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Höchstrichterliches Urteil: Lebensversicherer dürfen Kunden auch weiterhin Gewinne vorenthalten

Lebensversicherer bieten ihren Kunden eine Garantiezins. Oben drauf kommen noch zusätzliche am Kapitalmarkt erzielte Gewinne, welche die Anbieter anteilig auch an ihr Kunden ausschütten sollten. Denn schließlich wurden diese Gewinne ja auch mit den Kundengeldern erwirtschaftet. Diese Gewinne nennt man „Bewertungsreserven“.

Wie der Bundesgerichtshof heute urteilt, müssen solche Überschussbeteiligungen aus der Bewertungsreserve nicht in vollem Umfang an die Kunden ausgeschüttet werden. Offenbar kann der Anbieter die Ausschüttung an die Kunden wohl nach eigenem Ermessen kürzen. Allerdings müsse er aufzeigen, dass er diese Einbehaltung von Gewinnen vornehmen müsse, weil er sonst den Sockelbetrag der „Garantieverzinsung“ nicht zahlen könne. Die Argumentation des Anbieters müsse für den Kunden auch nachvollziehbar sein.

Es klingt wie ein Paradoxon, und ist vielleicht auch eines. Der Versicherer soll also das Recht haben Zusatzgewinne offiziell für die garantierte Mindestrendite des Kunden verwenden zu dürfen? Hat der Anbieter diese Mindestrendite nicht auch unlängst am Kapitalmarkt erwirtschaftet? Und wie man gegenüber dem Kunden die Kürzungen der Ausschüttungen argumentieren kann? Nun, dafür haben die großen Versicherer sicher genug Anwälte und Werbetexter, damit der Sachverhalt rechtssicher hingebogen wird.

Wir wetten mal: Trotzdem werden die Gewinne für die Aktionäre der Versicherungen auch weiterin mehr als hervorragend sprudeln. Es ist ein Urteil ganz in der Tradition der deutschen Gerichte. Schon nach dem Lehman-Debakel vor zehn hatten die deutschen Gerichte zum allergrößten Teil die Anleger im Regen stehen lassen, die von ihren Banken und Sparkassen Lehman-Zertifikate quasi als Sparbuch-Ersatz ins Depot gebucht bekamen.

Es geht grundlegend um die deutsche Staatsraison im Finanzbereich: Banken und Versicherungen müssen vom Staat geschützt werden – sie müssen Stabilität ausstrahlen, damit das ganze Finanzsystem stabil wirkt. Diese Denkweise scheint auch bei deutschen Gerichten immer noch tief verwurzelt zu sein. Mit diesem Grundsatzurteil gestattet man sozusagen höchstrichterlich den Versicherungen sich zu bedienen an überschüssigen Gewinnen, die eigentlich den Kunden zustehen.

Mit diesem Zugreifen können die Versicherer teils gescheiterte Geschäftsmodelle, schlechtes Wirtschaften und eigentlich nicht zahlbare Garantien abdecken. Wie viel davon hinten rum bei den Aktionären landet – wer kann das von außen schon nachvollziehen. Schon im Jahr 2014 hatte der deutsche Gesetzgeber diese Überschuss-Ausschüttungen an die eigentlich Berechtigten (die Kunden) gedeckelt. Seither dürfen die oft an der Börse erzielten Kursgewinne nur noch in dem Maß ausgezahlt werden, so dass die Garantiezusagen für alle übrigen Versicherten nicht gefährdet werden. Mit dem heutigen Urteil wird diese Vorgehensweise bestätigt und sozusagen zementiert.

Für den „Bund der Versicherten“ ist dieser Zugriff der Versicherungen auf eigentlich den Kunden zustehende Gewinne eine „verfassungswidrige Enteignung“. Wir von FMW würden uns natürlich niemals dazu hinreißen lassen solch drastische Worte zu nutzen… (Satire). Denn wie man heute sieht, geht ja alles mit rechten Dingen zu! Aktuell ging es darum, dass der Bund der Versicherten für einen Kunden von einer Ergo-Tochter die eigentlich in Aussicht gestellte Ausschüttung von 2821,35 Euro durchsetzen wollte. Tatsächlich erhielt er nur 148,95 Euro. Tja, was soll´s. Die Versicherung muss eben auch zusehen, wo sie abbleibt…

Hier die Begründung des Gerichts von heute im Wortlaut:

Nach Auffassung des Senats ist die Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG allerdings nicht verfassungswidrig. Sie führt im Ergebnis dazu, dass ein Versicherer Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherungsunternehmen gehaltenen festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften bei der Beteiligung der Versicherungsnehmer an Bewertungsreserven nur insoweit berücksichtigen darf, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Verträgen mit Zinsgarantie überschreiten. Grund für diese Neuregelung war, dass nach Auffassung des Gesetzgebers ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld mittel- bis langfristig die Fähigkeit der privaten Lebensversicherungsunternehmen bedrohen würde, die den Versicherten zugesagten Zinsgarantien zu erbringen (BT-Drucks. 18/1772 S. 1). Die gesetzliche Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG enthält zunächst eine unter dem Gesichtspunkt der Normenbestimmtheit und -klarheit präzisere Regelung gegenüber der Vorgängervorschrift des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG a.F., die lediglich bestimmte, dass aufsichtsrechtliche Regelungen zur Kapitalausstattung unberührt bleiben. Sie stellt auch keine unzulässige Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte dar. Inhaltlich hat der Gesetzgeber ferner verschiedene Maßnahmen getroffen, die sowohl die Interessen der ausscheidenden Versicherungsnehmer als auch derjenigen, die ihre Verträge noch in der Zukunft fortführen, sowie diejenigen der Anteilseigner berücksichtigen. Unter anderem hat er Änderungen der Mindestzuführungsverordnung vorgenommen, die zu einer höheren Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoüberschüssen führen. Ferner hat er den Höchstsatz für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten herabgesetzt, um Vertriebskosten zu senken. Schließlich darf ein Bilanzgewinn an Anteileigner nur ausgeschüttet werden, wenn er einen etwaigen Sicherungsbedarf übersteigt. Verfassungsrechtliche Bedenken an der Wirksamkeit der gesetzlichen Neuregelung bestehen nach alledem auch unter Berücksichtigung des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht. Im Einzelfall auftretende Härten führen nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt. Gleichwohl hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hat nämlich keine Feststellungen zu der zwischen den Parteien streitigen Frage getroffen, ob die einfach-rechtlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs der Beklagten bestanden.

Bundesgerichtshof in Karlsruhe
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Foto: Bundesgerichtshof



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3 Kommentare

  1. Kein Mensch ist gezwungen sich bei diesen Abfallprodukten versichern zu lassen. So wie ich die Deutsche Mentalität und Denkweise einschätze wird trotzdem einmal mit den Achseln gezuckt und diesen Gierschlunden weiterhin das Geld für nichts und wieder nichts hinterhergeschmiessen.
    Ein wünschenswertes verhalten wären massenhaft Kündigungen von Seiten der Kunden. Aber das bleibt wohl ein wunschtraum bei den trägen Deutschen die sich gerne überversichern.

    Wer da noch Kunde ist: Selbst Schuld!

    1. @Andreas, wenn ein träger deutscher und überversicherter Kunde, der beispielsweise seit 20 Jahren versichert ist, seine Verträge kündigen würde, erlitte er nur Nachteile. Er verlöre seinen Garantiezins von etwa 5% und müsste seine Zukunft und Rente dann wo absichern?
      An den Börsen? Mit Gold? Lieber 5% Garantiezins und ein paar EUR Gewinnbeteiligung und eine anständige Immobilie…

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