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Nur 10% unter direkter Kontrolle der Staaten Gas: Volle Lager in Europa – aber es gehört Privatfirmen, nicht Staaten!

"Der Winter 2023-24 könnte schlimmer sein als der jetzige"

Gas Europa Staaten

Die Lager für Gas in Europa sind inzwischen gut gefüllt, der Gas-Preis ist inzwischen deutlich gefallen auf inzwischen nur noch 114 Euro beim TTF-Future (im August lag er noch im Hoch knapp unter 350 Euro). Ist jetzt also alles gut? Warum schlagen die deutschen Energieversorger dann aber Alarm mit einer Warnung, dass die Versorgung unter den derzeitigen Umständen nicht sicher gestellt werden könne?

Lager sind voll – aber wem gehört das Gas?

Kommen wir mit den vollen Gas-Lagern gut durch den Winter? Theoretisch ja. Bislang ist das Wetter in Europa sehr mild, wodurch der Verbrauch niedrig bleibt. Aber trotz voller Speicher bleibt ein großes Risiko: das in den Lagern eingespeicherte Gas gehört überwiegend gar nicht den Staaten, sondern eben Privatfirmen. Das aber bedeutet: Privatfirmen können entscheiden, an wen sie das Gas verkaufen. Selbst wenn also die Gas-Lager in Deutschland gefüllt sind, bedeutet das eben nicht, dass der deutsche Staat darüber frei verfügen kann! Das wiederum aber ist ein immenses Risiko für die Versorgungssicherheit, wie Bloomberg nun berichtet.

Europa hat hart gearbeitet, um die Gas-Reserven für den Winter aufzufüllen, aber die unbequeme Wahrheit ist, dass die nationalen Regierungen wenig bis gar keine Kontrolle über diese Vorräte haben.

Nur etwa 10 % des Gases in den Speichern von Italien bis zu den Niederlanden stehen nach Angaben von Bloomberg über die nationalen strategischen Reserven unter der direkten Kontrolle der öffentlichen Hand.

Der Rest befindet sich in den Händen von internationalen Handelsunternehmen, Energieversorgern und Industriekonzernen, denen es frei steht, an den Meistbietenden zu verkaufen, selbst wenn dieser in einem anderen Land sitzt. Das bedeutet, dass ein Kälteeinbruch in Deutschland einen Ansturm auf das Gas in den Nachbarländern auslösen und damit die Solidarität in Europa belasten könnte.

Das Gas-Netz der Region soll so funktionieren, dass die Lieferungen zwischen den Märkten fließen können. Solange genug Brennstoff im System ist, sollte es sich ausgleichen. In einem Szenario wie der aktuellen Krise hat das jedoch nicht funktioniert.

„Die praktische Funktionsweise des Systems wurde noch nie wirklich getestet“, sagt Graham Freedman, Analyst bei der Beratungsfirma Wood Mackenzie. „Vieles wird von der Strenge dieses Winters abhängen“. Bei einem kalten Winter könnten die Vorräte bis Ende März auf unter 10 % sinken, so Freedman. Das könnte ein erneutes Gerangel um Vorräte für den nächsten Winter auslösen.

Gas Lager Europa

Winterpuffer: Etwa die Hälfte der Gas-Speicherkapazität der EU befindet sich in drei Ländern

Zwar gibt es in Europa keine transparenten Daten darüber, wem das gespeicherte Gas gehört, doch der größte Teil befindet sich im Besitz von Versorgungsunternehmen, einschließlich staatlicher Unternehmen, die den Brennstoff abziehen müssen, um Haushalte und Industrieunternehmen zu versorgen, so mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Ein kleinerer Teil befindet sich in den Händen von Handelsunternehmen wie Glencore Plc und Vitol Group, deren Hauptinteresse in der Maximierung des Wertes ihrer Portfolios liegt. Aufgrund der hohen Kosten und der neuen Vorschriften, die weitere Hürden aufbauten, seien sie relativ unbedeutende Akteure, sagten die Personen, die nicht genannt werden wollten, weil es sich um vertrauliche Informationen handele. Glencore, Vitol und die Trafigura-Gruppe lehnten eine Stellungnahme ab.

„Das Halten von physischem Gas in Lagern könnte ein Teil einer größeren Asset-Backed-Strategie“ für private Handelsunternehmen sein, so Alun Davies, Senior Director für europäische Energie und Gas bei S&P Global, und fügte hinzu, dass reine Händler in der Regel eher Liquidität bereitstellen als Ressourcen in große Brennstofflager zu stecken.

Die Besorgnis über die Versorgung im Winter hat die Region seit Monaten erfasst und zu Bemühungen geführt, Gas zu horten – die Reserven sind jetzt fast voll und liegen über dem Fünfjahresdurchschnitt.

Rufen Regierungen den Notstand aus?

Um Versorgungsrisiken zu vermeiden, könnten die Regierungen jedoch versuchen, den Notstand auszurufen. In einem solchen Fall hätte die deutsche Bundesnetzagentur – wie auch andere nationale Behörden – die Befugnis, anzuordnen, ob Gas eingelagert bleibt oder entnommen wird. Eine solche Maßnahme könnte dazu führen, dass die Nachbarn mit den Engpässen allein gelassen werden.

Deutschland ist auf andere angewiesen, da seine Speicher nur 25 % des Jahresbedarfs abdecken. Auch Polen steht auf wackligen Beinen. Das fünftbevölkerungsreichste Land der Europäischen Union mit 38 Millionen Einwohnern verfügt über weniger Kapazitäten als die Slowakei, die nur 5,5 Millionen Einwohner hat.

Gas Preise in Europa

Unterschiedliche Gas-Preise an den verschiedenen europäischen Knotenpunkten

Wenn das System funktioniert, steigen die Preise dort, wo die Nachfrage am größten ist. Wenn sich die Ströme zu den Märkten mit höheren Preisen verlagern, dürften die Preise in den Ländern, in denen die Gasreserven erschöpft sind, als Reaktion darauf steigen, so Niek van Kouteren, ein leitender Händler beim niederländischen Energieunternehmen PZEM NV.

„Wir werden sehen, wie effizient der Markt ist“, sagte er.

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In den kommenden Monaten ist mit Preisverzerrungen zu rechnen, da Russland, das im vergangenen Jahr 40 % der Nachfrage deckte, seine Lieferungen drastisch einschränkt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Gas von einem Markt zum anderen fließt, wobei im Falle eisiger Temperaturen in größeren Märkten wie Deutschland und Polen die Lieferungen aus Italien, Österreich oder den Niederlanden wahrscheinlich aufgesaugt würden.

Obwohl Deutschland über die größte Speicherkapazität in Europa verfügt, hat es in der Vergangenheit Reserven aus Österreich angezapft, um die größte europäische Volkswirtschaft beim Betrieb von Fabriken und beim Heizen von Häusern zu unterstützen – fast die Hälfte der Haushalte verbrennt Gas zum Heizen.

Österreich fungiert im Winter eher als Lieferant, wobei mehr als zwei Drittel seiner Speicherkapazität normalerweise anderen Ländern zur Verfügung stehen. Auch die Tschechische Republik und Ungarn verfügen über mehr Kapazität als für den Inlandsverbrauch benötigt wird.

„Europa steht zusammen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag in einer Rede vor dem Parlament in Berlin. „Wir haben als Land mit den Maßnahmen der letzten Wochen und Monate dafür gesorgt, dass wir mit Zuversicht sagen können: Gemeinsam werden wir diesen Winter überstehen.“

Gas Speicher in Europa

Speichern für andere: Einige Länder, wie z.B. Österreich, haben mehr Gasvorräte als sie benötigen

Das Risiko des privaten Besitzes von gespeichertem Gas wurde im Juli deutlich, als die Uniper SE, Deutschlands größter Käufer von russischem Gas, Lieferungen aus den Speichern abzog, um Kunden zu bedienen, nachdem Russland die Lieferungen gekürzt hatte.

Dieser Schritt stand im Widerspruch zu den Bemühungen der Regierung, die Reserven wieder aufzufüllen, und setzte die Regierung Scholz unter Druck, dem Unternehmen mehr Geld zu geben. Uniper ist nun dabei, verstaatlicht zu werden.

Auch die Regierungen verstärken ihre Anstrengungen, um Störungen in diesem Winter zu vermeiden, indem sie die Entnahmen regulieren und Reserven anlegen. Deutschland hat ein Gesetz verabschiedet, das Ziele für die Gasspeicherung vorschreibt. Das Ziel von 95 % für den 1. November wurde bereits erreicht, und bis zum 1. Februar müssen 40 % erreicht werden. Die Betreiber der Anlagen riskieren Strafen, wenn sie das Ziel nicht erreichen.

Scholz‘ Regierung hat außerdem Trading Hub Europe, dem Unternehmen, das den deutschen Gasmarkt verwaltet, 15 Milliarden Euro (14,7 Milliarden Dollar) zur Verfügung gestellt, um Brennstoff für die Speicherung zu kaufen. Die Gruppe hat rund 60 Terawattstunden Gas gekauft, was etwa 25 % der deutschen Speicherkapazität entspricht, die als staatlich kontrolliert angesehen werden könnte.

Die Gasspeicherbestände in Europa sind höher als im letzten Jahr

Gas Storage

„Die deutsche Regierung sitzt jetzt auf einer riesigen Menge Gas, die sie im Winter bei Bedarf nutzen kann“, sagte Sebastian Bleschke, Geschäftsführer des deutschen Gasspeicherverbandes Ines. „Aber der größte Teil der Vorräte im Land befindet sich auf den Märkten und könnte überall hingehen, wo es gebraucht wird.“

Die Regierungen gehen davon aus, dass die grenzüberschreitenden Ströme ein wichtiger Bestandteil des europäischen Energiemarktes bleiben werden. „Es besteht keinerlei Besorgnis“ über das Risiko, dass Gas aus italienischen Lagerstätten entnommen und von anderen Ländern verwendet wird, sagte ein Sprecher des italienischen Ministeriums für den ökologischen Wandel.

Die Krise hat jedoch dazu geführt, dass man sich eingehender mit der Speicherung befasst, und einige Länder haben die Notwendigkeit geäußert, die Kapazitäten zu erweitern, um künftige Engpässe zu bewältigen. Der Winter 2023-24 „könnte schlimmer sein als der jetzige“, sagte Claudio Descalzi, Vorstandsvorsitzender des italienischen Energieriesen Eni SpA.

„Es ist richtig, einen Teil der Kapazität der europäischen Gasspeicher im nächsten Jahr gemeinsam zu füllen“, sagte Scholz vor einem EU-Gipfel in Brüssel vor Gesetzgebern. „Mit dem Modell des Trading Hub Europe haben wir gezeigt, wie das gehen kann.“

FMW/Bloomberg



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3 Kommentare

  1. Panik verbreiten.
    Wo bleiben die beschrieenen Erneuerbaren???
    Gruß Krill

    1. Die werden schon noch mind. 10 Jahre dauern.

    2. Das ist gerade genau die richtige Frage.

      https://www.ecoreporter.de/artikel/ausschreibung-windenergie-bricht-der-windkraftausbau-ein/

      Die Ausschreibungen für Windkraftanlagen sind aus den erwartbaren Gründen stark unterzeichnet.

      Und genau das ist das Problem. Es wird vom schnellen Ausbau phantasiert und ökonomische Realitäten werden bestenfalls ignoriert.

      Die Energiewende kann und wird nicht ohne eine starke Wirtschaft mit günstigen Finanzierungsbedingungen stattfinden.

      Vielleicht kommt diese Erkenntnis ja noch bei unserem Wirtschaftsminister an.

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