, wenn auslaufende Anleihen nicht mehr durch neue ersetzt werden. Mit den Beständen aus dem kleineren ersten Ankaufprogramm wird bereits so verfahren. Für das große Programm PEPP aus der Pandemie erwarten die Volkswirte nun früher eine ähnliche Praxis.
VORZEITIGES PEPP-ENDE? Zuletzt scheinen steigende US-Renditen auch die Spreads von Italien nach oben zu treiben. Mit diesem Argument könnte Lagarde auf der Sitzung am Donnerstag Italien stützen und Signale gegen ein vorzeitiges Ende der PEPP-Reinvestitionen senden. pic.twitter.com/OBE44Q5uLS
— Jörg Krämer (@DrJoergKraemer) October 19, 2023
“Wenn sie die Abwicklung des PEPP-Portfolios zu früh ankündigen, könnten die Spreads italienischer Staatsanleihen in die Höhe schnellen”, sagt Fabio Balboni, Europaökonom bei der HSBC Bank. “Aber es gibt nur begrenzte Alternativen.” Die Mehrheit der Befragten erwartet eine Erhöhung der Mindestreserveanforderungen für die Banken der Eurozone innerhalb der nächsten 12 Monate — ein weiteres Werkzeug zur geldpolitischen Straffung.
FMW/Bloomberg
Kommentare lesen und schreiben, hier klicken